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Zwangsumsiedlung für Groninger WGler

Wohngemeinschaften sind vor allem bei Studierenden sehr beliebt. Der niederländischen Stadt Groningen dagegen sind sie ein Dorn im Auge. Daher setzt die Stadt zurzeit eine Verordnung um, wegen der viele WGs aufgelöst werden müssen.

Von Anorte Linsmayer | 24.05.2012
    In der Wohngemeinschaft in der Noordstationsstraat in Groningen brutzeln Kartoffeln in der Pfanne, es wird gekocht und dabei gequatscht – der übliche Alltag bei Chris Rosche und seinen vier Mitbewohnern. Nur die Gesprächsthemen sind derzeit anders als sonst, es geht oft immer nur um das Eine:

    "Hast Du schon was Neues?"

    Wie es weiter gehen soll mit der WG, wer welche Wohnungsangebote durchgeguckt hat und ob es nicht doch noch irgendeine Möglichkeit gibt, in dem dreistöckigen Backsteinhaus wohnen zu bleiben. Denn die Stadt will, dass die Wohngemeinschaft aus diesem Haus auszieht, weil der Vermieter keine Genehmigung hat, das Haus an Studenten zu vermieten und weil in der Noordstationsstraat schon zu viele Studenten wohnen. Der Kölner Chris Rosche studiert in Groningen Psychologie und wohnt seit zwei Jahren in der WG – das er jetzt ausziehen soll, kann er nicht nachvollziehen.

    "Ich find, das ist krasseste Diskriminierung überhaupt weil man kann ja nicht sagen Studenten müssen raus, da kann man ja auch sagen Familien mit mehr als zwei Kindern müssen raus, die machen ja auch Lärm. Wir haben zwei Jahre gebraucht um diese WG so einzurichten, das sich alle verstehen und so und jetzt wird das alles gesprengt und jeder darf sich irgendwo was eigenes zu suchen und Schluss mit Happy, Friede, Freude, WG-Leben."

    In Groningen gilt schon seit drei Jahren ein Gesetz, wonach es in rund 100 Straßen in der Stadt nur eine begrenzte Anzahl von Wohngemeinschaften geben darf. Wenn mehr als zwei Personen ohne familiäre Bindung in einem Haus zusammen wohnen, benötigt der Vermieter eine Genehmigung der Stadt. Aber nur 15 Prozent der Häuser bekommen überhaupt so eine Genehmigung. Der Stadtrat für Wohnungsbau, Frank de Vries, verteidigt diese Praxis:

    "Für einige Straßen wurden sehr viele Genehmigungen beantragt durch kommerzielle Immobilienfirmen, die da ein gutes, schnelles Geschäft mit machen wollten. Und das war teilweise so viel, dass wir das deckeln mussten, gerade auch weil aus der Nachbarschaft Beschwerden kamen. Aber wir können da nur begrenzt etwas unternehmen, denn wir finden schon, dass Studenten zur Stadt dazu gehören, aber wir können sie dadurch etwas verteilen auf die Stadt. Wenn in einer Straße zu viele Studenten wohnen, dann sagen wir: Die Straße ist voll und dann müssen sie in eine andere Straße."

    Die Studenten sollen sich also auf das ganze Stadtgebiet verteilen, damit sich die Anwohner in besonders bei Studenten beliebten Wohngegenden nicht gestört fühlen. In der Straße in der Chris Rosches Wohngemeinschaft ist, hat sich noch niemand über die studentischen Nachbarn beschwert – im Gegenteil, sagt der deutsche Student.

    "Die Beziehung zu unseren Nachbar ist super und das tut ihnen auch total leid das wir hier raus müssen, wir haben auch eine Postkarte bekommen, wo sie geschrieben haben, das es ein Jammer ist, das wir ausziehen müssen und sie noch nie irgendwann eine Last in Form von Lautstärke oder so gehabt haben und das sie uns viel Erfolg wünschen und haben uns Hilfe angeboten."

    Dennoch lässt die Stadt nicht mit sich reden. Derzeit sind in Groningens Innenstadt Dutzende Kontrolleure unterwegs, auf der Suche nach nicht genehmigten Wohngemeinschaften. Wer erwischt wird, muss ausziehen. Ansonsten muss der Vermieter Strafe zahlen – 500 Euro jeden Tag. Davon betroffen sind etwa 1500 Häuser in der Stadt. Es gibt zwar eine Auszugsfrist von drei Monaten, aber die reicht häufig nicht aus, um eine neue und vor allem bezahlbare Unterkunft zu finden. Auch Chris Rosche und seine Mitbewohner wissen nicht, wohin.

    "Wir suchen alle zusammen was, aber das wird unmöglich sein. Hier schon ein Zimmer zu finden ist fast unmöglich, du hast sicher schon gehört, das die Leute auf Campingplätze und in Ferienparks ziehen müssen deswegen werden wir zusammen nichts finden. Wir müssen wahrscheinlich irgendwo einzeln getrennt hinziehen müssen. Die Stadt sagt, dann bleibt zu zweit hier wohnen, aber wir zahlen für dieses Haus über 2000 Euro Miete pro Monat das kann sich kein Student leisten zu zweit. Die Stadt gibt uns nichts und die Stadt sagt uns, fragt die Vermieter, aber die Stadt hat die neue Regelung eingeführt deswegen find ich, ist die Stadt zu blamen und nicht die Vermieter."

    Die Stadt dagegen verteidigt ihre Vorgehensweise. Die meisten Vermieter hätten sich nicht rechtzeitig um eine Genehmigung gekümmert, jetzt sei es dafür zu spät. In fast allen Straßen in Groningen sei die 15-Prozent-Quote erreicht. Stadtrat Frank de Vries:

    "Wir wollen die Studenten nicht aus dem Haus jagen, aber ich bin gegen illegale Vermietungen und dagegen müssen wir etwas tun – das ist nicht per se gegen Studenten, bei einer Senioren-WG ohne Genehmigung wäre die Regel genauso."

    Nur gibt es davon in Groningen nicht so viele. Ein Viertel der Einwohner sind nämlich Studierende. Zwar baut die Stadt derzeit 5000 neue Studentenwohnungen, aber bis die fertig sind, haben die meisten ihr Studium wohl längst abgeschlossen.