Freitag, 19. April 2024

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Zum Tode von Andreas Schockenhoff
"Der Russlandpolitik ein richtiges Profil gegeben"

Der langjährige CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz rechnet nach dem überraschenden Tod seines Parteifreundes Andreas Schockenhoff mit einer Kontinuität in der Russlandpolitik der Bundesregierung. In der Tonalität mag es Unterschiede gegeben haben, in der Sache nicht, sagte Polenz im DLF.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Bettina Klein | 15.12.2014
    Dr. Andreas Schockenhoff (Stellvertretender Vorsitzender der Bundestagsfraktion CDU/CSU)
    Starb im Alter von 57 Jahren: Unions-Fraktionsvize und Außenpolitiker Andreas Schockenhoff (imago/Müller-Stauffenberg)
    Er habe es noch nicht verdauen können, sagte Ruprecht Polenz über den Tod des Russlandbeauftragten der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff. Noch am Dienstag habe er mit diesem gesprochen.
    "Andreas hat der Russlandpolitik der Union ein richtiges Gesicht gegeben", so Polenz. Für den langjährigen Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses ist mit einem Richtungswechsel in der Ostpolitik der Union allerdings nicht zu rechnen. Schockenhoff habe einen anderen Ton angeschlagen als andere in der Bundesregierung. In der Sache aber sei man sich einig gewesen.
    "Putin ist nicht Gorbatschow"
    Polenz erneuerte seine Kritik an dem Prominenten-Appell für eine Entspannungspolitik mit Russland. Hier werde so getan, als ob der Frieden bewahrt werden müssen. "Nein, der Frieden muss wiederhergestellt werden", sagte Polenz. Die Unterzeichner des vom früheren Kanzlerberater Horst Teltschik initiierten Appells würden verkennen, dass "Putin nicht Gorbatschow ist und das Russland von heute nicht das, das sie kennen". Mit ihrem Vorstoß seien die Politiker auch der russischen Menschenrechtsbewegung in den Rücken gefallen.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Diese Nachricht drang gestern am frühen Nachmittag an die Öffentlichkeit. Sie hat viele erschüttert, die diesen Politiker persönlich kannten, und sicher viele nachdenklich gemacht, denen er zumindest aus Interviews ein Begriff war. Der CDU-Politiker Andreas Schockenhoff ist am Wochenende im Alter von 57 Jahren überraschend verstorben. Er war einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, zuständig für Außenpolitik, und er hatte sich längst einen Namen gemacht als Stimme zur Russland-Politik, zur Ukraine-Krise. Nicht zuletzt war er vor Gernot Erler Russland-Koordinator der Bundesregierung. Er hatte zuletzt für schärfere Sanktionen und insgesamt für deutlichere Worte Richtung Moskau plädiert. - Am Telefon ist jetzt der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz. Er ist heute unter anderem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Guten Morgen, Herr Polenz.
    Ruprecht Polenz (CDU) ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, dem er seit 1994 angehört.
    Ruprecht Polenz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde (ruprecht-polenz.de)
    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Für Sie auch eine überraschende, eine erschütternde Nachricht gewesen gestern?
    Polenz: Ja. Ich konnte es erst gar nicht glauben. Ich habe ihn noch am Dienstag letzter Woche auf dem Bundesparteitag getroffen. Wir haben fast 20 Jahre lang als Außenpolitiker im Auswärtigen Ausschuss sehr eng und freundschaftlich zusammengearbeitet und wir hatten uns jetzt auch noch verabredet für das eine oder andere. Es war völlig überraschend und mein Mitgefühl gilt seinen Kindern und seiner Familie. Ich habe es noch nicht richtig verdauen können.
    Klein: Die Öffentlichkeit hat ja Anteil genommen an seinem Schicksal, als er sich zu seiner Alkoholkrankheit bekannte und dazu, wie er sie besiegte. Niemand hatte offenbar einen Eindruck, dass es ihm schlecht ging. Gab es irgendwelche Anzeichen, die darauf jetzt hingedeutet haben?
    Polenz: Nein. Wie gesagt, wir haben am Dienstag miteinander geredet. Ich hatte den Eindruck, er ist wie immer und hat Pläne und Vorstellungen und darüber haben wir geredet. Es ist völlig überraschend für mich gewesen wie für, glaube ich, alle.
    Klein: Was heißt dieser Verlust für die Unions-Fraktion jetzt, für die Russland-Politik der Union? Mit welcher Stimme spricht die CDU künftig?
    Klein: Nun, Andreas hat der Russland-Politik der CDU-Fraktion ein besonderes, gut sichtbares und richtiges Profil gegeben und es wird dann die Aufgabe der Fraktion sein, in diesem Sinne auch weiterzuarbeiten. Das wird sie aber sicherlich jetzt nicht sofort entscheiden, wie das personell in den Funktionen weitergeht, die Herr Schockenhoff hatte, sondern da wird man sich ein bisschen Zeit lassen. Es ist jetzt erst mal die Beisetzung und dann, denke ich, wird die Fraktion Anfang des neuen Jahres eine Entscheidung treffen.
    "Tonalität zum Teil unterschiedlich, in der Sache aber gleich"
    Klein: Herr Schockenhoff hat sich gerade in den vergangenen Tagen, Wochen und Monaten immer wieder sehr stark, sehr profiliert zur Russland-Frage, zur Ukraine-Krise geäußert. Er lag da teilweise inhaltlich durchaus über Kreuz mit dem Koordinator der Bundesregierung, mit Gernot Erler von der SPD. Manchmal hängen solche Profilierungen ja tatsächlich an Einzelpersonen. Gehen Sie davon aus, dass das ähnlich formuliert werden wird auch in Zukunft?
    Polenz: Nun, ich wollte zunächst schon darauf hinweisen, dass die Politik der Bundesregierung, insbesondere auch der Bundeskanzlerin sich vielleicht in der einen oder anderen Tonalität von dem unterschieden hat, was Herr Schockenhoff gesagt hat, aber nicht in der Sache. In der Sache sieht die Bundeskanzlerin sehr klar, dass es darum geht, die Aggression Russlands gegen die Ukraine zu stoppen. Wir haben einen Krieg im Osten der Ukraine, der von Russland verdeckt gegen die Ukraine geführt wird. Den muss man versuchen zu beenden. Da das nicht mit militärischen Mitteln geht - es wird kein militärisches Eingreifen etwa der NATO geben, das ist klar. Es geht also nicht mit militärischen Mitteln. Deshalb sind die Sanktionen richtig und wichtig, um Russland zu einer veränderten Kosten-Nutzen-Überlegung in der Frage zu bringen, und ich denke, dass diese Politik auch weiter von der Fraktion getragen wird und auch von der Bundesregierung fortgesetzt wird.
    Klein: Er hat sich ja sehr stark profiliert, gerade auch an der Seite von Grünen-Politikerinnen und Politikern wie zum Beispiel Marieluise Beck oder Ralf Fücks. Er hat sich sehr stark dafür eingesetzt, dass beim Petersburger Dialog mehr zivilgesellschaftliche Kräfte wieder zum Tragen kommen. Auch beim Deutsch-Russischen Forum hatte er Kritik anzumelden. Eine solch kritische Stimme wird die Unions-Fraktion wieder finden, das glauben Sie sicher?
    Polenz: Ich denke, dass, was den Petersburger Dialog angeht, sich inzwischen alle einig sind, dass es dort Reformen braucht. Ich habe zum Beispiel auch mit Herrn Erler vor einiger Zeit darüber gesprochen, der sieht die Dinge auch so. Und es sind ja auf deutscher Seite in den vergangenen Jahren die eine oder andere Stiftung dort ausgestiegen, weil sie gesagt hat, so wie das jetzt läuft erreichen wir das Ziel, einen wirklichen Dialog der Zivilgesellschaften zu bekommen, nicht, da muss sich etwas ändern: einmal auf deutscher Seite, aber natürlich auch auf russischer Seite. Das wird man jetzt sehen, ob es zu diesen Veränderungen kommt.
    Petersburger Dialog: Personalentscheidungen noch ungewiss
    Klein: Herr Polenz, können wir davon ausgehen, dass auch Sie im Deutsch-Russischen Forum künftig eine aktivere Rolle spielen werden?
    Polenz: Nun, ich bin Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Das ist eine Gesellschaft, die ist 100 Jahre alt und da sind die Professoren und Dozenten Mitglied, die sich mit Osteuropa-Forschung beschäftigen. Insgesamt haben wir fast tausend Mitglieder in Deutschland. Aus der Arbeit dieser Gesellschaft und den Erkenntnissen, die sie gewinnt, ergibt sich natürlich, dass man sich dann auch zu der einen oder anderen Frage in Osteuropa und auch in Russland äußert, und ich beteilige mich an diesen Diskussionen, das ist klar.
    Klein: Sie beteiligen sich an diesen Diskussionen inhaltlich jedenfalls. Jetzt muss ich doch noch mal fragen: Es geht ja auch um die Rolle, die bisher Matthias Platzeck gespielt hat, auch Lothar de Maizière. Gehen Sie davon aus, dass es einen Personalwechsel dort geben wird und dass Sie möglicherweise dort die Nachfolge antreten?
    Polenz: Das weiß ich nicht. Beim Petersburger Dialog gibt es ja einen Verein, der entscheidet, wie er sich aufstellt. Aber es gibt auch Überlegungen, diesen Verein ein bisschen zu ändern. Das muss man abwarten, was dabei rauskommt. Ich engagiere mich im Rahmen der Möglichkeiten, die es jetzt nach meinem Ausscheiden aus dem Parlament dort gibt - ich habe ja nicht wieder kandidiert vor anderthalb Jahren - und das mache ich gerne, weil ich es auch für notwendig halte, in einer bestimmten Weise noch weiter mitzuwirken, Einfluss zu nehmen gerade auch in solchen Fragen, über die wir gerade reden.
    Klein: Das werden wir also abwarten müssen, welche Personalentscheidungen es da möglicherweise gibt. - Herr Polenz, ich würde gern noch mal mit Ihnen reden über einen Appell aus der vergangenen oder schon vorvergangenen Woche, der sogenannte "Appell der 60". Initiatoren waren Horst Teltschik, Walther Stützle und Antje Vollmer. Viele Prominente haben dort unterschrieben, unter anderem der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, und das Ziel dieses Appells ist ein Dialog mit Russland. Wir haben gestern Abend im ZDF auch noch mal Walther Stützle, den früheren Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium hören können, der versucht hat, das noch mal zu begründen und zu sagen, bei allen Erweiterungen von NATO und EU Richtung Osten hat man immer darauf geachtet, Russland mit einzubeziehen, es gibt eine stabile Friedensordnung in Europa nur mit Russland, nur beim Thema Ukraine ist das nicht ganz so entschieden verfolgt worden. Es gibt da inzwischen einen Gegenaufruf, aber was spricht denn gegen diesen Appell Ihrer Meinung nach?
    "Putin ist nicht Gorbatschow"
    Polenz: Natürlich möchte jeder Frieden, aber es spricht zum einen - ich habe mich ja in der "Zeit" auch zu diesem Aufruf kritisch geäußert - dagegen, dass er so tut, als müsse der Frieden nur bewahrt werden. Er muss wiederhergestellt werden, weil wir im Augenblick einen verdeckten Krieg in der Ostukraine haben, den Russland gegen sein Nachbarland führt mit Hilfe der sogenannten Separatisten, und das ist eine ganz andere Ausgangslage, als sie dieser Aufruf der 60 suggeriert.
    Und das Zweite ist: Es gibt auch immer intensive Dialogbemühungen. Der Außenminister, die Bundeskanzlerin hängen ja praktisch dauernd am Telefon und versuchen, die russische Seite davon zu überzeugen, zu den Prinzipien zurückzukehren, auf denen der Frieden in Europa beruht und die Russland auch selbst unterschrieben hat, und das sind die Prinzipien der KSZE-Schlussakte. Da steht drin, territoriale Integrität, Unverletzbarkeit der Grenzen, Geltung der Menschenrechte, keine Gewalt, und all diese Dinge hat Russland verletzt und zu diesen Prinzipien muss Russland zurückkehren. Das muss man schon klar und deutlich sagen und nicht ganz allgemein von Entspannung reden, die jeder will, aber die auf Voraussetzungen beruht, die die eine Seite im Augenblick nicht erbringt.
    Klein: Herr Polenz, aber vielen fällt schon auf, dass sich auch in diesem Appell ehemalige Politiker oder Funktionsträger zu Wort melden, die durch sehr viel schwierigere Zeiten auch in Europa gegangen sind, durch die Zeiten des Kalten Krieges, und darauf hingewiesen haben, es hat selbst in dieser Zeit enge Verbindungen, enge Kontakte damals in die Sowjetunion gegeben. Können Sie verstehen, dass viele das durchaus zum Nachdenken finden, was solche Leute mit viel Lebenserfahrung auf der politischen Bühne jetzt aktuell zu sagen haben?
    Polenz: Ja, ich kann das verstehen. Aber was ich auch sehe ist, dass die Unterzeichner dieses Aufrufs davon ausgehen, es sei noch dasselbe Russland, mit dem sie damals zu tun hatten. Aber Putin ist nicht Gorbatschow und das Russland, das sie gekannt haben, ist heute ein anderes. Es ist ja auch so und da gibt es russische Stimmen, die sagen: Die Krim-Operation hat vor allen Dingen mit russischer Innenpolitik zu tun, weil Putin auf diese Weise dabei ist, einen äußeren Feind zu schaffen und die Bevölkerung gegen diesen äußeren, vermeintlich äußeren Feind, den Westen, hinter sich zu versammeln, weil er nicht mehr in der Lage ist, durch die fallenden Ölpreise weiterhin Wohlstand für sein Land zu generieren. Das ist das Problem, was, glaube ich, die Verfasser dieses Aufrufs gar nicht angesprochen haben und dass sie auch der russischen Demokratie- und Menschenrechtsbewegung mit ihrem Aufruf ein Stück weit in den Rücken gefallen sind.
    Klein: Ruprecht Polenz heute Morgen im Deutschlandfunk unter anderem zur Russland-Politik nicht nur, aber auch seiner Partei, der CDU. Danke Ihnen für das Gespräch heute Morgen, Herr Polenz.
    Polenz: Bitte schön. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.