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Zuwanderung in die DDR
Von West nach Ost

Ob aus Liebe, um der Strafverfolgung in der Bundesrepublik zu entgehen oder aus familiären Gründen: Zwischen 1961 und 1989 zog es immer wieder Menschen vom Westen in die DDR. Dort wurden sie jedoch alles andere als mit offenen Armen empfangen, wie eine Ausstellung in Marienborn zeigt.

Von Christoph Richter | 06.09.2017
    Eine Schülergruppe in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Sachsen-Anhalt
    "Wechselseitig. Rück- und Zuwanderung in die DDR 1949 bis 1989" heißt eine aktuelle Ausstellung in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn in Sachsen-Anhalt (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    "Man hätte annehmen können, dass das alles überzeugte Kommunisten waren, das war aber nicht der Fall",
    erzählt Historiker Michael Schäbitz. Und listet die Motive auf ...
    "Also Leute, die wegen der Liebe gingen. Menschen, die versucht haben, sich der Strafverfolgung zu entziehen. Personen die als Kinder mit den Eltern in die DDR kamen. Spione, die im Westen für die Stasi gearbeitet haben, und aus verschiedenen Gründen dann wieder zurückkehren mussten: Also ein sehr breites Spektrum."
    Zusammen mit der Kulturwissenschaftlerin Eva Fuchslocher hat Schäbitz die Wander-Ausstellung "Wechselseitig. Rück- und Zuwanderung in die DDR 1949 bis 1989" konzipiert. Ab heute ist sie in der Gedenkstätte Deutsche Teilung in Marienborn zu sehen, dem bekanntesten Nadelöhr zwischen Ost und West. Allein zwischen 1985 bis 1989 passierten knapp 35 Millionen Reisende diesen Grenzübergang.
    An etwa einem halben Dutzend Multimedia-Säulen können die Besucher die Lebensgeschichten von DDR-Übersiedlern nachlesen und nachhören. Eine von ihnen ist die der heute 63jährige Gerlinde Breithaupt. Sie ist 1981 aus Göttingen in die DDR, in ein kleines Dorf im Bezirk Halle gegangen.
    "Ich hatte meinen Mann kennengelernt, bei einer Besuchsreise. Er hat Theologie studiert und ich auch und haben überlegt, ob es eine gemeinsame Zukunft gibt. Und mein Mann hatte damals gesagt, er möchte gern in der DDR bleiben. Seiner Kirche dienen und nicht in Westdeutschland arbeiten, er sah seine Berufung in der DDR."
    Weshalb sich Gerlinde Breithaupt nach reiflichen Überlegungen entschloss, zu ihrem Mann in den Südharz zu ziehen – nach Dittichenroda, im heutigen Sachsen-Anhalt. Ihr Umfeld reagierte entsetzt, doch die Liebe war größer, erzählt Gerlinde Breithaupt.
    Misstrauen und Skepsis gegenüber den Zuwanderern aus dem Westen
    Die DDR begegnete den Zuwanderern aus der Bundesrepublik nicht mit offenen Armen, sondern mit Misstrauen und Skepsis. So mussten zwischen 1961 und 1989 alle Übersiedler erstmal in sogenannte Aufnahmeheime – eine Mischung aus Internierungslager und sozialistischem Internat.
    "Gerade in den 80er-Jahren waren die Verhältnisse in den Lagern sehr rigide. Fast gefängnisartig.
    In den DDR-Übersiedlerheimen kam es sogar zu Selbstmorden und Selbstmordversuchen, erzählt Historiker Schäbitz. Die Mehrheit der Betroffenen, die in die DDR übersiedeln wollten, sprechen von einer zermürbenden und menschenverachtenden Vorgehensweise der Staatssicherheit.
    Zu groß war die Angst vor Spionen, Kriminellen, sogenannten Asozialen oder vor aufmüpfigen Menschen, die Unruhe ins Land bringen könnten. Aber auch die, die in die DDR einwandern durften, hat das SED-Regime fortwährend argwöhnisch beobachtet. Auch in der DDR-Bevölkerung wurden die Übersiedler nicht freundlich aufgenommen.
    "Vielen West-Ost Migranten schlug entgegen, entweder ihr seid Idioten oder ihr seid Verbrecher."
    Prominente Zeitzeugen
    Die Ausstellung "Wechselseitig. Rück- und Zuwanderung in die DDR 1949 bis 1989" basiert auf den Aussagen von gut 20 Zeitzeugen, darunter auch prominente Namen. Wie beispielsweise die in die DDR abgetauchten RAF-Terroristen Susanne Albrecht und Inge Viet oder Pierre Boom. Sohn des DDR-Spions Günter Guillaume. Nachdem seine Eltern verhaftet wurden, ging er in den Osten, in ein Land das er bis dahin gar nicht kannte.
    Die Einzelschicksale der West-Ost Übersiedler, sie gehen unter die Haut, doch es fehlt die nüchtern-wissenschaftliche Distanz. Eine Einschätzung der Ost-West-Migration durch Historiker erfolgt nur am Rande, was die Schwachstelle der Ausstellung ist. Auch fehlen Dokumente hinsichtlich der DDR-Übersiedler aus Sicht des SED-Regimes. Obwohl das Thema unter Experten kein Neues, die Quellenlage nicht schlecht ist.
    Fehlende Tiefe
    Die Ausstellung wurde nach Angaben der Kuratoren binnen acht Monaten erarbeitet. Das sieht man möchte man einwerfen, denn die Tiefe der Schau fehlt. Hätte man sich mehr Zeit genommen, hätte man mit Sicherheit ein Stück deutsch-deutsche Geschichte gehoben, die es verdient, viel breiter als bisher in der Öffentlichkeit diskutiert zu werden. Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Migrationsdebatten.