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Zum Tod von Liu Xiaobo
Kritiker von Machtmissbrauch und Korruption

Der chinesische Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo hinterlässt ein umfangreiches Werk von elf Büchern sowie hunderte von Essays und Artikeln, die oft im Ausland und auf Englisch erschienen. Mit seiner Kritik traf er nicht nur die Kommunistische Partei Chinas, sie hatte globale Reichweiten.

Von Martin Zähringer | 13.07.2017
    Der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo im Jahr 2008.
    Der Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo im Jahr 2008. (dpa-Bildfunk / AP Video)
    Liu Xiaobo war ein Intellektueller von Format. Der Dichter, Essayist, Publizist und Professor für Literatur hinterlässt ein umfangreiches Werk. Elf Bücher und hunderte von Essays und Artikeln, die oft im Ausland und auf Englisch erscheinen mussten. In deutscher Sprache gibt es jedoch nur eine einzige Sammlung bei S. Fischer mit dem Titel: "Ich habe keine Feinde, ich kenne keinen Hass".
    Aber wenn der Idealist im freien Raum seines philosophischen Ethos keine Feinde hatte, so hatten sie doch ihn: Die ihm nicht Wohlgesinnten auf dem realen Kampfplatz der Politik haben ihn wegen Anstiftung zum Hochverrat angeklagt und für elf Jahre ins Gefängnis gesperrt. Aber gebeugt hat er sich nicht.
    Viele Gedichte seiner Frau gewidmet
    Ein Denker dieses Formats kann sich gar nicht beugen. Das erfährt man aus Liu Xiaobos Schriften. Relativ wenig sagen sie über ihn als Person: Er ist 1955 in Chanchun geboren und wuchs in der Volksrepublik China auf. In der Kulturrevolution arbeitete auch er mit dem einfachen Volk auf dem Land. 1988 promovierte er an der Pädagogischen Universität von Peking. Er war als Gastprofessor unter anderem in Oslo, Columbia und Hawaii tätig. Liu Xiaobo ist mit Liu Xia verheiratet, der viele seiner Gedichte gewidmet sind.
    Umso mehr hatte Liu Xiabo über die Verhältnisse zu sagen. Über eine aus seiner Sicht dekadente geistige Welt in China, die ihre Chancen nach der totalitären Zeit nicht wahrgenommen hat.
    Demonstranten tragen ein Plakat mit dem Bild und den Worten "Free Liu Xiaobo"
    Ein Bildnis Liu Xiaobos auf einer Solidaritätskundgebung (dpa-picture-alliance/Jerome Favre)
    Über die Korrumpierung eines Patriotismus, der egoistischer Gier und politischer Macht geopfert wird. Auch über seine Kollegen Schriftsteller und Professoren, denen er oftmals Mitläufertum vorwarf und über die materialistische Dekadenz im Zeichen des aufkommenden chinesischen Kapitalismus.
    Opfer der chinesischen Zensur
    Liu Xiaobos Kritik an Machtmissbrauch und Korruption traf nicht nur die Kommunistische Partei Chinas, sie hat globale Reichweiten. Er selbst ist ein Opfer der chinesischen Zensur, aber ein Blick auf die Weltkarte zur Lage der Pressefreiheit zeigt nicht nur China im schwarzen Bereich einer "sehr ernsten Lage", mehr als die Hälfte unserer Welt ist in dieser Hinsicht in "schwieriger Lage" und "sehr ernster Lage".
    Was kann Liu Xiabo für die Freiheit der Meinung erreichen? Hilft sein Plädoyer für eine reine Menschlichkeit, solche Finsternis zu erhellen? Eine einfache und klare Menschlichkeit, wie er sie 1989 bei den selbstlosen Hilfseinsätzen während der Räumung des Tiananmen-Platzes erlebt hat und beschreibt. Leider tritt schon in diesem brillanten Essay über "Die Mütter vom Tiananmen" der tragische Widerspruch zutage. Zitat:
    Von der Weltöffentlichkeit nahezu vergessen
    "Warum musste das Blut dieser einfachen Menschen nach dem 4. Juni noch hergenommen werden, um große und kleine Opportunisten zu ernähren, und es ein paar schamlosen Anhängern auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten zu erlauben, um die "Demokratiebewegung" zu rivalisieren."
    Schon diese Klage betrifft nicht nur innerchinesische Personalien. Es geht auch um die exilierten Kräfte der Demokratiebewegung. Und man muss bei diesen prophetischen Worten auch an die internationale Kampagne für Liu Xiabo denken, als er wegen der Verbreitung der Charta 8 angeklagt wurde, einem Papier, das freie Wahlen und eine politische Gewaltenteilung für China forderte. Damals gab es zahlreiche Interventionen von internationaler Seite, bis hin zur Verleihung des Friedensnobelpreises im Jahr 2010. Aber Liu Xiabo wurde zu elf Jahren Haft verurteilt, er hat keine effektive Hilfe zur Erlangung der Freiheit erfahren und wurde von der Weltöffentlichkeit nahezu vergessen.