Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


"Zumindest nichts Neues"

Wie viel Einmischung darf sein? Nach dem Plädoyer für einen EU-Beitritt der Türkei von US-Präsident Barack Obama beschwichtigt der CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses macht aber auch deutlich, dass dies eine Entscheidung der Europäer sei.

Von Bettina Klein | 08.04.2009
    Bettina Klein: Der amerikanische Präsident wollte deutlich sein. Die USA unterstützen den türkischen Wunsch, die türkische Bewerbung um Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Bei allem Jubel über die Obama-Reise auch in Deutschland, mit dieser Klarheit hat der neue US-Präsident sich hier nicht nur Freunde gemacht. Einige Unions-Politiker etwa verbaten sich eine derartige Einmischung. Das Verhältnis zur Türkei war ein wichtiger Programmpunkt bei Obamas Europa-Reise, der er gestern noch einen Abstecher in den Irak hinzufügte, bevor er sich dann am Abend auf den Heimweg begab. - Am Telefon ist jetzt Ruprecht Polenz, CDU-Bundestagsabgeordneter, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses. Guten Morgen, Herr Polenz.

    Ruprecht Polenz: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Ist es richtig, dass der Präsident der Vereinigten Staaten so klar seinen Wunsch in Europa benennt?

    Polenz: Es ist zumindest nichts Neues, denn die USA haben den türkischen Wunsch auf eine EU-Mitgliedschaft schon immer unterstützt. Das hat George Bush getan, das hat Clinton getan, und das tut jetzt auch Obama. Also insofern hat sich an der amerikanischen Position, aus geostrategischen Gründen einen EU-Beitritt der Türkei für richtig zu halten, nichts geändert.

    Klein: Aber so deutlich haben sich Politiker der Union zum Beispiel, glaube ich, noch nicht geäußert, als sie das als "unangebrachte Einmischung" gewertet haben. Trifft denn dieser Vorwurf zu, oder nicht?

    Polenz: Nein. Ich glaube nicht, dass man von Einmischung sprechen kann. Erstens hat Obama in der gleichen Rede gesagt, dass natürlich die USA darüber nicht entscheiden würden, aber dass sie ihre Meinung zu dieser Frage sagen. Das darf man unter Freunden und Partnern sicherlich erwarten. Wir sagen auch zu vielem unsere Meinung, was die USA betrifft und was die USA zu entscheiden haben beispielsweise. Also als Einmischung würde ich es nicht sehen, aber natürlich muss man die Amerikaner darauf hinweisen, dass Mitgliedschaft in der Europäischen Union auch das gemeinsame Leben einer Werteordnung bedeutet und dass davon die Türkei noch ein gutes Stück entfernt ist, auch wenn wir mit ihr gerade Beitrittsverhandlungen führen.

    Klein: Der CSU-Spitzenkandidat für die Europawahl Ferber sagte, es ist alleine Sache der Europäer, wie die EU ihre Beziehungen zur Türkei gestaltet. Parteichef Seehofer etwa sagt, Obama sollte seine Position noch mal überdenken. Weshalb, Herr Polenz, ist es denn Ihrer Meinung nach nicht nur eine Sache der Europäer, darüber zu entscheiden?

    Polenz: Nein, es ist natürlich eine Sache der Europäer, darüber zu entscheiden, aber die Europäer sind auch gewöhnt - und das passiert doch in vielen anderen Fragen auch -, dass auch diejenigen, die an den Entscheidungen nicht unmittelbar beteiligt sind und an ihnen nicht teilnehmen, uns trotzdem ihre Meinung sagen. Das tut Russland gelegentlich und jetzt haben es die Amerikaner gemacht. Ich glaube, es ist mehr ein Punkt in der Sache, dass die Unions-Politiker, die sich jetzt so geäußert haben, in der Sache sehr starke Vorbehalte gegen diesen, ich nenne es mal, Ratschlag des amerikanischen Präsidenten haben. Das ist verständlich, wenn man nicht für eine Vollmitgliedschaft, sondern für eine privilegierte Partnerschaft eintritt, dass man sagt, wir wollen eigentlich was anderes als der amerikanische Präsident, und dass man sich dann mit dieser Meinung auch öffentlich äußert.

    Klein: Sind es denn Vorbehalte, die Sie uneingeschränkt teilen, gegen eine Vollmitgliedschaft?

    Polenz: Ich persönlich gehöre ja zu der Minderheit in der CDU, die dann eine faire Chance auch für eine Vollmitgliedschaft für die Türkei für richtig hält, wenn erstens die Türkei voll inhaltlich die Kopenhagener Beitrittskriterien nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Lebenswirklichkeit erfüllt - davon ist sie noch ein Stück weit entfernt -, und wenn zweitens die Europäische Union aufnahmefähig ist auch für ein so großes Land. Dass ist sie in der gegenwärtigen Situation vor dem Lissabon-Vertrag und ohne, dass dieser ratifiziert ist, auch nicht. Also zwei wichtige Voraussetzungen für einen EU-Beitritt der Türkei sind im Augenblick auch nach meiner Meinung nicht gegeben, aber wenn sie gegeben wären, wäre ich für eine faire Chance auch für eine Vollmitgliedschaft. Das ist meine bekannte Position in der Union, die dort allerdings eine Minderheitsposition ist.

    Klein: Weshalb folgt man Ihren Argumenten dort nicht?

    Polenz: Nun, das gibt es gelegentlich. Ich bin ja sozusagen auch nicht der einzige in Europa, der diese Position für richtig hält. Es gibt in Deutschland in anderen Parteien welche, die sie für richtig halten; es gibt in anderen Ländern Europas - nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den skandinavischen Ländern, in osteuropäischen Ländern - mehrheitliche Auffassungen, die das mit der Türkei so sehen. Aber es ist auch wahr - und das weiß die Türkei auch -, dass beispielsweise in Frankreich, in Deutschland, in den Niederlanden, auch in Österreich - die Stimmung in der Bevölkerung auch relativ stark gegen einen EU-Beitritt der Türkei eingenommen wird.

    Klein: Könnte es sein, dass dieses sehr deutliche und sehr offen ausgesprochene Plädoyer des amerikanischen Präsidenten dazu führen könnte, dass man doch im Sinne der transatlantischen Freundschaft sich jetzt doch ein wenig mehr hin zu einer Akzeptanz einer Vollmitgliedschaft hinbewegen wird in der Union?

    Polenz: Das glaube ich weniger, dass das jetzt unmittelbaren Einfluss hat. Viel wichtiger ist, dass die Türkei selbst ihre Schularbeiten macht, hätte ich jetzt beinahe gesagt, dass sie den Reformprozess, der mit der Regierung Erdogan, als sie ins Amt kam, recht kraftvoll begonnen hat, in der Zwischenzeit aber ziemlich abgeebbt ist - teilweise hat es auch erhebliche Rückschritte gegeben -, fortführt, dass man wieder Ernst macht mit dem Weg nach Europa, dass vor allem die Türkei endlich das Ankara-Protokoll ratifiziert, was sie mehrfach versprochen hat, und zypriotische Schiffe in ihre Häfen lässt, auch wenn der Zypern-Konflikt bis dahin noch nicht komplett gelöst sein sollte, und dass natürlich auf der anderen Seite wir den Lissabon-Vertrag brauchen. Den braucht man übrigens auch dann, wenn die Türkei nicht Mitglied der Europäischen Union werden sollte.

    Klein: Inhaltlich ist die Kritik ja auch an der Position festgemacht worden, die jetzt Erdogan noch mal vertreten hat, die sich eben gegen den künftigen NATO-Generalsekretär, dem Dänen Rasmussen, wandte. So eine Art des Vorgehens könnte auch, so die Befürchtung, ein Vorbild für eine Haltung sein, die eben ein EU-Mitglied Türkei dann auch in anderen Fragen den anderen Mitgliedern der Europäischen Union aufdrängt. Sind wir dadurch dann eigentlich doch eher bei Rückschritten gelandet, was die Bewegung hin auf eine Mitgliedschaft der Türkei angeht?

    Polenz: Das ging ja um die Frage des NATO-Generalsekretärs, eine Frage, die nicht unmittelbar mit der Europäischen Union zu tun hat. Aber sicherlich war dieses Verhalten der Türkei, sich allein gegen alle anderen NATO-Mitgliedsländer zu stellen, vor allen Dingen auch noch mit dem Argument, man habe ihm die Veröffentlichungen der Mohammed-Karikaturen übel genommen, etwas, was so nicht geht, was man zurückweisen musste und was ja letztlich auch nicht zum Erfolg geführt hat, denn es ist selbstverständlich, dass ein Ministerpräsident eines europäischen Landes für die Pressefreiheit einzutreten hat. Auf der anderen Seite verstehe ich schon die türkische Sorge wegen des kurdischsprachigen Senders Roj TV, der von Dänemark aus sendet und der der Terrororganisation PKK ein willfähriges Sprachrohr ist, und dass die Türkei hier eine Antwort in der Sache verdient hat, finde ich allerdings auch.

    Klein: Noch mal grundsätzlich gefragt; Sie haben es angedeutet. Die Linie der USA, sich für eine EU-Mitgliedschaft der Türkei stark einzusetzen, ist nicht neu. Sie erwächst aus strategischen Gesichtspunkten, aber sie entspringt auch der Erfahrung der Amerikaner als Einwandererland, in dem bekanntlich viele Religionen und Ethnien zusammenleben, so dass Strategen in Washington mitunter die Stirn runzeln, wenn sie etwa das Argument hören, mit einem Türkei-Beitritt würde es plötzlich so viele Muslime in der EU geben. Können wir von diesem Standpunkt etwas lernen, oder ist das eine völlig andere Situation?

    Polenz: Nein. Ich glaube nicht, dass das ein Argument überhaupt sein kann. Ich glaube auch nicht, dass es ein tragendes Argument in der Diskussion um die Türkei ist. Wir haben ja in dem Stabilitätspakt für den Balkan auch Ländern wie Albanien und Bosnien-Herzegowina die EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, beides bekanntlich ebenfalls muslimische Länder. Also es ist selbstverständlich keine Religionsfrage, aber es ist eine Wertefrage und man muss die Werte der Europäischen Union leben und achten. Beispielsweise der Streit um die Meinungsfreiheit, um die Pressefreiheit, jetzt auch wieder ausgetragen auf dem NATO-Gipfel, das ist schon ein Punkt, der uns Europäern wichtig ist, und da muss sich die Türkei noch ein ganzes Stück bewegen, auch in ihrem Strafrecht, was es übereifrigen Staatsanwälten immer wieder möglich macht, wegen angeblicher Verletzung des Türkentums Journalisten und andere mit Strafverfahren zu überziehen.

    Klein: Herr Polenz, Barack Obama hat versucht, natürlich und auch nicht ohne Erfolg offensichtlich versucht, ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen den USA, der muslimischen Welt im Allgemeinen und dem Land der Türkei - vielleicht kann man sagen im besonderen - aufzuschlagen. Der Freude darüber, dass das möglicherweise gelungen ist, dass ein Geist des Dialoges, der Versöhnung eingezogen ist, steht gegenüber die Angst vieler Israelis dahingehend, dass sie eben nicht mehr in der Weise wie bisher wirklich stark unterstützt werden von den USA. Sehen Sie Befürchtungen dieser Art als gerechtfertigt an?

    Polenz: Nein. Die USA werden weiterhin an der Seite Israels stehen, so wie im Übrigen Deutschland und die Europäische Union auch. Allerdings gibt es jetzt schon einen erkennbaren Dissens zwischen der neu gewählten israelischen Regierung und Barack Obama, denn Obama hat in seinen Reden deutlich gemacht, dass für ihn der Weg zum Frieden im Nahen Osten über eine Zwei-Staaten-Lösung mit Israelis und einem palästinensischen Staat führt, und bekanntlich kommt ja das Wort vom palästinensischen Staat der Regierung Netanjahu nicht über die Lippen. Auch der Annapolis-Prozess, den Obama zur Grundlage seiner Initiativen für eine Friedenslösung weiterhin machen will, der wird von dem neuen israelischen Außenminister im Augenblick expressis verbis sogar abgelehnt. Also da sind Spannungen vorgezeichnet und ich denke, wir haben alle ein gemeinsames Interesse daran, dass es Obama und auch uns Europäern gemeinsam gelingt, die Israelis von der Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung und eines Palästinenserstaates zu überzeugen, auch die jetzt ins Amt gekommene neue israelische Regierung.

    Klein: Der CDU-Außenpolitiker Ruprecht Polenz. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Herr Polenz.

    Polenz: Bitte schön. Auf Wiederhören!