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Zwangspause

Im Job eine Auszeit einlegen – normalerweise bringen wir das mit Babypause oder einem Sabbatjahr in Verbindung. Manchmal zwingen Menschen aber auch Schicksalsschläge, wie eine schwere Erkrankung, dazu ihren Arbeitsplatz eine Zeit lang zu verlassen.

Von Norman Laryea | 19.06.2010
    "Ich habe einen Anruf bekommen von der Ärztin und die sagte mir dann: Sie haben Brustkrebs. Und dann bin ich erst mal zusammengebrochen, mehr oder minder. Und eine Kollegin hat das mitbekommen und saß dann mit mir auch noch da. Und ich weinte. Und demzufolge war meine Arbeit dann auch der Platz, wo ich zum ersten Mal mit dieser schrecklichen Diagnose konfrontiert wurde."

    Brustkrebs. Eine Diagnose, die das Leben von Simone Hartmann vor einem Jahr schlagartig verändert hat. Wir haben ihren Namen geändert, weil sie anonym bleiben möchte. Sie ist damals Anfang 30, steht voll im Berufsleben und arbeitet als Designerin. Ein Job in dem Zwölf-Stunden-Tage keine Seltenheit sind. Aus diesem Rhythmus wird sie durch die Krankheit abrupt herausgerissen. Es folgt ein Ärztemarathon, der sich über ein Jahr hinziehen wird.

    "Man ist wirklich in einem anderen Kosmos in dem Jahr. Man ist vollkommen in einer anderen Welt. Alles dreht sich primär um die Krankheit. Man ist ständiger Gast im Uniklinikum. Warten in Warteräumen, das kämpfen mit den Nebenwirkungen. Ich war in Isolation gewesen im Krankenhaus, weil mein Immunsystem zu weit unten war. Das sind einfach Erlebnisse, dass kann sich so niemand vorstellen."

    Vor der Erkrankung spielte "Leistung im Job" eine große Rolle in Simone Hartmanns Leben. Unter Zeitdruck Projekte fertigstellen. Freizeit für den Beruf opfern. Plötzlich ändert sich alles. Sie hinterfragt, relativiert, sucht nach Sinn. Ein bisschen, findet sie, ist es so, als ob sie ihr Leben noch mal von vorne beginnen würde. Eine schwierige Zeit. Aber: sie erhält unerwartet Hilfe.

    "Am Tag meiner ersten Chemotherapie kam eine sehr, sehr nette Krankenschwester auf mich zu. Ich hab geweint. Ich hatte Angst. Ich habe gedacht: Was macht diese Flüssigkeit, die in meinen Körper rinnt? Und es kam eine Krankenschwester auf mich zu, die mich in den Arm nahm, mir eine Karte gab und mir sagte: Wenn sie Hilfe brauchen wenden Sie sich dahin. Die können ihnen helfen."

    "Die auf der Karte" das sind die Mitglieder der Initiative "Lebenswert". Ein Verein, der an der Universitätsklinik Köln gegründet wurde. Das Ziel: Krebspatienten sollen während der Therapie seelisch unterstützt und begleitet werden. Der Verein Lebenswert setzt dabei auf ein System mit unterschiedlichen Bausteinen. Neben Musik- und Kunsttherapie, gibt es auch ein bewegungstherapeutisches Angebot. Außerdem wird die Rückkehr ins Berufsleben im Rahmen eines Coaching-Programmes vorbereitet. Leiterin Cathrin Kienle beschreibt, was es damit auf sich hat:

    "Es geht darum einen Modus zu finden: Wie geht man damit um? Gehe ich damit offen um? Wie reagieren die Kollegen? Häufig ist es ja auch so, dass dann immer noch Arzttermine wahrgenommenen werden. Schon in der neuen Berufstätigkeit. Wie erkläre ich das? Oder auch: Wie gehe ich im Bewerbungsgespräch damit um?"

    Der Glaube an die eigene Leistungsfähigkeit ist bei vielen Krebspatienten oftmals abhandengekommen. In vielen Coaching-Sitzungen versucht Psychologin Cathrin Kienle deshalb ihre Klienten behutsam auf die Rückkehr in den Job vorzubereiten. Neben praktischen Übungen wie dem Verhalten in Bewerbungsgesprächen geht es dabei vor allem um eine wesentliche Frage:

    "Wichtig ist es vielmehr aufzunehmen: Was möchte der andere? Ich will da vielmehr als Spiegel fungieren und das aufnehmen, was ich erlebe und was ich sehe und damit dann weiterarbeiten. Das ist eigentlich die Kunst. Mit dem Selbstkonzept und mit den Wünschen des Klienten tatsächlich zu arbeiten. Manchmal lehnt sich ein Klient sehr weit raus und will alles neu mischen und am Ende kommt dann raus: Nein, es gibt nur kleine Stellschrauben und die machen aber dann sehr zufrieden."

    Über das sogenannte "Hamburger Modell" ist Simone Hartmann in ihren Job zurückgekehrt. Bei diesem Modell für Menschen, die nach langer Erkrankung wieder in den Beruf einsteigen, wird die Arbeitszeit an den Gesundheitszustand angepasst und schrittweise gesteigert. Nach Chemotherapie und einjähriger Behandlung arbeitet sie nun fast wieder in Vollzeit. Aber: auch wenn die Krankheit überwunden ist: Bei Simone Hartmann hat sie Spuren hinterlassen.

    "Ich selbst fühle mich manchmal auch wie mit einem Stigma einem Stempel: krank, so ein bisschen aussortiert, nicht funktionsfähig. Und damit muss man erst mal umgehen und herauszufinden: Das ist nicht so, wie ich denke, wie alle darüber denken."

    Auch damit lernt Sie, im Rahmen des Coaching-Programmes umzugehen. Sie spricht offen über ihre Krebserkrankung. Situationen in denen ihre Kollegen übertriebenes Mitgefühl zeigen, oder ihr aus dem Weg gehen, will sie dadurch gar nicht erst entstehen lassen. Ins Berufsleben ist Simone Hartmann zurückgekehrt. Ihre Haltung hat sich aber geändert:

    "Jetzt merke ich das auch, dass so viele Dinge wichtig sind, die ich früher im Geiste immer nach hinten verschoben habe. Das hat sich geändert. Das ich sage: ich darf die Dinge nicht einfach so nach hinten verschieben, wenn ich es jetzt machen möchte dann muss ich es auch jetzt machen, weil ich weiß nicht was im nächsten Jahr sein wird."