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Zum Tod von Klaus Harpprecht
Der liebenswerte Spötter ist gegangen

Er war Redenschreiber und Berater des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt. Er war unter anderem USA-Korrespondent des ZDF und leitete den Fischer-Verlag in Frankfurt am Main: Klaus Harpprecht. Nun ist er im Alter von 89 Jahren gestorben.

Von Alexander Solloch | 21.09.2016
    Klaus Harpprecht
    Klaus Harpprecht, deutscher Journalist und Autor, aufgenommen am 26.01.2015 während der Aufzeichnung der RBB-Talksendung "Thadeusz" in Berlin. (dpa/Foto: Karlheinz Schindler)
    Klaus Harpprecht wollte viele Leben leben - deshalb hat er immer darauf geachtet, sich auf keine Tätigkeit, auf kein Amt, auf keine Profession festlegen zu lassen. Er war Radio- und Fernsehjournalist, er war Redenschreiber und enger Vertrauter Willy Brandts, er war Historiker und Erzähler, er war Herausgeber und Zeitgenosse - einer, der immer etwas zu sagen hatte, und das auch noch mit wohlgesetzten, schönen Worten. Nun ist Klaus Harpprecht an seinem Wohnsitz im französischen La Croix Valmer gestorben, im Alter von 89 Jahren.
    Weil er in Stuttgart geboren wurde, entstammte er, wie er sagte, "dem Begabungs- und Neurosenfeld des Schwäbischen". Nichts konnte klarer und natürlicher sein für Klaus Harpprecht, der über die Schwaben sagte, "dass sie in der Dichte, in der Beengtheit ihrer Existenz nur drei Möglichkeiten haben: Entweder sie werden verrückt - das sind auch zahlreiche geworden -, sie werden Genies oder sie wandern aus!"
    Sprachgenialer Wanderer
    Harpprecht entschied sich für die vierte Möglichkeit: Er wurde ein sprachgenialer Wanderer durch die Verrücktheiten des menschlichen Lebens, oder, mit einem - seinem - Wort, Journalist. Tief geprägt natürlich von der größten Verrücktheit, die Menschen einfallen kann, vom Krieg. 17 Jahre alt war der Pastorensohn, als er sich, noch in den letzten Monaten des Gemetzels, freiwillig zur Wehrmacht meldete, "auch weil das die sicherste Möglichkeit war, sich dem Zugriff der SS zu entziehen", wie er erklärte. "Denn die SS, die wir als Bewachungstruppe der Konzentrationslager kennenlernten - und wir wussten sehr wohl, was die Konzentrationslager waren! -, das war für uns der Inbegriff des Bösen."
    Nach dem Krieg strebten er und seine Altersgenossen in die Redaktionen der jungen Republik. "Wir hatten nur einen Gedanken", sagte Harpprecht: "Das darf nie wieder passieren. Das Politische saß einem auf dem Hals." Der junge Mann lernte das journalistische Handwerk bei der Wochenzeitung "Christ und Welt" und ging Mitte der 1950er-Jahre zum Hörfunk, erst zu RIAS Berlin, dann zum WDR. Dort arbeitete als politischer Kommentator und Reporter, als der er 1958 Bundespräsident Theodor Heuss bei seinem England-Besuch begleitete.
    Ungewöhnlich enge Beziehung zu Willy Brandt
    Als Korrespondent in London lernte Harpprecht die junge BBC-Redakteurin Renate Lasker kennen, die gemeinsam mit ihrer Schwester Anita die deutschen Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen und mehrere Todesmärsche überlebt hatte. "Gott sei Dank sieht er nicht gut aus", seufzte Anita, als Renate ihr ihren neuen Gefährten vorstellte - wenn schon ein Deutscher, dann bitte einer, mit dem man es auch ernst meinen könnte!
    Viel lernen wollte Klaus Harpprecht, viel sehen, viel herumkommen, "aufgescheucht von der Zeitgeschichte, aber auch von der eigenen Neugier, der Lust an der Freiheit, dem Sog der Fremde", wie er später schrieb. Er berichtete für das ZDF aus Washington, leitete drei Jahre lang den S. Fischer Verlag in Frankfurt und wurde 1972 Redenschreiber beziehungsweise Leiter der Schreibstube von Bundeskanzler Willy Brandt. Den schönen Begriff hatte Harpprecht sich selbst ausgedacht. "Eine sehr produktive Phase meiner merkwürdigen Existenz, basierend auf einer ungewöhnlich engen und harmonischen Beziehung zu Willy Brandt. Er konnte meine schwierige Handschrift immer vom Blatt lesen. Das war mit eine Basis unserer sehr guten Verständigung."
    Er legte Dutzende Bücher vor
    Und immer wollte und musste Harpprecht schreiben, legte in den gut 40 Jahren, die er als freier Autor tätig war, Dutzende Bücher vor, Biografien vor allem und Epochenskizzen, Bücher über Thomas Mann und den deutschen Widerstand, über die Französische Revolution und ihre Folgen, über die Jahre im Kanzleramt und "die Liebe zur Welt" - alle geschrieben in einem schnörkellosen und doch eleganten, einfachen und originellen Deutsch.
    "Gott sei Dank - durch die Umstände der Zeit und durch finanzielle Beengung, durch eine wirkliche Armut - ist es mir erspart geblieben, ein deutscher Germanist zu werden", sagte Harpprecht einmal. "Ich bin der unsagbaren Heimsuchung eines germanistischen Studiums entronnen, und deswegen ist meine Sprache relativ unverbildet gewesen, viele der von mir sehr geschätzten Kollegen brauchen ja Jahrzehnte, um sich davon zu erholen."
    Ein leiser Ironiker
    Ein leiser Ironiker war er, ein liebenswerter Spötter, dessen Leben auf tausend verschiedenen Wegen um die eine Frage kreiste: Wie lässt sich aus dem Menschen der Wille zur Freiheit herauskitzeln? Und wie dazu noch eine Lebensliebe, "die nicht zu haben vielleicht das entscheidende Element der deutschen Krankheit gewesen ist? Eine Lebensliebe, von der ich wünschte, dass sie das Gesellschaftswesen, in dem wir uns befinden, mehr erfüllen würde. Ich habe es immer als eine Art Wunsch auch in manche Reden-Entwürfe von Brandt geschrieben, dass wir uns ein Deutschland wünschen, ein europäisiertes Deutschland, ein Deutschland in Europa, das nicht nur seinen Frieden mit sich selber gefunden hat, sondern das vor dem Glück nicht zurückweicht."