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Zum Tod von Leonard Cohen
"Ein großer Poet, ein Romantiker"

Leonard Cohen ist im Alter von 82 Jahren verstorben. Erst Mitte Oktober hatte er sein neues Album "You Want It Darker" vorgestellt - ein besonders düsteres Album mit Anspielungen auf das Ende. Musikkritiker Marcel Anders war bei dem letzten Auftritt Cohens in L.A. dabei und würdigt den verstorbenen Song-Poeten.

Musikjournalist Marcel Anders im Gespräch mit Adalbert Siniawski | 11.11.2016
    Leonard Cohen sitzt auf einer Bank
    "Ein sehr warmer, herzlicher und sehr witziger Mensch": Der kanadische Sänger und Rock-Poet Leonard Cohen am 1976 in Frankfurt am Main (dpa / Istvan Bajzat)
    Adalbert Siniawski: Wie hat Cohen bei seinem letzten öffentlichen Auftritt auf Sie gewirkt?
    Marcel Anders: Also ich muss sagen: Er war sehr gebrechlich, ein älterer, schwacher Herr, grauer Drei-Tage-Bart, Anzug: sehr schick - wie ein älterer Gentleman. Aber ich war wirklich erschrocken, wie schwach er bei diesem Anlass, bei dieser Pressekonferenz in Los Angeles in der Botschaft des kanadischen Konsuls, gewirkt hat. Es war nicht mehr der Mann, den ich vor zwei Jahren getroffen habe bei "Popular Problems" von 2014, sondern da konnte man wirklich sehen: Es hat wirklich der Zahn der Zeit an ihm genagt - und zwar auf eine sehr erschreckende Art und Weise.
    Das Ganze hat nur 20 Minuten gedauert und es ging natürlich um "You Want It Darker", das neue Album. Und das Album, es hat eine sehr starke Todessehnsucht. Also man konnte, wenn man das Album gehört hat, sich schon sehr, sehr viele Sorgen um Leonard Cohen machen. Aber er hat natürlich diese Pressekonferenz genutzt, um diese Gedanken wegzuwischen:
    Leonard Cohen: "Ich habe gesagt, ich wäre bereit zu sterben. Aber ich habe wohl übertrieben – was auch mal sein muss. Im Grunde habe ich vor, für immer zu leben. Ich will mindestens 120 werden."
    Anders: Ja, das ist natürlich ein schöner Witz, aber Tatsache ist: Bei Cohen ist natürlich auch in den letzten Jahren das Gefühl aufgekommen - viele seiner Freunde und Weggefährten sind gestorben, als letzte Marianne Ihlen, das ist die Dame aus "Goodbye, Marianne" [der Song heißt: "So Long, Marianne" - Anm. d. Red.], und das muss ihn also auch über die Jahre auch sehr, sehr mitgenommen haben.
    Siniawski: Dann hören wir rein: "You Want It Darker". Ein sehr melancholisches, trauiges Lied. Das erinnert mich ein bisschen an "Lazarus" von David Bowie, mit dem er sich kurz vor seinem Tod von seinen Fans verabschiedet hat. Auch Leonard Cohen war nach seinem Rückzug und späteren Comeback 2008 wieder musikalisch schwer aktiv, ähnlich wie Bowie. Hat er wohl schon gemerkt, dass ihm wenig Zeit bleibt? Wie sehen Sie das, Herr Anders?
    Anders: Ja, es ist wirklich diese Parallele zwischen den beiden Künstlern, dass sich beide bewusst gewesen sein müssen, dass ihnen so ein bisschen die Zeit wegläuft und dass sie die letzten Jahre, die sie haben, konsequent nutzen müssen. Und Cohen war in den letzten Jahren unglaublich aktiv. Der hat drei Alben in fünf Jahren aufgenommen - für seine Verhältnisse ist das Wahnsinn. Und er war auch auf Welttournee.
    Der hat also wirklich eine Mission in den letzten jahren verfolgt, nämlich: Gegen den ganzen Wahnsinn in der Welt anzusingen und sich auch ein bisschen nochmal nachhaltig in Erinnerung der Leute einzuprägen. Und das ganze mit Humor und, ganz wichtig, mit viel rotem Wein, Kaffee und Nikotin.
    Leonard Cohen: "Hat jemand eine Zigarette für mich? Es gibt heute nur noch wenige Orte, an denen man rauchen darf. Und ich habe das fast 50 Jahre lang getan – ehe ich vor 10 oder 15 Jahren aufgehört habe. Nur: Ich mag es. Und ich denke oft daran. Wie jetzt gerade."
    Anders: Er hat also mit 80 wieder angefangen, und er macht so ein bisschen ... die Situation in der Welt, sagt er, kann man daran ablesen, wie verrückt sie ist: Man darf nicht mal mehr rauchen.
    Siniawski: Auch da haben Sie uns einen passenden Song herasugesucht.
    Anders: Ja, "It Seemed The Better Way" vom neuen Album.
    Siniawski: Er hat sich ja erst ab 1967 mit seinem Debüt-Album "Songs of Leonard Cohen" dem Song-Schreiben zugewandt. Zuvor war er als Schriftsteller aktiv, hat Romane und Gedichte geschrieben - etwa sein Debütwerk "Let Us Compare Mythologies". War dies das Einzigartige an ihm, seine Art an Worten zu feilen?
    Anders: Ja, er war ein kritischer Kommentator unserer Zeit, ohne sich direkt, platt und offensichtlich zu äußern, sondern: Der Mann hat immer biblische Metaphern benutzt, schöne kunstvolle Worte, Bibelzitate. Es war wirklich Wortkunst, daran hat er bis zu 30 Jahre geschliffen, damals an "Hallelujah", aber er hat sich wirklich Mühe gegeben, Worte bis auf den Kern zurechtzustutzen und zu wählen.
    Leonard Cohen: "Die Tatsache, dass ich so lange an meinen Songs schreibe, ist leider keine Garantie dafür, dass sie auch besonders gut sind. Es ist eher die Art, wie ich arbeite. Und ich bin sehr langsam. Sprich: Bei mir passiert alles Tröpfchen für Tröpfchen."
    Anders: So, und es ist der Pferdefuß oder das Manko eines großen Poetes, eines Romantikers gewesen. Und deshalb hat er in 50 Jahren auch "nur" 14 Alben aufgenommen.
    Siniawski: Ja, Tröpfchen für Tröpfchen, so ist auch "Suzanne" entstanden, der Song, der ihn berühmt gemacht hat, mit dem er den Durchbruch schaffte – gewidmet seiner Freundin Suzanne Verdal. "Der Mann mit der knorrigen Stimme, der die Frauen besingt" - ein Mythos, der um Cohen herumgeistert. Wer war der Typ hinter diesem Image?
    Anders: Wie gesagt, dieses Images des "Ladies' Man" hat ihm natürlich mit Sicherheit auch geschmeichelt, aber es war ein sehr warmer, herzlicher und auch sehr, sehr witziger Mensch, der unglaublich humorvoll war. Natürlich immer mit dieser tiefen Bariton-Stimme, die einen auch sofort einnimmt.
    Er war ein tief religiöser Mensch. Hat auch in der israelischen Armee seinen Wehrdienst absolviert als Field Commander, also Feldkommandant, der "Field Commander Cohen". Hat aber auch gleichzeitig, was kaum einer wusste, an starken Depressionen gelitten, hat dann versucht, in einem Mönchskloster in Mount Baldy bei Los Angeles sich selbst zu kurieren, ist also auch zum Buddhismus übergetreten.
    Und diese ganze Diskussion mit Bob Dylan um den Nobelpreis hat bei mir eigentlich den Gedanken ausgelöst, und auch bei anderen Kollegen, die auf dieser Pressekonferenz waren: Warum wurde Leonard Cohen in all den Jahren nie für einen Friedensnobelpreis oder für den Literaturpreis nominiert?
    Siniawski: Wer weiß, vielleicht kommt das ja noch.
    Leonard Cohen: "Das ist sehr großzügig und nett. Ich will zwar nicht kommentieren, was er gesagt hat, aber ich kommentiere gerne, dass er den Nobelpreis erhält. Das ist, als ob man dem Mount Everest eine Medaille als höchstem Berg der Welt verleiht."
    Anders: Weil nämlich auch Bob Dylan mittlerweile erklärt hat, dass Leonard Cohen eigentlich diesen Preis verdient.
    Siniawski: Ja, Bob Dylan, immer für eine Pointe gut. Marcel Anders erinnerte an Leonard Cohen. Und welchen Song hören wir zum Abschluss?
    Anders: "Travelling Light" vom neuen Album. Und "Travelling Light" ist eine Anspielung auf seinen buddhistischen Glauben, das heißt: Er verlässt diese Welt mit wenig und lässt sich überraschen, was im nächsten Leben passiert.