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Zwangsexmatrikulation für Hörsaaldinosaurier

An der Uni Köln wurden im Zuge der endgültigen Umstellung auf Master- und Bachelorstudiengänge 32 Langzeitstudenten zwangsexmatrikuliert. Der Kölner Studierendenvertreter Patrick Schnepper bemängelt, dass es nicht in allen Fällen individuelle Härtefallprüfungen gegeben habe.

Patrick Schnepper im Gespräch mit Sandra Pfister | 31.08.2011
    Sandra Pfister: Vor wenigen Tagen hat die Kölner Universität 32 Studierende exmatrikuliert. Der Grund: Sie sind zu langsam. Die Hochschulen wollen die alten Studiengänge, die mit Magister und Diplom enden, allmählich auslaufen lassen, deshalb haben sie den Studierenden Fristen gesetzt: Bis dann und dann müsst Ihr Zwischenprüfungen, Scheine etc vorgelegt haben, sonst könnt Ihr nicht mehr weiterzustudieren. Und jetzt machen sie offenbar Ernst. Das stinkt den Studierendenvertretern: Dutzende von Mails von Fachschaften und Studierendenvertretern haben uns erreicht, sie schreien Zeter und Mordio gegen die Zwangs-Exmatrikulation. Patrick Schnepper, Sie sind schon lange Studierendenvertreter in Köln, Sie koordinieren die Zusammenarbeit der Allgemeinen Studierendenausschüsse in NRW. Was ist eigentlich dagegen zu sagen, dass jemand nach 14, 16, 20 Semester fliegt, wenn er es nicht geschafft hat, trotz klarer Ansage Scheine zu machen oder eine Prüfung zu absolvieren?

    Patrick Schnepper: Na ja, es gibt ja verschiedene Hintergründe, warum die Studierenden so lange gebraucht haben, und die muss man sich halt einfach anschauen, und dann kommt man sehr schnell zu dem Schluss, dass häufig das Studium gar nicht schneller zu bewerkstelligen ist. Also es wird ja immer davon ausgegangen, dass man jetzt Zeit hatte für die Regelstudienzeit plus noch mal ... für die anderthalbfache Regelstudienzeit, und wenn man sich anschaut, dass die Regelstudienzeit zum einen schon mal gar nichts mit der Durchschnittsstudiendauer zu tun hat und wenn man dann halt noch individuelle Härtefälle mit betrachtet, sieht man halt sehr schnell, dass viele der Exmatrikulationen einfach nicht angebracht waren.

    Pfister: Sie reden von Härtefällen, beispielsweise Studierende mit kleinen Kindern, mit chronischen Krankheiten oder welche, die, wie Sie, Gremienarbeit an der Universität gemacht haben. Für die gibt es Ausnahmeregeln. Was ist daran dann unfair?

    Schnepper: Hauptsächlich ist unfair, dass diese Ausnahmeregelungen zwar auf dem Papier erstmal bestehen, sie allerdings nicht angewandt werden. Also der berühmteste Fall ist ja zurzeit Jan Weber an der Uni Köln - wegen Gremienarbeit hat sein Studium sich bei ihm verzögert, er hat einen Härtefallantrag gestellt und dieser ist einfach abgelehnt worden, obwohl es da klare gesetzliche Vorschriften gibt.

    Pfister: Aber die Hälfte aller Anträge geht durch.

    Schnepper: Da kann man sich leider nicht so sicher sein, leider erfährt man halt nur von den Menschen in der Regel, wo die Anträge nicht durchgehen, und zum Teil muss man halt auch einfach sagen: Es gibt Studierende mit Kind, da wurden Anträge, also da wurde ein Aufschub von ein bis zwei Semestern gewährt. Wenn man sich aber anschaut, was für Beeinträchtigungen eben das Erziehen eines Kindes auf ein Studium hat, ist das bei Weitem nicht ausreichend.

    Pfister: Es geht ja in der Regel um Leute, die sehr lange studiert haben, also es geht nicht darum, die Regelstudienzeit um zwei Semester zu reißen. Jetzt hat zum Beispiel Frankfurt eine siebenjährige Übergangszeit für Diplomstudiengänge. Kann man da wirklich davon reden, dass das hart ist? Da kann man sich doch lange genug drauf einstellen.

    Schnepper: Man kann sich zum einen sicherlich darauf einstellen, zum anderen muss man aber auch sehen, dass gerade die betroffenen Studierenden, die dies nicht geschafft haben, in der Zeit fertig zu werden, meistens sehr individuelle Bildungsbiografien haben, also die meisten müssen nebenbei arbeiten, es kommen verschiedene Dinge hinzu, häufig sind es auch die Hochschulen selber, die die Studienzeit quasi verzögern, sodass die Studierenden eigentlich gar nichts dafürkönnen. Und diese individuelle Prüfung fehlt uns halt einfach als Studierendenvertreter, dass man eben jetzt einfach hingeht und sagt, alle, die drüber sind, werden rausgeschmissen, und man nicht auf die Bedürfnisse der Studierenden eingeht.

    Pfister: Also klar, die Unis erwidern Ihnen, es gibt eine individuelle Prüfung, indem man Härtefallanträge stellt, aber die Exmatrikulation, wenn es denn jetzt zu diesem Fall kommt, die bedeutet in der Regel ja nicht den Komplettrausschmiss, sondern die Hochschulen bieten den Studierenden an, sich für Bachelorabschlüsse, also die neuen Abschlüsse, einzuschreiben. Ist das ein Ausweg, mit dem Sie leben können?

    Schnepper: Ja, leider ist auch das wieder nur auf dem Papier formal gegeben. Sicherlich gibt es Möglichkeiten, in den Bachelor zu wechseln. Wenn ich dann aber anschaue, wie viele von den Prüfungsleistungen, die im Diplom erbracht wurden oder im Magister erbracht wurden, dann beim Bachelor- und Mastersystem nachher auch anerkannt werden, fangen schon die ersten Probleme an. Also jetzt der Fall in Physik an der Uni Köln, da ist es zum Beispiel so, dass alle Leistungsnachweise im Diplomstudiengang ohne Note versehen werden, im Bachelorstudiengang muss aber eine Note auf den Leistungsnachweisen sein, um diese anerkennen zu können, sprich, da hat man schon fast gar keine Chance, eben in den Bachelor wechseln zu können. Dann muss man halt auch sehen: Wie weit ist das Studium fortgeschritten? Wenn ich jetzt fast alle Scheine im Diplom habe und dann in den Bachelor wechseln muss, ist das natürlich auch ein qualitativer Unterschied. Weil man kann halt diesen Zwischenschritt Bachelor nicht überspringen. Wenn man jetzt zum Beispiel seine Zwischenprüfung schon vorweisen kann, kann man nicht direkt mit dem Master einsteigen, obwohl man die Leistungen eigentlich schon erbracht hätte.

    Pfister: Irgendwann müssen die Hochschulen natürlich die alten Studiengänge auslaufen lassen. Glauben Sie jetzt, dass jetzt eine große Welle von Zwangsexmatrikulationen losrollt, dass also Köln und Aachen, von denen wir es schon gehört haben, nur der Anfang sind?

    Schnepper: Ich denke schon, also man sieht es jetzt schon: Allein an der Fernuni Hagen werden vermutlich 1500 Studierende im nächsten Jahr betroffen sein, also zumindest sind zurzeit noch 1500 Studierende in den alten Studiengängen eingeschrieben.

    Pfister: Die haben allerdings sehr großzügige Übergangsregelungen angekündigt.

    Schnepper: Die haben sehr großzügige Regelungen angekündigt, wie die dann nachher umgesetzt werden, muss sich leider zeigen lassen. Aber alle Hochschulen oder fast alle Hochschulen wollen halt möglichst schnell die alten Studierenden loswerden und halt mit dem Bachelor-Master-System weiter verfahren, und da wird es sicherlich noch zu Riesenproblemen kommen.

    Pfister: Patrick Schnepper, Studierendenvertreter und Koordinator der Landes-ASten-Konferenz in Nordrhein-Westfalen. Danke!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.