Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Zurück zu den Anfängen

Richard Wagners romantische Oper "Der fliegende Holländer" zählt zu seinem Frühwerk, das angesichts späterer Werke wie "Parsifal" und "Ring" eher verblasst. Der Komponist selbst hat später noch einmal Hand angelegt und den "Holländer" überarbeitet und erweitert. Die Neuaufnahme von Dirigent Bruno Weil und der Cappella Coloniensis ist jedoch der ersten, ursprünglichen Gestalt des Werks auf der Spur, der in Paris entstandenen Version.

Von Frank Kämpfer | 13.03.2005
    Kunstvoll ineinander verschränkt oder zusammenhanglos aneinander vorbei? Bass und Bariton singen und denken mit verschiedener Ambition und scheinen doch tänzerisch fast miteinander vereint. Den einen locken die scheinbar unermesslichen Schätze des anderen; der wiederum sich für die behauptete Treue der Tochter der ersteren interessiert. Ein guter Deal steht bevor? Das wäre zu erfragen. Denn was die zwei Herren hier im 6/8tel-Takt zu vermeintlich wechselseitigem Vorteil beschließen, setzt ein Szenario in Gang, in dem keiner ungeschoren davon kommt.

    Die Rede ist von Richard Wagners romantischer Oper "Der fliegende Holländer", die uraufgeführt 1843 in Dresden zum Frühwerk des Komponisten gehört. Die stürmische See, ein Gespensterschiff und eine Erlösungsvision gehören zum Ambiente des Stücks - nicht eben viel, um ernst genommen zu werden im aktuellen Wagner-Diskurs. Von "Parsifal" und "Ring" aus betrachtet, wirkt es in der Tat relativ harmlos, wie Wagner hier den seelischen Abgrund und die Verstrickung der Menschen gestaltet und komponiert. Aufwertungsversuche gibt es mehrere: Im Zuge seiner Arbeit am "Tristan" schrieb Wagner für Ouvertüre und das dritte Finale zwei neue Schlüsse. Außerdem wurde es mit der Zeit obligatorisch, den "Holländer" mit hochdramatischen Stimmen und aufgestocktem Orchester zu spielen.

    Vorliegende Neuaufnahme nun sucht den entgegen gesetzten Weg. Dirigent Bruno Weil und die Cappella Coloniensis sind darin der ersten, ursprünglichen Gestalt des Werks auf der Spur, genauer gesagt der in Paris entstandenen Version. Die neue Lesart des Werks bezieht sich zunächst auf den musikalischen Part. Dirigent Bruno Weil folgt strikt den Instrumentierungs-Angaben der Urtext-Ausgabe. Das Holländer-Motiv wird von zwei Natur-Trompeten gespielt, an Stelle der Basstuba spielt die Orphekleide, die Ballade der Senta erklingt in Ä-Moll, also einen ganzen Ton höher als üblich. Daland heißt hier noch Donald, Erik noch Georg, die Oper spielt an der Küste von Schottland.

    Dies scheinen zunächst Äußerlichkeiten zu sein. Der dirigentische Zugriff jedoch verdeutlicht, dass konzeptionell eine tiefere Absicht vorliegt. Weil sorgt für einen leichteren, weniger "blechgepanzerten" Sound und ermöglicht Nuancen, die differenziertere Höreindrücke vermitteln. Den Ausschlag dafür gab das Bestreben, Wagners Holländer im Kontext der Zeit seiner Entstehung zu sehen - in der Tradition von Weber, Spohr und Meyerbeer. Für Bruno Weil klingt der Frauenchor eingangs des 2. Akts gar nach Gioacchino Rossini.

    Von der Fachzeitschrift FONO FORUM nach seinen Wagner-Intentionen befragt, äußert Dirigent Bruno Weil im Interview, dass Wagner seiner Meinung nach weniger eine szenische als eine musikalische Erneuerung brauche. Im Falle einer konzertanten Aufführung oder wie hier einer CD-Produktion ist dies praktikabel gemeint. Es ist auch strategisch gedacht. Mit einem Holländer in historischer Aufführungspraxis kann das Label Deutsche Harmonia Mundi so sein innovatives Opernrepertoire auf diesem Weg bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts ausdehnen.

    Die entscheidende Frage allerdings lässt der Dirigent offen. Was bedeutet es inhaltlich für das Verständnis der Figuren und die Botschaft des Werks, wenn ein Wagner-Orchester mit einem Mal geringer besetzt ist? Wenn Korrekturen des Komponisten rückgängig gemacht sind, wenn im Verhältnis von Orchester und Sängerstimmen unvermittelt ein anderes historisches Verhältnis aufscheint? Verrät dies anderes, bisher Verschüttetes über die Konstruktion der zentralen Figuren? Über Donald-Daland, über Georg-Erik, der eifersüchtig-engstirnig- wahrhaftig liebt? Über Senta und die Titelfigur, die ohne einander zu kennen, ohne je einander gesehen zu haben, vermeinen, füreinander bestimmt zu sein, weshalb beide sterben und zuvor nie einander wirklich begegnen?

    Auch im wenig aussagekräftigen Booklet, das in erster Instanz das Libretto zweisprachig druckt, fehlt dieser Aspekt. Und so mag es scheinen, als sei nur das Gewand, nicht aber das Werk neu betrachtet. Und als seien die altbekannten Highlights der Oper, Sentas Ballade oder ihr Duett mit der Titelfigur am Ende doch wieder auch hier die überzeugendsten Nummern der Neuproduktion.

    Astrid Weber (Sopran), Bariton Terje Stensvold, Tenor Jörg Dürmüller und Franz-Josef Selig (Bass) haben jedenfalls entscheidenden Anteil daran, dass diese Holländer-Gesamtaufnahme für Aufregung sorgt auf dem Schallplatten-Markt. Es sind hoch motivierte, noch unverschlissene Solisten, die Einspielung prägen. Und die Einiges zulegen können, wenn am Ende ein Stück heiler, schein-heiliger Welt krachend zerreißt.

    Richard Wagners Oper "Der Fliegende Holländer". Neuproduziert für das Label Deutsche Harmonia Mundi mit der Cappella Coloniensis - musikalische Leitung und Gesamtkonzeption: Bruno Weil.

    Diskografische Angaben


    Titel: Richard Wagner - "Der Fliegende Holländer"
    Orchester: Cappella Coloniensis
    Leitung: Bruno Weil
    Label: Deutsche Harmonia Mundi
    Labelcode: LC 00761
    Bestellnr.: dhm 82876 64071 2