Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Zurzeit ist das alles freiwillig"

Auf der Sondertagung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA wird über verbindliche Stresstests für Atomkraftwerke gestritten. Eine Einigung sei nicht abzusehen, sagt Wissenschaftsredakteurin Dagmar Röhrlich. Nur über eins herrsche weitgehend Einvernehmen: Reaktorsicherheit sei Sache der Staaten.

Dagmar Röhrlich im Gespräch mit Theo Geers | 22.06.2011
    Theo Geers: Es ist still geworden um die Katastrophe, die vor genau 103 Tagen die Welt erschüttert hat. Am 11. März gerieten in Fukushima nicht einer, sondern gleich vier Atomreaktoren außer Kontrolle. In Wien bei der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA steht nun seit Anfang der Woche auf einer Sondertagung die Frage im Vordergrund, welche Lehren aus Fukushima gezogen werden müssen, und in Wien beobachtet Dagmar Röhrlich diese Tagung. Frau Röhrlich, ich sagte ja: Es ist still geworden um Fukushima. Deshalb vorweg die Frage: Gibt es eigentlich neue Erkenntnisse darüber, was den Gau erst möglich machte?

    Dagmar Röhrlich: Die Untersuchungskommission der IAEA hat herausgefunden, dass zurzeit immer noch der Tsunami das Verantwortliche gewesen ist für das Ganze, und es ist so, wenn man jetzt näher reinschaut, dass ganz erstaunliche Details bekannt werden. Man hat die Tsunami-Gefahr sehr stark unterschätzt. Das sagt auch der japanische Industrieminister, der gesagt hat, wir haben an die Sicherheit der Kernkraftwerke geglaubt. Beispielsweise war es so, dass die Tsunami-Warnung, die von den Behörden herausgegeben worden ist, nicht an die Leitwarte weitergegeben wurde, sodass die Männer dort gearbeitet haben, so als ob sie "nur" mit einem Erdbeben fertig werden müssten, haben die verschiedenen Handlungsabläufe befolgt, und die waren natürlich bei einem anbrandenden Tsunami nicht unbedingt richtig, und das hat die Lage dann erst richtig schlimm gemacht.

    Geers: Das heißt also, in der Leitwarte der Atomkraftwerke von Fukushima hat man gar nicht gewusst, dass ein Tsunami auf sie zurollt. – Dennoch die Frage: Wie ist denn die Lage derzeit dort? Die Atommeiler verstrahlen ja weiterhin die Landschaft und das Meer, oder?

    Röhrlich: Die Lage ist immer noch außer Kontrolle. Man bemüht sich, die Kühlung endlich einmal stabil ans Laufen zu kriegen, aber davon ist man noch weit entfernt. Man kommt immer noch nicht richtig an die Reaktoren heran, denn man hat immer noch mit diesem hoch kontaminierten Wasser zu kämpfen. Das versucht man, herauszuholen und auch zu dekontaminieren, aber da sind die technischen Probleme, die immer noch immer wieder auftauchen und die Arbeiten immer wieder zum Stoppen bringen.

    Geers: Kommen wir zum eigentlichen Thema der Tagung in Wien, die Sie beobachten, Frau Röhrlich. Eine Lehre, die sich abzeichnet, soll ja in mehr Kontrollen liegen. Das hört sich gut an. Wer will die denn?

    Röhrlich: Unter anderem will Deutschland verbindlichere Kontrollen und dass die Sicherheitsanforderungen der IAEA verbindlicher für alle festgesetzt werden, also dass beispielsweise kritische Infrastruktur überflutungssicher untergebracht werden muss bei einem Kernkraftwerk oder dass sie erdbebensicher sein müssen und Ähnliches. Zurzeit ist das alles freiwillig, und wenn man das Ganze wirklich verbindlich machen wollte, dann müsste die IAEA-Konvention geändert werden. 150 Mitgliedsstaaten rund hat sie derzeit, das geht nur im Konsens. Das zeigt, wie schwierig so etwas wäre. Alle sagen hier, wir wollen gerne Empfehlungen befolgen, aber die Vergangenheit lehrt, dass die Empfehlungen zwar gerne oder weniger gerne gehört wurden, aber auf jeden Fall nicht unbedingt befolgt wurden. Beispielsweise hat Japan, obwohl 2007 gesagt worden ist, wir brauchen unabhängige Aufsichtsbehörden, dann doch nichts gemacht.

    Geers: Das leitet über zur nächsten Frage, Frau Röhrlich. Wer will denn diese Kontrollen nicht, beziehungsweise wer will sie nicht so und wer sitzt damit im Bremserhäuschen?

    Röhrlich: Eigentlich auch wieder alle. Frankreich beispielsweise sagt, wir haben gerne internationale Kontrollen, bekommen gerne Rat, wir laden gerne die Experten unserer Nachbarländer ein, aber Atomsicherheit ist letztendlich nationale Sache. Das Gleiche sagen die USA, auch Deutschland, denn man fürchtet, wenn man wirklich international verbindliche Regeln festsetzt, dass es dann zu einer Verwässerung kommen könnte von hohen Sicherheitsstandards. Das Ganze ist also nicht so einfach, wie es sich auf den ersten Blick anhört.

    Geers: Letzte Frage, Frau Röhrlich: Läuft es möglicherweise auch darauf hinaus, dass man die Standorte von Atomkraftwerken künftig individueller bewerten will?

    Röhrlich: Ja. Beispielsweise will man in England neue Kernkraftwerke bauen. Dort, sagt der Minister, ist man auch nicht abgerückt von dem Plan, aber man möchte genau schauen, wo baue ich die Kraftwerke hin, nach den Erkenntnissen von Fukushima sollen die Bauplätze jetzt noch einmal neu bewertet werden. Ähnliches läuft überall.

    Geers: Danke schön! – Das war Dagmar Röhrlich live aus Wien über die Schwierigkeiten, sich international auf die Lehren zu verständigen, die aus Fukushima gezogen werden müssen.