Dienstag, 23. April 2024

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Zum Tode von Sylke Tempel
"Streitbar, aber auf positive Art"

Sylke Tempel sei als Außenpolitik-Expertin herausragend gewesen, sagte die freie Autorin Silke Mertins im Dlf-Gespräch: "Die Art von Expertise war einmalig".

Silke Mertins im Gespräch mit Michael Borgers | 09.10.2017
    Portraitaufnahme Sylke Tempel bei "Anne Will"
    Mit 54 Jahren gestorben: Sylke Tempel (dpa / Karlheinz Schindler)
    Michael Borgers: Die Anteilnahme am Tod von Sylke Tempel war groß. Mal abgesehen von der "Bild"-Zeitung, die meinte, in großen Lettern die renommierte Journalistin auf eine Freundin von Außenminister Sigmar Gabriel reduzieren zu müssen, hoben andere vor allem die große Expertise Tempels hervor. So bezeichnete sie die Russland-Korrespondentin Golineh Atai als "Vorbild". Und nannte sie der ehemalige Welt-Chefredakteur Thomas Schmid eine "unverwechselbare Stimme in außenpolitischen Debatten". Auch die freie Journalistin Silke Mertins kannte und schätzte Sylke Tempel.
    Silke Mertins: Also, ich denke, dass der Verlust nicht nur riesig - was ihre Person angeht, sondern, dass auch die Art von Expertise, die Sylke Tempel mitbrachte, eigentlich einmalig ist. Und die Lücke, die sie hinterlässt, nicht zu schließen ist, weil es nur ganz wenige gab, die, wie Sylke Tempel, über den Tellerrand der eigenen Expertise hinausblicken konnten. Also, die sich nicht nur in USA, in Nahost, in Europa gut auskannte, sondern auch die großen Linien zeichnen konnte. Also, sagen wir mal als Beispiel: Der Umgang mit Nordkorea. Da hatte sie gleich im Blick: was wird denn das für den Iran bedeuten? Es gibt ja viele Expertinnen und viele Journalisten, die sich mit dem einen oder anderen auskennen, aber Jemand, der das alles zusammenbringen kann - von denen gibt es einfach unheimlich wenige. Und deswegen ist der Verlust auch so besonders schmerzlich.
    "Kluges Herumnörgeln war ihr immer zu wenig"
    Borgers: Ihre Expertise war internationale Politik. So heißt auch die Zeitung, deren Chefredakteurin Sylke Tempel auch seit 2008 war. Wie hat sie diese Zeitung seitdem entwickelt?
    Mertins: Also, was da besonders auffällig war, dass sie das viel frischer und mit einem ganz anderen Ansatz gemacht hat. Also, als ein Beispiel könnte ich vielleicht nennen: Ein Heft, das vor Kurzem erschienen ist - vor ein paar Monaten - das hat sie genannt: "Aufbau Nahost. Wie kann die EU ihre Nachbarschaft stabilisieren?" So ein Titel war typisch für sie. Also, dass sie nicht nur zum einen ausdrücken wollte: Außenpolitik ist überhaupt nicht langweilig. Das kann ganz frisch und interessant sein, aber auch, dass sie so lösungsorientiert war. Also, dieses – was man aus der Altherrenriege kennt - die, über viele Jahre Außenpolitik erklärt hat, hinausgeht. Dieses kluge Herumnörgeln - das war ihr immer zu wenig. Und das ist, glaube ich, etwas, was sie in der Art und Weise, wie sich internationale Politik verändert hat, was ihr ein Leitsatz war: Dass sie auch Außenpolitik erklären wollte, mit einem gewissen missionarischem Eifer fast, dass es für jeden interessant ist. Dass die wichtigsten Diskussionen auch dort geführt werden. Und dadurch internationale Politik, zumindest für die außenpolitische Community sozusagen, so etwas wie ein Leitmedium wurde. Also, es wurde wichtiger. Es wurde viel mehr gelesen als das vorher der Fall war. Und sie hat auch viel mehr Autoren, die sonst nicht typischerweise geschrieben haben, mit reingezogen. Sie war unglaublich gut vernetzt. Das ist auch etwas, was wirklich einmalig an ihr war: wie viele Leute sie kannte. Also, das drückt sich ja auch in dieser großen Anteilnahme aus, dass sie zu jedem Kontakt aufbauen kann. Und auch ansteckend war in ihrer Begeisterung für Außenpolitik.
    Herausragend in ihrem Metier
    Borgers: Sie sprachen eben die Altherrenriege an. Was hat das für ihr Arbeiten bedeutet - ihre Stellung als Frau - in dieser sonst so männerdominierten Welt?
    Mertins: Ja, also Sylke Tempel war so ein bisschen wie eine Angela Merkel der außenpolitischen Community. Sie hat um das Frauenthema eigentlich nie Aufhebens gemacht, das nie zum Thema gemacht. Sie ist einfach so aufgestiegen, weil sie gut war. Aber trotzdem hat sie das einfach anders gemacht und hat nicht sozusagen diese Art übernommen, also dieses kluge Herumnörgeln. Das hat sie einfach anders gemacht - und ich will jetzt gar nicht sagen weiblicher. Es gibt einfach ganz wenige Frauen nur in diesem Metier und schon deshalb war sie herausragend. Sie war ja auch deshalb - nicht, weil sie eine Frau war, sondern, weil sie eine kluge Frau war, unheimlich begehrt und immer ausgebucht, was die Moderation von Veranstaltungen anging und was sie als Gesprächspartnerin in TV-Runden und anderen Debatten, gerade auch im Deutschlandfunk war. Da war sie immer sehr ausgebucht, weil sie das gut machte und anders machte als viele vor ihr oder neben ihr - wenn man so will.
    Kritischer Blick auf beide Seiten, habe Sylke Tempel ausgezeichnet
    Borgers: Sylke Tempel war begehrt. Sie war klug, sie war aber auch streitbar. Das wird jetzt auch deutlich in den Nachrufen auf sie.
    Mertins: Auf jeden Fall. Also, das ist auch etwas, was ich persönlich an ihr geschätzt habe. Also, gerade wenn man so in Nahost - ist ja eines der wichtigsten, aber gleichzeitig auch der schwierigsten Korrespondentenstellen. Ich denke, man kann so was nur gut machen, wenn man eine gewisse Sympathie für beide Seiten mitbringt, aber auch einen kritischen Blick für beide Seiten. Das war bei Sylke Tempel ganz deutlich zu merken. Das hat sie einfach ausgezeichnet. Sie war in vieler Hinsicht pro-israelisch, aber das bedeutete ja nicht, dass sie anti-palästinensisch war. Und sie hat sich für eine Zwei-Staaten-Lösung eingesetzt, aber hätte jetzt nie durchgehen lassen, wenn irgendwer in einer Gesprächsrunde auch nur angedeutet hätte, dass er das Existenzrecht Israels infrage gestellt hätte. Solche Dinge würde sie nie durchgehen lassen und in neuerer Zeit war das eher die Putinversteher, die Annexionen der Krim, der Umgang mit der Ukraine. Das hat sie oft ungeheuer aufgebracht. Es wäre ihr nie in den Sinn gekommen, so etwas hinzunehmen, nur um die Freundschaft mit Russland harmonisch zu halten. Also, - in der Hinsicht - sie stand in ihren Werten und in ihren Überzeugungen wirklich ganz fest da: verlässlich und nicht harmoniesüchtig, aber streitbar auf eine wirklich sehr positive Art und Weise.
    Borgers: Die Journalistin Silke Mertins war das zum Tod ihrer Kollegin Sylke Tempel, die vergangenen Donnerstag während des Sturmtiefs Xavier ums Leben gekommen ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.