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Zuwanderungsgesetz beendet Diskussion um Details noch nicht

Silvia Engels: Erst war er verschwunden, dann war er wieder da. Erst erschien er nicht bei der Kölner Ausländerbehörde, dann kam er doch noch. Die Rede ist vom radikalen islamistischen Prediger Metin Kaplan. Der Kampf zwischen den deutschen Behörden, die Kaplan abschieben wollen, und dem selbst ernannten Kalifen von Köln, der sich an jede Regelung des Rechtsstaats klammert, um die Abschiebung zu verhindern. Dieser Kampf ist in den Augen der Öffentlichkeit längst zur Posse geworden. Eine Posse über die Art und Weise, wie der Rechtsstaat an der Nase herum geführt werden kann. Dieser Fall Kaplan überlagert auch die vor einer Woche erreichte Einigung zwischen Regierung und Opposition zum Zuwanderungsgesetz. Über beides wollen wir nun sprechen mit Roland Koch, dem hessischen Ministerpräsidenten. Guten Morgen, Herr Koch.

02.06.2004
    Roland Koch: Guten Morgen.

    Engels: Wenn Metin Kaplan in Wiesbaden gemeldet gewesen wäre, wären die Behörden dann anders mit ihm umgegangen?

    Koch: : Ich bin nicht so arrogant zu sagen, wir machen alles besser, aber ich hoffe, dass schon in den letzten Jahren der Umgang Stück für Stück konsequenter gewesen wäre. Ich hoffe auch, dass wir dazu gekommen wären, zu dem Zeitpunkt, an dem das Oberverwaltungsgericht entschieden hat, exakt zu wissen, wo Herr Kaplan sich aufhält, um die Maßnahmen, die dann möglich gewesen wären auch sofort zu vollziehen. Denn Herr Kaplan ist ja nur ein besonders interessantes öffentliches Beispiel einer häufig von Rechtsanwälten begleiteten Strategie von Menschen, die kein Aufenthaltsrecht in Deutschland mehr haben, mit allen Tricks dieser Erde und beachtenswerter Kreativität immer wieder zu versuchen neue Gründe des Hierbleibens zu finden. Wir sind an dieser Stelle mit unseren gesetzlichen Voraussetzungen zu schwach. Das gehört zu den Dingen, die man in Zukunft ändern muss.

    Engels: Jetzt hat Metin Kaplan strenge Auflagen bekommen. Er muss sich täglich bei den Behörden melden. Ein brauchbares Mittel, bis endgültig über seinen Status entschieden worden ist?

    Koch: : Unter den geltenden rechtlichen Bedingungen, ein Mittel, das man nicht auslassen darf. Aber ich würde jetzt ungern allen Ärger auf den Verwaltungsbeamten in Köln niederregnen lassen, wenn in Wahrheit der Gesetzgeber Fragen zu beantworten hat. Zu diesen Fragen gehört bei einem Mann, der in der Sprache des Bundesinnenministeriums ein Hassprediger ist, sicherlich die Frage, ob man ihn nicht prinzipiell mit Hausarrest belegen kann, sicherlich die Frage, ob ein solches Instrument, wie die Sicherungsverwahrung bis zu einer Abschiebung nicht gerade für ihn gilt. Es geht um rechtliche Möglichkeiten mit diesen Dingen fertig zu werden und nicht darum, am Ende auf einem Verwaltungsbeamten herumzutrampeln.

    Engels: Sie haben das Stichwort genannt: Hausarrest oder gegebenenfalls Sicherungshaft. Zur Zeit ist strittig, ob das auf den Fall Kaplan auch zutreffen könnte. Wahrscheinlich eher nicht. Seit der Einigung vergangener Woche im Zuwanderungsstreit ist dieses Thema Sicherungshaft als Teil des Zuwanderungsgesetzes eigentlich vom Tisch. Bedauern Sie das?

    Koch: : Wir haben uns bereit erklärt, dass die Dinge, die nach den langen Verhandlungen zum Zuwanderungsrecht unstreitig oder in einem Kompromiss beendet worden sind - nunmehr auch, wenn die Bedingungen, die im Kanzlergespräch gefunden worden sind, eingehalten werden - Gesetz werden können. Das halte ich insbesondere auch deshalb für richtig, weil es Peter Müller und Beckstein in sehr langen Verhandlungen - sie verhandeln ja seit einem Jahr - gelungen ist, im Vergleich zu dem Gesetz, das vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert ist, sehr wichtige Veränderungen durchzusetzen, dass man wirklich sagen kann: Ob es um das Arbeitsrecht oder auch um die Sicherheitsfragen geht, es ist deutlicher ein Gesetz zur Begrenzung von Zuwanderung geworden und die Ausscheidensrolle, die die Grünen dabei inzwischen haben, zeigt das ja auch. Dennoch, im Anschluss daran wird die Diskussion um rechtliche Fragen weiter gehen. Mit der Verabschiedung des Zuwanderungsgesetzes ist die Diskussion über Hausarrest, Sicherungsgewahrsam oder anderes, was uns in Zukunft davor bewahren soll, lächerlich zu werden vor Leuten, die dieses Land angreifen wollen, nicht vom Tisch. Es kann sein, dass es dann bis zur Bundestagswahl 2006 dauert. Aber die Union wird auf keinen Fall bereit sein, dieses Thema aufzugeben und dann der Bevölkerung rechtfertigen zu müssen, dass diese Zustände im Land weiter gehen. Wenn das mit Rot-Grün zur Zeit nicht möglich ist, dann bleibt das ein Streitpunkt, wo wir uns entschieden haben, dass uns dieser Streitpunkt nicht aufhält alle andere Regelungen, über die jetzt so viele Jahre gestritten wurde, zum Gesetz zu machen.

    Engels: Horst Seehofer, Unionsfraktionsvize im Bundestag der CSU, scheint das anders zu sehen. Er überlegt schon wieder, ob er dem Zuwanderungsgesetz im Bundestag überhaupt zustimmen könnte. Denn er fürchtet, dass neben der humanitären Zuwanderung doch eine Zuwanderung in den Arbeitsmarkt möglich werden soll. Hat er Recht?

    Koch: : Horst Seehofer ist ein freier Abgeordneter. Er muss am Ende entscheiden, was er tut. Ich denke, dass die Abwägung, ein Gesetz zu haben, mit dem wir erstmals in der Lage wären, gezielt, diejenigen, die mit qualifizierter Ausbildung in das Land kommen und die hier tatsächlich zum Wirtschaftswachstum beitragen, einreisen zu lassen und gleichzeitig ein besseres Instrumentarium zu haben, denjenigen, die nur in unsere Sozialsysteme zuwandern, auch eine Grenze zu setzen, dass ein solches Gesetz eine Verbesserung ist. Wir haben ja den Anwerbestopp - entgegen dem Willen von Rot-Grün - für die mit nicht hoher Qualifikation zu uns Kommenden weiterhin aufrechterhalten. Das war ja anders beabsichtigt. Es gibt keinen Automatismus von Punkten, mit denen man automatisch in das Land kommt. Dieses Gesetz regelt einen Zustand besser als die derzeitige Situation, in der wir ja wahrlich in den letzten zehn Jahren unter der Geltung des derzeitigen Ausländerrechts nicht behaupten können, dass wir von Migration verschont gewesen wären. Deshalb glaube ich in der Abwägung kann man zu dem Ergebnis kommen: Es ist ein Kompromiss, der gefällt uns in vielen Punkten nicht, aber es gibt genug Punkte, die man jetzt regeln sollte, und einige Streitpunkte bleiben, im Bereich der Sicherheit insbesondere. Diese Streitpunkte werden auch unabhängig von der Verabschiedung des Gesetzes an der Tagesordnung stehen.

    Engels: Das heißt aber, Hessen stimmt im Bundesrat dem Zuwanderungsgesetz auf jeden Fall zu?

    Koch: : Das würde ich im Augenblick nicht sagen. Meine Erfahrung mit der Bundesregierung, mit der konkreten Umsetzung von abstrakt gegebenen Zusagen, ist extrem schlecht. Ich bin in dieser Frage nicht nur Hartz 4 geschädigt, sondern auch sonst in Problemen. Ich werde dieses Gesetz mit meiner Landesregierung prüfen, wenn es in seinem Wortlaut vorliegt, wie das auch alle anderen Kollegen und Kolleginnen machen werden. Wenn die Bundesregierung sich an das hält, was sie in den Gesprächen mit Frau Merkel und Herrn Stoiber besprochen hat, dann gibt es eine gute Chance, dass wir dieses Gesetz auch im Bundesrat passieren lassen.

    Engels: Nun ist ein neuer Streitpunkt ja zum Beispiel das Thema Integrationskosten. Da soll Bundeskanzler Schröder in den Gesprächen zugesagt haben, die gesamten Integrationskosten von Ausländern zu übernehmen. Nun streitet man sich darum, ob das auch die Ausländer, die bereits im Inland wohnen und arbeiten betrifft. Wird man sich hier noch einigen oder wollen sie das dann über so etwas doch wieder platzen lassen?

    Koch: : Wenn wir ein Interesse daran hätten von vorne herein eine Sache platzen zu lassen, dann hätten wir günstigere Gelegenheiten, als jetzt erneut die Zeit in Verhandlungen zu investieren. Aber auf der anderen Seite - und das sehen nicht nur die unionsregierten Bundesländer so - ist es notwendig, dass der Bund sich nicht von Verpflichtungen verabschiedet, bei denen er selbst anerkennt, dass er sie hat. Die Frage der Zuwanderung und ihrer Steuerung ist eine nationale Angelegenheit, nicht eine Angelegenheit einzelner Bundesländer, und da geht es nicht, dass man sagt: "Na ja, gut, da sind jetzt noch einige hunderttausend bis zu einer Million Menschen, bei denen wir dringend Integrationsleistungen machen müssten. Eigentlich sind wir als Bund auch dafür zuständig, aber Gott sei Dank sind sie früher reingekommen; sie gehen uns nichts an." Das ist keine vernünftige Verhaltensweise. Das hat der Bundeskanzler auch in dem Gespräch - denke ich - akzeptiert. Dass da sein Finanzminister versucht aus finanziellen Gründen wieder herauszukommen, das verstehe ich. Aber ich habe zunächst einmal Anlass davon auszugehen, dass der Bundeskanzler das, was er dort zugesagt hat, als ein Gesamtpaket des Kompromisses ernst gemeint hat. Dann ist die Lage klar.

    Engels: Haben Sie einen Überblick, über welche finanzielle Größenordnung wir dann reden?

    Koch: : Das ist sehr schwer auf den letzten Cent zu sagen, aber dass wir über einige hundert Millionen Euro in dieser Frage reden, das wissen alle Beteiligten. Denn es sind eine ganze Menge Menschen in den letzten Jahren ins Land gekommen, und der Bund hat bisher durch die fehlende Gesetzgebung sicherlich den Fehler unterstützt, dass die Integration teilweise gar nicht angeboten worden ist. Wir wollen ja in dem Zuwanderungsbegrenzungsgesetz, wie es kommt, nicht nur das Angebot haben, sondern durchaus auch die Sanktion für den Fall, dass die Beteiligten eine solche Teilnahme an Integrationskursen verweigern bis hin zu der Ablehnung einer Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Da heißt, in Zukunft wird das ein im Interesse der Bundesrepublik sehr vernünftiges Prozedere werden. Wir müssen bei denen gucken, die schon hier sind, dies mit Maßnahmen der Freiwilligkeit hinbekommen, und deshalb kann man die Kosten nicht genau kalkulieren. Aber dass wir dieses Angebot endlich machen müssen, damit wir alle Menschen, die in Deutschland dauerhaft leben auch mit der deutschen Sprachkenntnis ausstatten zum Beispiel, das scheint mit zwingend, und da kann sich der Bund nicht drücken.

    Engels: Nun hat man ja nach der Zustimmung vergangener Woche den Eindruck, dass eigentlich Bundeskanzler Schröder die Lorbeeren für diesen Kompromiss geerntet hat. Gönnen Sie ihm den Erfolg?

    Koch: : Das ist eine Kategorie, wo ich verstehe, dass das journalistisch beobachtet wird, aber wenn wir das zum alleinigen Kriterium unser Entscheidung machen würden, dann wäre das vielleicht auch ein bisschen schwierig. Wenn man das materielle Gesetz anschaut, wenn man sieht, wie es Müller und Beckstein in den Verhandlungen mit Herrn Schily gelungen ist, eben den Anwerbestopp prinzipiell zu erhalten, die Kosten für die Integrationskurse beim Bund zu verankern, die Frage der Sanktionen, wenn die Beteiligten nicht teilnehmen, aber auch die Frage der Terrorverdächtigen, die bei einer Gefahrenprognose abgeschoben werden können, was bisher nicht der Fall ist, wenn wir sehen, dass bevor eine Niederlassungserlaubnis oder eine Einbürgerung kommt, es in Zukunft eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz gibt - um nur einige Beispiele zu nennen - dann kann die Union einfach nicht sagen, dass es kein Kompromiss sei. Sondern in der Tat sind eine Menge Dinge so geregelt worden, wie wir es seit langen Jahren für notwendig halten und dann muss man auch in der Lage sein, diesen Kompromiss zu unterschreiben. Dass im Augenblick Gerhard Schröder noch Kanzler ist und normalerweise solche Gespräche in seinem Büro geführt werden, das gehört zum Leben von Regierung und Opposition.

    Engels: Roland Koch, hessischer Ministerpräsident. Er gehört der CDU an, und ich bedanke mich für das Gespräch.