Donnerstag, 28. März 2024

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Zwanzig Jahre Bundeskulturministerium
Kultur ist keine Milieufrage mehr

"Kultur ist wirklich Politik geworden", sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters im Dlf. "Mit Kulturleistungen können wir Weltoffenheit zeigen und gleichzeitig Schaufenster für andere Kulturen sein", so Grütters. Sie ist seit fünf Jahren im Amt und hat Etat und Mitarbeiterstab vergrößert.

Monika Grütters im Gespräch mit Michael Köhler | 27.10.2018
    Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU)
    Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) (dpa-Bildfunk / Jens Kalaene)
    Michael Köhler: Die Länderkulturminister verhielten sich kritisch bis ablehnend, als im Oktober 1998 das Amt eines Beauftragten für Kultur und Medien beim Bundeskanzler etabliert wurde. Sie sorgten sich um die Kulturhoheit der Länder in der föderal verfassten Republik. Der intellektuell sprühende Verleger Michael Naumann wurde erster bundesdeutscher Kulturstaatsminister.
    Er sprach bei Amtsantritt von Deutschland als "kulturpolitischer Sahelzone". Alle, die bis dahin Kulturpolitik im Bund betrieben hatten, waren sauer. Es gab natürlich Bundes-Kulturpolitik, sie hieß nur nicht so.
    Michael Naumann blieb zwei Jahre, wurde von Julian Nida-Rümelin beerbt. Auf ihn folgten Christina Weiss und Bernd Neumann.
    Seit 2013 hat Monika Grütters das Amt inne. Sie hat die Mitarbeiterzahl verdreifacht und den Gesamtetat von anfänglich 950 Millionen auf inzwischen 1,7 Mrd. Euro nahezu verdoppelt.
    Ein Schachzug von Kanzler Schröder war das damals schon, nicht wahr?
    Monika Grütters: Ja, absolut! Ich bin ihm noch heute dankbar dafür. Und als damals ein bayerischer Länderkulturminister meinte, sagen zu müssen, ein Bundeskulturministerium sei ungefähr so überflüssig wie ein Marineminister in der Schweiz, haben wir uns darüber gefreut und die Herausforderung munter angenommen.
    Michael Köhler: Die symbolische Wirkung damals war groß, die tatsächlichen Mittel eher gering. Von Michael Naumann über Julia Nida-Rümelin, Christina Weiss, Bernd Neumann, Kulturstaatsminister, bis zu Ihnen hat sich der Etat verdoppelt, auch die Mitarbeiter. Das heißt, das Politikfeld Kultur, das ist angekommen und auf Bundesebene unumstößlich und unbestritten?
    "Nationale Identität erwächst aus Kulturleben"
    Grütters: Ja, Kultur ist wirklich Politik geworden. Wir sind nicht mehr die Wohlfühlzone für Besserverdienende. Kultur ist lange schon keine Milieufrage mehr, sondern ich glaube, heute kann man sagen, Kultur ist so etwas wie der Modus unseres Zusammenlebens in einer erwachsen gewordenen Gesellschaft geworden. Jede nationale Identität erwächst aus dem Kulturleben eines Landes und nicht aus einem dichten Autobahnnetz. Es sind Kulturleistungen, die uns helfen, auch ein bisschen Weltoffenheit zu zeigen, tatsächlich Schaufenster auch zu anderen Kulturen zu sein, auch zu denen, die längst unter uns leben.
    Köhler: Welche großen Ereignisse gab es, bevor wir vielleicht auf die Gegenwart und auch vielleicht die eine oder andere schwierige Sache zu sprechen kommen? Ich erinnere an die Gründung der Kulturstiftung des Bundes 2002. Viele Jahre hat uns auch hier bei "Kultur heute" im Deutschlandfunk die Auseinandersetzung ums Holocaust-Mahnmal beschäftigt, das dann 2005 eröffnet wurde. Die Enquete-Kommission Kultur in Deutschland hat vier Jahre lang getagt, 2007 ihren Bericht vorgelegt. Woran erinnern Sie sich besonders, bevor Sie in Amt und Würden waren?
    "Rolle des Bundes"
    Grütters: Ich kann mich daran erinnern, dass der Michael Naumann am Anfang mal diesen Begriff "Verfassungsfolklore" genannt hat, dass diese Grundsatzfrage, die uns übrigens bis heute wirklich permanent bewegt, nämlich wie ist in einem föderal organisierten Staat, in dem die Kulturhoheit bei den Ländern liegt, tatsächlich die Rolle des Bundes. Was kann er tun, was darf er tun und was muss die Bundeskulturpolitik leisten. In diesen Abgrenzungsfragen bewegen wir uns wirklich, glauben Sie es mir, täglich. Erstens haben sich inzwischen die Kulturminister der Länder selber eine eigene Organisation im Gesamtfokus der KMK gegeben.
    Köhler: Das ist ganz neu.
    Grütters: Das ist ganz frisch geschehen, aber natürlich auch eine Antwort auf 20 Jahre BKM. Endlich organisieren sie sich als Kulturverantwortliche in den Ländern und nicht nur so Gemischtressort-Figuren. – Das Zweite ist: Wir als Bund können natürlich anders als die Kommunen und die Länder, die an ihren jeweiligen Grenzen mit den Finanzierungen ja Halt machen müssen, das dichte Netz von Kultureinrichtungen in ganz Deutschland sicherstellen. Das ist eine vornehme Aufgabe des Bundes.
    Köhler: Das was Sie gerade sagen, das wäre doch vielleicht schon ein Ergebnis oder ein Signal von 20 Jahre Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, dass die Länder auch ihrer Verpflichtung jetzt nachkommen müssen. Sie selber sagen immer gerne, wir sind nicht der Reparaturbetrieb für Länderdefizite. Das Beispiel NRW zeigt gerade bravourös mit erfolgreicher großer Anstrengung, dass da was nachzuholen ist, weil der Bund glanzvoll vorausgeht.
    "Latenter Neid auf die Hauptstadt Berlin"
    Grütters: Das stimmt. Wir setzen natürlich mit unseren Initiativen immer auch mal wieder die Länder in Zugzwang, nicht nur, wenn es Geld zum Beispiel für Denkmalschutz gibt oder Erinnerungskultur, wo wir traditionell komplementär, also halbe-halbe finanzieren, und da wird gerne das Geld des Bundes genommen. Aber gleichzeitig muss das Land sich committen, oder ein anderer Träger. Ich finde, dass wir da in der Tat gut zusammenarbeiten.
    Aber es gibt auch noch eine andere Herausforderung. Es gibt so einen latenten Neid auf die Hauptstadt. Berlin bekommt ja fast 40 Prozent aus meinem Haushalt, aber nicht, weil ich als Berlinerin meine Wahlheimat so gerne habe und jetzt auf diesem Stuhl sitze, sondern weil im Grundgesetz drinsteht, dass der Bund sich für die Kultur in der Hauptstadt zu engagieren habe.
    Köhler: Beim Hauptstadt-Finanzierungsvertrag haben Sie schon die Finger drin gehabt?
    Grütters: Na ja, qua Amt natürlich. Aber im Grundgesetz steht eben drin, die Hauptstadt ist das Schaufenster einer Nation nach draußen, und wir haben es hier mit dem Erbe Preußens und des Deutschen Reiches zu tun. Das würde das Interesse und die Möglichkeiten eines Stadtstaates von dreieinhalb Millionen Einwohnern natürlich übersteigen.
    Beim Hauptstadt-Finanzierungsvertrag haben die Kulturstaatsminister immer die Finger im Spiel. Aber es war Christina Weiss - Sie fragen mich nach Projekten, an die ich mich erinnere -, die zu ihrer Zeit die Akademie der Künste und die Cinemathek in die Bundesverantwortung übernommen hat, obwohl es durchaus vergleichbare Einrichtungen auch in anderen Ländern gibt. Das war haarscharf an der Verfassungstauglichkeit vorbei, finde ich, und das Geld sollte damals, was man Berlin erspart, in die Stiftung Opernhäuser in Berlin gehen. Da ist das leider nie in ganzer Summe angekommen.
    "Freiheits-und Einheitsdenkmal gewünscht"
    Trotzdem: Ich finde, diese Abgrenzung und solche Manöver, die muss man politisch gut begründen, aber die spielen auch eine große Rolle. Und ich versuche, in der Breite der Republik bei den dortigen Bundestagsabgeordneten auch für das Engagement in anderen Ländern zu werben.
    Köhler: Wo gab es Ärger? Wo haben Sie sich geärgert? Wo war es schwierig? – Ich werfe mal ein paar Stichworte in die Runde: Stichwort Einheitswippe, der Kampf darum, Stichwort Kulturgutschutzgesetz, das den illegalen Antikenhandel unterbinden soll, Export von national wertvollen Werken erschweren soll. Ich erinnere mich gut daran, es war vor vier Jahren, als der Verkauf von moderner Kunst aus Landesbesitz des Kasinos Aachen – Sie haben sich ja auch dazu geäußert – für Ärger sorgte. Künstler und Händler schlugen Alarm. Besonders das Mammutprojekt Humboldt-Forum wäre zu nennen. Da fielen Ihnen Themen wie koloniales Erbe, Provenienzforschung massiv vor die Füße. Die Aufgaben sind mehr und schwieriger geworden?
    Grütters: Aber sie sind eine tolle Herausforderung. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal habe ich in der Tat geerbt. Das hat ja eine lange Geschichte und mehrfache Bundestagsbeschlüsse haben gewollt, dass an diesem Ort diese Einheitswaage errichtet wird. Nun gibt es diesen Bundestagsbeschluss, der ist zweimal erneuert worden, dieses Freiheits- und Einheitsdenkmal an dieser Stelle zu errichten, und dann ist es natürlich gute Schule, dass die Exekutive auch exekutiert, was die Legislative möchte.
    Köhler: Ein Problem in letzter Zeit war, auch wenn Sie es nicht mehr gerne hören: Preußenstiftungschef Parzinger wird nicht müde, den Satz zu wiederholen, "Die Aufgaben der Museen haben sich radikal geändert." Mit dem Humboldt-Forum, der Internationalen Dialogplattform für globale Ideen ist Ihnen – ich habe es gesagt - das koloniale Erbe, die Provenienzforschung vor die Füße gefallen. Da haben sich ganz neue Dinge aufgetan, auch die Erwartungen an Museen. Das Ganze ist eingebettet in einen riesigen Komplex auch von Erinnerungskultur. Das haben Sie schon genannt. Sie haben auch ein Deutsches Zentrum für Kulturgutverluste eingerichtet mit Sitz in Magdeburg. Ist das nicht die Baustelle für die nächsten Jahre, der riesige Bereich der Gedenk- und Erinnerungskultur, der Aufklärung, der Aufarbeitung auch der deutschen Gewaltgeschichte?
    "Umgang mit eigener Geschichte"
    Grütters: Ja. Jeder meiner Vorgängerinnen und Vorgänger hatte ja seinen eigenen Schwerpunkt. Meiner ist ganz sicher die Erinnerungskultur und ist auch das literarische Leben. Aber die Erinnerungskultur als ganz wesentlicher Charakterzug eines heutigen Deutschlands am Beginn des 21. Jahrhunderts, der Umgang mit der eigenen Geschichte, nicht nur mit den Abgründen, auch mit den Höhepunkten, das ist in einem Land, in dem die Selbstvergewisserung immer mehr eingefordert wird, weil die gesellschaftlichen Strukturen auch ein bisschen bröckeln, natürlich ungemein wichtig. Nicht nur, dass ich als studierte Kunsthistorikerin mich bei Provenienzforschung und Nazi-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern schon gut auskannte, als ich knapp nach Bekanntwerden des Falles Gurlitt ins Amt kam. Wir haben aus diesem Grund auch unsere Bundesleistungen verdreifacht, um diese Aufgaben bewältigen zu können, das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste in der Tat gegründet und alle Anstrengungen nicht nur gebündelt, sondern verstärkt und sichtbarer gemacht, damit auch ein Vertrauenssignal in die Welt geht. Gerade jüdische Nachfahren haben auf dieses Signal gewartet und das ist auch der Grund, weshalb wir jetzt in Deutschland Ende November die Folgekonferenz zu 20 Jahre Washingtoner Konferenz hier abhalten werden in unserer Verantwortung. Ich glaube, das ist ganz wichtig, zu zeigen: Ja, wir haben gelernt. Aber es liegt auch immer noch viel vor uns.
    Köhler: Nach allem, wie sehr sich das Ministerium verändert hat, haben Sie schon skizziert seit 1998. Das sieht man an den großen Baustellen, wir haben sie jetzt mehrfach erwähnt: die Strukturreform Preußenstiftung, Eröffnung Humboldt-Forum, Filmhaus, Filmerbe, Museum der Moderne. Denken Sie inzwischen nicht ein bisschen zu zentralistisch-national? Oder ich mache es mal persönlich: Ist aus der Westfälin Monika Grütters inzwischen eine bessere Preußin geworden?
    "Wackere Verteidiger von Kultur in der Fläche"
    Grütters: Wie Sie wahrscheinlich wissen, waren die Preußen auch in Münster. Ich habe dieses Gen offensichtlich im Blut. Aber worauf es mir dabei ankommt, ist ja weniger zentralistisch zu denken, sondern tatsächlich von Rostock, vom Meereskundemuseum, bis runter nach Bayreuth zu den Wagner-Festspielen auch tatsächlich (und in Erinnerungskultur allemal) die Fläche zu bedienen. Deshalb haben wir so Dinge entwickelt wie zum Beispiel den Buchhandlungspreis, den Kinoprogrammpreis. Jetzt soll es demnächst einen Verlagspreis geben. Damit versuchen wir ja genau den umgekehrten Gestus, nämlich wir möchten gerade die kleinen, wackeren Verteidiger der Kultur in der Fläche erreichen, und wenn es mit Instrumenten wie Preisen ist. Die haben etwas damit zu tun, dass wir sichtbar machen wollen, was es überall gibt, dass wir auch mal zeigen wollen, ihr werdet auch von der Bundeshauptstadt aus wahrgenommen und ermutigt, und dass wir natürlich durch ein bisschen Geld auch helfen wollen, dass das so bleibt.
    Das Kolonialismus-Thema beispielsweise ist eines, was absolut ein nationales Thema ist, die ganze Bundesrepublik betrifft, nicht nur, weil es viele Museen auch außerhalb Berlins gibt, die diese Kulturgüter sammeln, sondern weil es natürlich ein gesamtdeutsches Thema war und nicht eines, was auf Bundesländer bezogen bearbeitet werden muss.
    Köhler: Was wünschen wir uns denn, Sie von sich und ich mir von Ihnen? Ich wünsche mir von Ihnen ein Exilmuseum.
    Grütters: Das finde ich gut. Wir haben natürlich schon Exilmuseen. Wir haben beispielsweise das Literaturarchiv in Marbach, wo natürlich sehr viele Exilschriftsteller sind. Wir haben letztes Jahr eine riesengroße Ausstellung in der Nationalbibliothek in Frankfurt eröffnet zum Thema Exil, weil sie die meisten Exilgüter und Exponate gesammelt hat, von Koffern bis hin zu Schriftstücken und fertigen Büchern, aber auch Geschichten aus dem Exil. Die haben wir dort auf 800 Quadratmetern (und das wird noch mal um eine zweite Fläche erweitert) eröffnet, um zu zeigen: Ja, das gibt es. Und es muss auch nicht immer alles in Berlin sein, wie Sie mir ja gerade selber schon diktiert haben. Aber ich finde es auch gut, dass das hier eine private Initiative ist. Die werden wir natürlich und gerne unterstützen.
    "Gefühl für materiellen und idellen Wert"
    Was ich mir wünsche, das ist auch beim Kulturgutschutzgesetz und bei den von Ihnen angesprochenen Verkäufen zum Beispiel aus Firmenbesitz immer wieder offenbar geworden, dass wir in Deutschland ein Gefühl dafür entwickeln, dass Kulturgüter (ob es Bücher sind, ob es Filme sind, ob es zum Beispiel Gemälde sind) immer Wirtschaftsprodukt einerseits, aber eben auch Kulturgut andererseits sind, und dass es Situationen gibt, in denen das gesamtgesellschaftliche Interesse größer ist als das eines materiellen Verkaufs, dass wir also ein Gefühl entwickeln für den Preis, den eine Sache hat, aber auch für den Wert. Das ist manchmal ganz schwer, aber dafür braucht es ein öffentliches Bewusstsein und eine große Sensibilität. Ich sehe mich da in der Sache der Künste, die auch manchmal verteidigen muss, dass es zum Beispiel hier bleibt oder zu einem anderen Preis verkauft wird, oder dass man faire und gerechte Lösungen findet. Da hängt einfach viel mit vielem zusammen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.