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Zurück an die Wurzel

Biologie. - Die gesamte heutige Vielfalt in der Tier- und Pflanzenwelt entsprang möglicherweise aus nur einer einzigen Art - der Wurzel des globalen Stammbaums. Mittels Computer, aufwändiger Software und Genomdaten zeichnen Heidelberger Biologen jetzt den langen Weg nach.

Von Michael Lange | 06.03.2006
    Wer die Entstehung der Arten darstellen will, darf sich in Zeiten der Molekularbiologie und Genomforschung nicht mehr auf äußere Merkmale der Lebewesen beschränken. Er muss an die Wurzel der Artenvielfalt: das Erbgut der einzelnen Arten, an die Genome. Jede Art trägt im Erbgut einen Bauplan aus Erbinformation, der sie einzigartig macht. Und wer die Genome vieler Arten vergleicht, kann daraus einen Stammbaum errechnen. Eine im Grunde einfache Idee, meint Tobias Doerks vom Europäischen Molekularbiologie-Labor EMBL in Heidelberg.

    "Eigentlich sucht jeder nach "dem Baum". In der Zeit, als wir versucht haben, das Projekt zu entwickeln, haben wir überall in der Literatur, im Internet gesucht, ob man irgendwo einen Baum finden kann, den man sich an die Wand hängt. Aber den richtigen Baum, der akkurat ist und viele Spezies umfasst, den gab es noch nicht."

    Also hat die Arbeitsgruppe um Peer Bork in Heidelberg selbst einen Baum errechnet: aus 191 entzifferten Genomen. Dabei reichte es nicht, die vollständigen Genome einfach zu vergleichen. Die Datenvielfalt wäre zu gewaltig, das Durcheinander der Zufälligkeiten zu groß. Stattdessen mussten die Wissenschaftler bestimmte Erbanlagen - also einzelne Gene - herauspicken, erklärt Tobias Doerks.

    "Wir suchen uns Gene, die tatsächlich in allen Spezies vorhanden sind. Das heißt: Wir haben vollständig sequenzierte Genome genommen. Das waren 191. Wir haben die Genome verglichen und haben dann die Gene aus diesen vollständig sequenzierten Genomen herausgenommen, die tatsächlich überall vorhanden sind, von Escherichia coli bis zum Menschen. Und deswegen sind sie vergleichbar. Das macht sie besonders. Erst in dem Moment, wo ich etwas habe, das in allen Spezies vorhanden ist, habe ich die Möglichkeit, die Spezies zu vergleichen."

    Insgesamt 31 Gene wählten die Wissenschaftler aus. Die meisten sind wichtig für die Produktion von Proteinen. Jeder Organismus braucht Proteine. Deshalb kommen die dafür zuständigen Gene überall vor, auch in den einfachsten Lebewesen.

    "Wenn man an die Wurzeln des Baumes geht, dann findet man dort die Spezies, die am ehesten mit den allerersten verwandt sind, und hier haben wir sehr interessante Funde gemacht. Eine Hypothese, die schon einmal aufgestellt worden ist, wurde von uns bestätigt: Dass gram-positive Bakterien möglicherweise sehr ursprünglich sind und generell Bakterien, die Hitze liebend sind, also thermophile Bakterien."

    Insgesamt bestätigt der Baum viele Theorien der Biologen über die Entwicklung der Arten. Dort, wo es für die Zoologen spannend wird, ist der Baum allerdings noch sehr licht. Nur vier Säugetierarten sind verzeichnet: Maus und Ratte an einem Zweig, Schimpanse und Mensch an einem zweiten.

    "Wir haben auch noch die Möglichkeit, die Distanz zu zeigen. Wie eng sind zwei Arten tatsächlich miteinander verwandt? Und was zum Beispiel sehr interessant war, ist der Vergleich Mensch-Schimpanse. Die liegen außerordentlich dicht beieinander, was man im Prinzip auch weiß. Vergleicht man aber diese Nähe mit Arten in Bakterien, dann muss man zwingend zu dem Schluss kommen, dass man nicht mehr von einer eigenen Gattung "Pan" sprechen kann. Dann müsste man von einem "Homo troglodytes" sprechen."

    Der Schimpanse hieße also nicht mehr Pan Troglodytes, sondern würde zu einer Art der Gattung Homo. Der Schimpanse ein Mensch? Das ist nicht nur für Zoologen gewöhnungsbedürftig. Und vorerst werden Mensch und Schimpanse in der biologischen Systematik weiter als getrennte Gattungen geführt werden. Die Grenzen zwischen Gattungen, Familien und so weiter sind ohnehin eher schwammig. Aber die Diskussion um den neuen "Baum des Lebens" ist eröffnet.