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"Zur Polizey, wohin sie eigentlich gehören"

Durch das "Berliner Polizeireglement" wurden am 1. April 1811 die sonst vom Stadtgericht verwalteten "kriminalpolizeylichen" Geschäfte von Wilhelm III. der Polizei übergeben: Die erste Kripo ward geboren.

Von Matthias Bertsch | 01.04.2011
    Ein Tatort der jüngeren Vergangenheit
    Ein Tatort der jüngeren Vergangenheit (Stock.XCHNG / Nate Nolting)
    "Ich finde Mich bey Gelegenheit der Ernennung des bisherigen Stadtgerichts-Direktors Schlechtendahl zum hiesigen Polizei-Präsidenten, bewogen, festzusetzen, dass die bisher von der Kriminal-Deputation des Stadtgerichts verwalteten kriminalpolizeylichen Geschäfte, mit den dazu bestimmten Kriminal-Kommissarien und Kriminal-Sekretairs, zur Polizey, wohin sie eigentlich gehören, übergehen."

    Die Kabinettsorder des damaligen preußischen Königs, Friedrich Wilhelm III., die am 1. April 1811 in Kraft trat – und heute als Geburtsstunde der Kriminalpolizei in Deutschland gilt - hatte vor allem ein Ziel: die Befugnisse des zwei Jahre zuvor geschaffenen Berliner Polizeipräsidiums zu erweitern – und damit den Einfluss der Krone, der der Polizeipräsident unterstand. Die Macht des Bürgertums, in dessen kommunale Selbstverwaltung das Stadtgericht gehörte, wurde dagegen beschnitten.
    Konkret bedeutete die neue Regelung: Die frischgebackenen Kriminal-Polizisten konnten zahlreichen Gesetzesübertretungen ab sofort selbstständig nachgehen, ohne ein Gericht einschalten zu müssen, so der Mitbegründer der Polizeihistorischen Sammlung in Berlin, Harold Selowski.

    "Da hat einer Schutt abgeladen am Spreeufer, da hat einer seinen Nachttopf ausgekippt aus dem Fenster oder auf die Straße, besonders bei Frost den Rinnstein verstopft, da hat einer Hunde gefangen, es gab auch Hunde, die dann weiterverkauft wurden oder gegessen wurden, da hat einer die Vogelnester ausgeplündert im Tiergarten, also so kleinere Tatbestände, was heute meist Ordnungswidrigkeiten sind, die wurden sofort geahndet, und da war die Polizei nicht nur Exekutive sondern war auch gleichzeitig Gericht dann."

    Doch die Ahndung der Ordnungswidrigkeiten war nicht die einzige Aufgabe der Behörde. Nach dem Abzug der napoleonischen Truppen herrschten in Teilen Berlins chaotische Zustände. Die preußische Residenzstadt war mit ihren 150.000 Einwohnern im Verhältnis zu London und Paris zwar eher ein "verschlafenes Nest", doch Diebstähle und Einbrüche hatten genauso zugenommen wie Straftaten im sogenannten "Rotlichtmilieu". Ganze Berufsgruppen gerieten in den Fokus der neu gegründeten Kriminalpolizei.

    "Die Schlosser zum Beispiel, die wurden besonders bewacht, damit sie keine Nachschlüssel bauen für irgendwelche Leute oder selber irgendwas machen, Kneipenwirte, man hatte Listen der Prostituierten, der 'Louis', das war so das Fachwort hier für Zuhälter, also sie hatten über alles Mögliche Listen.""

    Dem Reglement gemäß war die Kripo uniformiert, doch für Observationen durften die Polizisten in "jeder angemessenen bürgerlichen Kleidung" auftreten. Zur Legitimierung ihrer Arbeit diente eine Medaille mit der Aufschrift "königlich-preußischer Polizeibeamter". Den Anordnungen der sich mit dieser "Kripomarke" Ausweisenden war "unweigerlich" Folge zu leisten. Doch so genau die Vorschriften auch waren, eine besondere Ausbildung mussten die Kriminalpolizisten nicht durchlaufen. Die Ermittler zeichneten sich vor allem durch ihre Menschenkenntnis aus.

    "Sie hatten ja keine Fotografien von irgendwelchen Straftätern oder Verdächtigen, sie sind teilweise in die Gefängnisse gegangen, haben sich die Leute dort angesehen, man kannte seine Diebe in Berlin, also seine Pappenheimer sag ich mal so, und das war ganz wichtig, wenn einer dann befördert werden sollte, dann hob man immer ganz besonders hervor, dass er eine besondere Merkfähigkeit und eine besondere Personenkenntnis hat."

    Die Kriminalitätsbekämpfung war jedoch nur ein Teil der Aufgabe, der die Ordnungshüter nachgingen. Die Kripo wurde auch zu geheimdienstlichen Zwecken eingesetzt – und das in ganz Preußen.

    "Wichtig war also, die Kaffeehäuser zu überwachen, die Lokale zu überwachen, die Poststationen zu überwachen, da hatte man also auch seine Leute, geschulte Kriminalbeamte waren da eingesetzt, die diplomatischen Verträge, das Erbrechen von Siegeln war wichtig, Öffnen von Briefen, das ich sag mal Kujau-gerecht dann wieder so zusammenschustern, dass das keiner merkt, wie sind die französischen Truppenbewegungen, wie sind die Ziele usw., und so war also quasi die Berliner Kriminalpolizei auch zu einem Teil zu Anfang ne preußische Spionageabwehr, um es mal kurz und bündig so zu nennen."

    Gut 60 Jahre lang besaß die Kriminalpolizei in Ermittlungsfragen weitgehende Freiheiten. Erst die Reichsstrafprozessordnung von 1877 beendete diese Unabhängigkeit. Das Ermittlungsverfahren lag nun in den Händen der Staatsanwaltschaft, die Polizisten wurden – so hieß es im Gerichtsverfassungsgesetz - zu "Hilfsbeamten" zurückgestuft.