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Zum Tod von Peter Liechti
Regie-Meister der unkonventionellen Themen

Typisch für den Regisseur Peter Liechti sei die klare Autorenhaltung in seinen Filmen gewesen, sagte Seraina Rohrer, Direktorin der Solothurner Filmtage, im DLF. Das Besondere an ihm: Seine Filme seien auf der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion angesiedelt.

Seraina Rohrer im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 07.04.2014
    Der Regisseur Peter Liechtik blickt aus einem Zimmer.
    Der Regisseur Peter Liechtik ist im Alter von 63 Jahren am 4. April 2014 gestorben. (dpa / Martin Ruetschi)
    Burkhard Müller-Ullrich: Der Schweizer Filmemacher Peter Liechti ist im Alter von 63 Jahren gestorben. Ein "eigenwilliger" Filmemacher, wie es in Porträts über ihn immer wieder heißt, wobei man sich natürlich fragen kann, ob nicht alle Filmemacher eigenwillig sind, ganz besonders die schweizerischen. Und ich habe diese Frage auch der Direktorin der Solothurner Filmtage, Seraina Rohrer, gestellt. Also was war das Ultraeigenwillige an Peter Liechti?
    Seraina Rohrer: Ich denke, das Ultraeigenwillige an Peter Liechti war ganz klar die Verbindung von einer Form mit dem Inhalt. Er hat sehr unkonventionelle Themen gewählt. Er hat teilweise Künstler porträtiert wie Roman Signer. Ihm ist es aber gelungen, bei diesen Künstlerporträts nicht einfach ein Porträt zu schaffen, sondern über die Form ist es eine Art Eintauchen in das Universum von Roman Signer oder aber auch von der Band oder dem Set Hardcore Chambermusic. Das heißt, die Verbindung von Stilelementen auf filmischer Ebene mit einer ganz klaren Autorenhaltung zu einem Thema, das hat wirklich Liechti ausgemacht.
    Müller-Ullrich: Weil Sie den Film über Roman Signer erwähnen: Das ist ja ein Konzeptkünstler. Der Film heißt "Signers Koffer". Verfolgt, begleitet er den Künstler einfach, oder was ist jetzt das besondere?
    Rohrer: Das besondere ist, dass man das Gefühl hat, nicht einfach ein Porträt vorgesetzt zu bekommen, sondern man hat das Gefühl, man verstehe am Schluss wirklich dieses Universum des Künstlers, seine Denkweise, seine Vorgehensweise, und das ist, was ich finde, macht sein Werk aus. Man hat das Gefühl, in die Figuren einzutauchen, und das, obwohl es sich hier um Dokumentarfilme handelt und nicht um Fiktion. Von demher wirklich eine ganz tolle Leistung.
    Müller-Ullrich: Auf dieser Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion hat er ja oft gearbeitet. Er bekam den Preis für den besten europäischen Dokumentarfilm für ein Kinostück, das nun tatsächlich kaum als Dokumentarfilm zu betrachten ist, nämlich im Grunde die Verfilmung, könnte man sagen, einer japanischen Erzählung.
    "Auf der Grenze zwischen Dokumentation und Fiktion"
    Rohrer: Die Rede ist in diesem Fall von "Sounds of Insects".
    Müller-Ullrich: Genau.
    Rohrer: Das ist in der Tat eine minutiöse Aufzeichnung eines Selbstmordes, der sehr unterschiedlich gelesen werden kann, der sehr auch radikal hier vorgeht. Und ich denke, das ist wirklich auch typisch Liechti: ein Manifest fürs Leben, genau hinzuschauen und dann doch immer wieder seine eigene Reflektion, seine eigenwillige Art, da auch reinzubringen. Das spürt man in diesem Film auch ganz schön, diese Autorenhaltung.
    Müller-Ullrich: Es ist ja fast ein bisschen makaber, jetzt anlässlich von Peter Liechtis Tod darüber zu sprechen, aber es handelt sich um einen Film über das Sterben. Es ist ein Selbstmord, wie Sie gesagt haben, durch Verhungern. Jemand, der einfach 40 Tage lang aussteigt aus der Zivilisation, nichts mehr isst und dann als Mumie gefunden wird.
    Rohrer: Genau. Das ist eine Art grauenhaftes Verenden. Aber trotzdem ist es so, wenn man diesen Film schaut, dass man nicht leidet, oder mir ging es auf jeden Fall so, sondern es ist hier wirklich ein Eintauchen in menschliche Abgründe, in existenzielle Themen. Und der Tod, das ist definitiv ein solches Thema, wobei man sagen muss, das ist schon eines von Liechtis härtesten Stücken, dieses "Sounds of Insects". Er hat auch immer wieder leichtere Töne angeschlagen.
    Müller-Ullrich: Und man sieht weder den Toten, noch die Todeswerkzeuge. Alles passiert im Kopf des Zuschauers.
    Filmstill aus dem Dokumentarfilm "Vaters Garten - Die Liebe meiner Eltern" von Peter Liechti.
    Filmstill aus dem Dokumentarfilm "Vaters Garten - Die Liebe meiner Eltern" von Peter Liechti. (Crossing Europe)
    "Mein Lieblingsfilm ist immer mein letzter Film"
    Rohrer: Genau.
    Müller-Ullrich: Welches ist Ihr Lieblingswerk bei Peter Liechti?
    Rohrer: Ich habe genau diese Frage auch Peter Liechti dieses Jahr gestellt. Er war ja Ehrengast bei uns an den Solothurner Filmtagen. Und Peter Liechti hat mir da eine wunderbare Antwort gegeben: "Mein Lieblingsfilm ist immer mein letzter Film". Und ich muss ganz ehrlich sagen, mir geht es ein bisschen ähnlich im Moment bei seinen Filmen. Obwohl ich alle sehr gerne mag, ist natürlich der Film "Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern" sehr präsent, weil er auch wirklich aus dem Leben gegriffen ist, aus dem Leben dieser Eltern, die sich lieben, die sich streiten. Ich würde sagen, dieser Film "Vaters Garten", der provoziert, weil er so genau hinschaut, dass es einem beim Schauen unangenehm wird. Ich habe so einen Dokumentarfilm wirklich noch nie gesehen. Es ist überraschend und auch trotzdem erschaudernd.
    Müller-Ullrich: Seraina Rohrer, Direktorin der Solothurner Filmtage, über den Filmemacher Peter Liechti, der 63-jährig gestorben ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.