Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Zum Tod Frank Schirrmachers
"Er war der lebendigste Feuilleton-Chef Deutschlands"

FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher ist tot. Der Publizist und frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann würdigt seinen Kollegen im Deutschlandfunk als einen Mann mit enormem Innovationspotenzial, der viele wichtige Debatten angestoßen habe. "Blitzgescheit" sei er gewesen - und sein früher Tod ein großer Verlust für das intellektuelle Deutschland.

Michael Naumann im Gespräch mit Karin Fischer | 12.06.2014
    Michael Naumann
    Michael Naumann (dpa / Robert Schlesinger)
    Frank Schirrmacher: "Ich bin überhaupt nicht pessimistisch. Wir erleben einen intellektuellen und technologischen Wandel eins zu eins. Wir reden alle nicht über die Texte, die die eigentlich relevanten sind, nämlich die Software, die dahinter steckt, die Algorithmen, die dahinter stecken. Wenn Sie zum Beispiel mal Stephen Baker, der das Buch "Numerati" geschrieben hat, lesen, dann sehen Sie, wie schon in großen Konzernen wie IBM und so weiter die ganze Menschheit in Mathematik verwandelt wird. Und das müssen wir einfach mal untersuchen!"
    Karin Fischer: Frank Schirrmacher über das große Thema der letzten Jahre: die Digitalisierung der Menschheit. Sie haben es, meine Damen und Herren, in den Nachrichten gehört: Frank Schirrmacher ist tot. Er verstarb im Alter von 54 Jahren an einem Herzinfarkt. Wir würdigen den Mitherausgeber der FAZ als einen der einflussreichsten Medienpublizisten der Gegenwart in Deutschland.
    Frank Schirrmacher war Ideengeber und Motor vieler Debatten, die er selbst nicht selten mit angestoßen hatte, und er war Buchautor. "Das Methusalem-Komplott"  über die Vergreisung der Gesellschaft, "Payback", die pessimistische Einlassung über das Netzzeitalter und was es mit unseren Gehirnen macht, "Ego: Das Spiel des Lebens" über die Selbstkapitalisierung des Ich in unserer modernen Gesellschaft. Und jeder aufmerksame Zeitungsleser erinnert sich noch an den unglaublichen Coup, als Frank Schirrmacher die gesamte entschlüsselte DNA des Menschen auf mehreren Seiten im Feuilleton abdruckte. Ja, er wollte Aufmerksamkeit erregen, Aufreger setzen. Zuletzt hat er mit der Internet- und Überwachungsdebatte "NSA, Big Data, Google" einem Thema zu der Aufmerksamkeit verholfen, die es verdient. Zuletzt hatte er in dieser Sendung Jaron Lanier für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels gewürdigt.
    Frank Schirrmacher: "Es kann überhaupt keine Frage bestehen, dass die Systeme genauso sich dazu eignen, einen neuen Totalitarismus hervorzubringen. Es ist immer die Frage, wie benutzt man es, und darum ist Lanier nur zu verstehen und diese ganze Debatte nur zu verstehen als eine Debatte nicht über Technologie, sondern über die politische und gesellschaftliche Anwendung dieser Technologie. Also das ist eher eine gesellschaftliche Debatte. Was wollen wir mit ihr machen?"
    Fischer: Der streitbare Publizist und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher ist am Nachmittag gestorben. Frage an Michael Naumann, ehemals Verleger, Zeit-Mitherausgeber und Chefredakteur bei Cicero, derzeit Leiter der Barenboim-Said-Akademie in Berlin: Herr Naumann, was waren die herausragenden Eigenschaften Schirrmachers als Publizist?
    Michael Naumann: Lassen Sie mich erst einmal sagen, dass mich dieser frühe Tod absolut schockiert hat, denn er war sicherlich der lebendigste Feuilleton-Chef Deutschlands seit Jahrzehnten. Seine enormen Einfälle, muss man schon sagen - Sie haben ja schon erwähnt den Abdruck der DNA (es war ja eine grafische Idee), der DNA-Codes, die seinerzeit entziffert worden waren, auf vielen, vielen Seiten der FAZ - zeigten, dass er diesem doch sehr konservativen Blatt eine geistige, intellektuelle, aber auch journalistische Frische inhaliert hat, respektive zugeführt hat, die überraschend war. Also er war auf alle Fälle ein Mann mit einem enormen Innovationspotenzial, nicht immer auf der richtigen Seite, aber insgesamt ein blitzgescheiter, innovativer, intelligenter, gut schreibender Intellektueller, den es in einen Beruf verschlagen hatte, den er möglicherweise gar nicht angestrebt hat, denn seine ursprünglich akademischen Interessen, literaturwissenschaftlichen Interessen hätten ihn genauso gut an einer Universität platzieren können. Aber so ist er eben zur FAZ gekommen.
    Fischer: Sie haben gesagt, nicht immer auf der richtigen Seite, Michael Naumann. Er galt viele Jahre lang als konservativ. Er hat aber auch zu Protokoll gegeben, dass er sich von der Bezeichnung "Links" gar nicht abschrecken ließe. Wo stand er für Sie? War er konservativ, war er ein Menschenfreund, war er ein überlegter Stratege?
    Naumann: Man kann übrigens auch auf der richtigen Seite, Frau Fischer, stehen, wenn man konservativ ist.
    Fischer: Natürlich!
    Naumann: Nein, nein, nein. Was war er vom Charakter? Er hatte durchaus etwas Wechselhaftes. Nichts Kameleonhaftes, das wäre zu pejorativ, zu negativ. Ich glaube, seine wirkliche Leistung in der Geschichte der FAZ war es, das Blatt zu öffnen für seine Generation, die heute 50-Jährigen, aber er macht dieses ja schon oder hat dieses ja schon über zwei Jahrzehnte gemacht. Ich fand seine Berlin-Seiten fantastisch, journalistisch fantastisch. Er konnte junge Leute, zum Beispiel Gustav Seibt, aber auch Florian Illies durch, ich möchte mal sagen, sein redaktionsinternes Charisma an sich binden, aber auch aus Gründen, die ich nicht kenne, wieder abstoßen. Also in anderen Worten: Er war höchst ungewöhnlich in seiner Neugier auf andere, auf anderes, auch auf andere Menschen, aber zweifellos auch schwierig im Umgang, denn sonst wären so viele nicht weggegangen. Aber es sind immer wieder neue wirklich, wirklich gute, gute, hervorragende Journalisten gekommen und sind ihm und der FAZ treu geblieben.
    Und darüber hinaus ist es ihm gelungen, in einer Zeit, in der die meisten Verlage vor allem mal anfangen, beim Feuilleton zu kürzen, weil die kaufmännischen Leiter der Verlage meistens das Feuilleton selber nicht lesen, das Feuilleton zum politischen Forum, zum geistigen Forum, zum kulturellen Forum der ganzen Republik zu machen. Was nicht erwähnt wurde in Ihrer kurzen Anmoderation ist der Sachverhalt, dass er kurz nach der Wiedervereinigung die moralische Debatte über die Rolle der Intellektuellen in der DDR, Stichwort Kant und Ähnliche, angestoßen und geführt hat, während andere Blätter - darunter zähle ich leider auch "Die Zeit" - diesen Aspekt der Wiedervereinigung, der sich dann wirklich massiv manifestierte in den Entlarvungen und Enthüllungen der Gauck-Behörde, thematisiert hat. Da hat er das richtige Gespür gehabt, finde ich, und auch dafür gebührt ihm eigentlich, man wagt es ja kaum zu sagen, Dank. Dank derjenigen, die mit ihm auch (und dazu zähle ich mich selbst auch) keineswegs immer einverstanden waren.
    Fischer: Er hat das Feuilleton stark gemacht, das haben Sie gesagt. Er hat einen weiteren, viele Medien-Coups gelandet: das Interview mit Günter Grass, in dem dieser eingeräumt hat, Mitglied der Waffen-SS zu sein, auch ein Gespräch mit Martin Walser und Ignaz Bubis fand in der FAZ statt. Diese Zeitung hat heute einen unglaublich schweren Verlust zu verkraften mit dem Tod dieses produktiven Verlegers. Was bedeutet das für das Flaggschiff der deutschen Intellektuellen, wie Sie gerade gesagt haben, was für das Feuilleton?
    Naumann: Ach es gibt noch andere Flaggschiffe, Gott sei Dank. Noch! Dazu zähle ich selbstverständlich "Die Zeit", dazu zähle ich auch die Süddeutsche Zeitung und selbstverständlich eine Menge intellektuelle Zeitschriften, wenngleich auch die in Verbreitung und Qualität abnehmen. Ja, wer ihm nachfolgt, das wird nun sicherlich ein spannendes Thema werden, und ich fürchte, unendlich viele Telefonate laufen schon. Ich finde, man soll erst einmal eine kleine Phase der Besinnung eintreten lassen, ehe die Klatschmaschinen Online und anderswo losgehen.
    Ich will aber noch eines sagen, Frau Fischer. Ich fand es interessant, wie erstens es ihm gelungen ist, die Internet-Debatte wirklich zur Bankettfrage der politischen Debatten in Deutschland zu machen. Das hat keiner mit einer derartigen Persistenz und auch Qualität gemacht. Und ihm entgegen standen dann, wenn man sich die Kritiken der Artikel in der FAZ anschaute, eine Fülle von jenen jungen Leuten, die glauben, sie hätten das Internet A erfunden, und B, sie sind die Herren der Algorithmen, und nur diejenigen dürfen mitreden, die die Codes selbst entwerfen. Wenn Sie mit denjenigen aber sprechen, die diese Codes wirklich entwerfen - und einige davon kenne ich persönlich -, so sind die sich sehr wohl der kulturumstürzenden Konsequenzen ihrer Arbeit bewusst. Und Schirrmacher und seinen Mitarbeitern - er hat das ja nicht alles selbst geschrieben -, seinen Mitarbeitern im Feuilleton der FAZ ist es zu danken, dass dieses Thema nicht unter dem Aspekt Kulturpessimismus debattiert wird, sondern unter dem Aspekt, dass hier wirklich etwas Epochales, ein epochaler Umbruch im Selbstverständnis der Selbstorganisation der Märkte - denken Sie nur an die computergestützten Devisengeschäfte, in denen Milliarden Euros, Dollars in wenigen Millisekunden gehandelt werden, viel mehr Geld, als es in Wirklichkeit gibt - thematisiert hat, aber eben auch die Möglichkeiten, wie wir dann auch schließlich erfahren haben durch Snowden, des Staates durch das Internet, hehre und angestammte Freiheiten inklusive das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu unterhöhlen. Dieses alles ist, muss man wirklich sagen, Schirrmachers Verdienst, und wer sein Nachfolger werden wird oder seine Nachfolgerin werden wird, wird sich an diesem journalistischen Gespür, aber auch an diesen Verdiensten messen lassen müssen.
    Fischer: Herzlichen Dank, Michael Naumann, für diese ehrenden Worte für Frank Schirrmacher. Der FAZ-Mitherausgeber und Publizist ist heute Nachmittag im Alter von 54 Jahren gestorben.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.