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Zuviel des Guten

Umwelt. - Stickstoff aus Dünger und Abgasen ist ein Problem für die Umwelt, doch wie hoch liegen die Schäden? Ein Team von 200 Experten hat diese Woche in Edinburgh das European Nitrogen Assessment vorgelegt. Es ist nach fünf Jahren Arbeit eine erste Schätzung, wie groß der Schaden ist, den Stickstoffemissionen für Klima, Umwelt und Mensch bedeuten - und was er kostet.

Von Katrin Zöfel | 14.04.2011
    Knapp 80 Prozent der Luft besteht aus Stickstoff, elementarem Stickstoff genauer gesagt. Es ist eine Form des Elements, die chemisch sehr träge ist. Die meisten anderen Stickstoff-Verbindungen sind dagegen ziemlich reaktionsfreudig. Nitrat, Ammoniak, Lachgas, Stickoxide, allesamt haben sie die Eigenschaft, gerne und ausgiebig mit ihrer Umgebung zu reagieren. Mark Sutton forscht am Centre for Ecology and Hydrology in Edinburgh.

    "Von diesem reaktiven Stickstoff gibt natürlicherweise nur wenig. Und nur in dieser Form ist das Element für Tiere und Pflanzen nutzbar. Die Biosphäre hat sich also über Jahrmillionen hinweg daran angepasst, mit wenig Stickstoff auszukommen."

    Seit 100 Jahren bringt der Mensch dieses Gleichgewicht durcheinander. Nitrat stammt aus künstlichem Dünger in der Landwirtschaft, Ammoniak entweicht aus Tierställen, Stickoxide entstehen bei der Verbrennung fossiler Brennstoffe. Marc Sutton hat das European Nitrogen Assessment geleitet, ein fünfjähriges Projekt an dem insgesamt 200 Experten beteiligt waren. Die Studie fasst zum ersten Mal überhaupt alle Umweltschäden durch Stickstoff zusammen und belegt sie mit einem Geldwert.

    "Wir haben nun eine allgemeine, erste Schätzung."

    Die Spanne, die der Bericht für den Schaden europaweit angibt, ist weit gefasst: 70 bis 320 Milliarden Euro pro Jahr.

    "Das kommt vor allem daher, dass die Unsicherheit immer noch groß ist, wie man wirtschaftliche Kosten und Umweltauswirkungen zueinander ins Verhältnis setzen soll. Es ist einfach schwer, die Verkürzung von Lebenszeit durch Luftverschmutzung oder den Verlust einer Pflanzenart mit einem Geldwert zu belegen. Die Zahl, die wir nennen, ist also eine ungefähre Zahl, und es ist wichtig, das durch die Spanne, die wir angeben, zu verdeutlichen."

    Ein Beispiel: die gesundheitsschädigende Wirkung von Stickoxiden in Abgasen. Der zugehörige Geldwert ergibt hier sich aus Befragungen, wieviel ein Mensch zu zahlen bereit wäre, um die gesundheitlichen Schäden abzuwenden. Für jeden weiteren Effekt, der von Stickstoff ausgeht, haben die Forscher jeweils eine eigene Umsetzung in einen Geldwert verwendet. Trotz aller Unschärfe schätzen Forscher aus anderen Regionen den Wert der Studie hoch ein. Der US-Forscher Jim Galloway von der University of Virginia beschäftigt sich seit 30 Jahren mit Stickstoff.

    "Das ist eine großartige Arbeit. Es ist die erste große regionale Abschätzung, die sich nicht nur mit der biogeochemischen Umsetzung von Stickstoff befasst, sondern auch mit den Auswirkungen auf das Allgemeinwohl."

    Viele Zahlen darin seien zwar mit Unsicherheiten behaftet, doch als ein erster Schritt und als Entscheidungshilfe für die Politik sei die Studie wichtig. Und es sei kein Wunder, dass es bisher noch keine solche Abschätzung gegeben habe. Die Prozesse um Stickstoff seien eben kompliziert.

    "Ist Luftstickstoff erst einmal in seine reaktive Form umgewandelt, trägt er zu vielen verschiedenen Effekten bei."

    Wiederum ein Beispiel: Stickoxidpartikel machen die Atmosphäre staubiger und gleichzeitig tragen sie zum sauren Regen bei. Geht dieser Regen dann auf einem Wald nieder, wirkt der Stickstoff als Nährstoff und bringt die Artenzusammensetzung durcheinander. Weiter geht es über Bäche und Flüsse bis ins Meer, dort trägt dasselbe Stickstoffatom schließlich zur Eutrophierung bei.

    "Das ist es, was man erst in den letzten Jahren verstanden hat, es gibt so etwas wie eine Treppe, über die das Element immer weitergegeben wird, eine Art Stickstoffkaskade."

    Die Abschätzung der Umweltfolgen werde dadurch sehr schwierig. Die an der Studie beteiligten Forscher leiten aus ihren Ergebnissen nun erste Empfehlungen ab. Durch bessere Düngemethoden etwa, ließe sich ein bis zwei Drittel des künstlichen Düngers in der Landwirtschaft einsparen, sagen die Experten. Ebenso ließe sich viel bewegen, wenn die Europäer etwa weniger Fleisch äßen. Bei der Produktion eines Kilogramm tierischen Eiweißes werde ungleich mehr Stickstoff freigesetzt, als bei der Produktion derselben Menge Pflanzeneiweiß. Hochgerechnet bedeutet das: Wären, rein theoretisch, alle Europäer Vegetarier, könnten Europas Bauern auf 70 Prozent des Stickstoffdüngers einfach verzichten.