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Zweckbündnis oder Heiler in der Not

Zwei große Koalitionen auf Bundesebene hat es gegeben, '66-'69 unter Kurt Georg Kiesinger und die amtierende unter Bundeskanzlerin Merkel seit 2005. Auf Länderebene sieht das anders aus. So oder so ist eine große Koalition immer eine Art Zwangsehe.

Von Susanne Grüter, Susanne Schrammar und Wolfram Stahl | 21.09.2009
    Der Kanzler leistet letzten Widerstand. Es scheint ihm unvorstellbar, nicht mehr weiter regieren zu können. Gerhard Schröder sträubt sich gegen die Niederlage. Wie ein Rabauke benimmt sich der Verlierer am Wahlabend des 18. September 2005. In der versammelten Runde der Spitzenkandidaten pocht er vor laufenden Kameras auf das Amt.

    "Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei auf ein Gesprächsangebot von Frau Merkel bei dieser Sachlage einginge, indem sie sagt, sie möchte Bundeskanzlerin werden? Ich meine, wir müssen die Kirche doch mal im Dorf lassen."

    Der sperrige Kanzler erschwert eine Weile die nötig gewordenen Koalitionsverhandlungen zwischen der SPD und der CDU/CSU. Rechnerisch haben sich zwar auch noch andere Möglichkeiten als eine große Koalition eröffnet, die dann aber an den Unverträglichkeiten von FDP, Grünen und Linkspartei scheiterten. Obwohl das Aushandeln des Koalitionsvertrages neun Wochen lang dauert, ist zumindest Angela Merkel und Franz Müntefering frühzeitig klar, was sie aneinander haben würden.

    "Nach einem zugegebenermaßen harten Wahlkampf, in dem sich Union und SPD wahrlich nichts geschenkt haben, freue ich mich, dass ich Ihnen heute Abend mitteilen kann, der Vertrag für die zweite Große Koalition auf Bundesebene in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland steht."

    "Das ist eine Lebensabschnittspartnerschaft, die wir jetzt machen. Das trifft den Kern der Dinge. Also in der Sache streiten, aber wissen, wir müssen zusammen handeln."

    Gemeinsam stark und Streit dem Anderen möglichst nicht nachtragen. So stellt man sich das für gewöhnlich in einer Vernunftehe vor, aber selbst die Liebesheirat mit einem ausgesuchten Partner verläuft bisweilen anders als gedacht. Nur aus der Not heraus - aber bitte ohne Wiederholung - lautet für gewöhnlich die politische Richtschnur für eine große Koalition.

    Im Land Berlin bestand jedoch zwischen 1991 und 2001 gleich zehn Jahre lang diese Ausnahmesituation. Die Geschichte der geteilten Stadt verwehrte den Sozialdemokraten jedes andere Bündnis, analysiert Richard Stöss, Politologe an der Freien Universität Berlin.

    "Die war natürlich darauf begründet, dass in den 90er-Jahren die SPD zwar formal eine Koalitionsoption hatte, damals mit der PDS, heute mit der Linken, aber das war damals innerparteilich nicht durchsetzbar."

    Erst Klaus Wowereit traut sich Anfang 2002, die großen Widerstände zu überwinden. Aber auch große Koalitionen ohne tatsächliche Notwendigkeiten hat es schon gegeben. In den Anfängen der Bundesrepublik existierten in einigen Bundesländern Allparteienkoalitionen. Und eine sogenannte oversized-Koalition habe es auch in den Westberliner Nachkriegsjahren gegeben, erinnert Stöss.

    "Da war das Argument, es geht eben darum, in einer so schwierigen Lage, in der Berlin damals war - Bedrohung durch den Ostblock, durch die DDR, durch die Sowjetunion, dass da die beiden großen Volksparteien sozusagen zusammenhalten müssen. Das hat auch lange Zeit gehalten, 1963 dann hat die SPD mit der FDP eine Koalition gemacht, weil man gesagt hat, okay, jetzt ist die Nachkriegszeit gewissermaßen zu Ende, jetzt ist die Zeit der Entspannungspolitik, und das war mit der Berliner CDU nicht zu machen."

    "Können wir Ihnen ein paar Fragen zur Bundestagswahl beantworten?"

    Vor einem Wuppertaler Großkino. An zwei runden Tischen zwei rote SPD-Schirme, darunter verstreut Faltbroschüren mit den Partei-Parolen. Es gehört zum mühseligen Geschäft der Basis, dieses Wahlkampfutensil an den mäßig interessierten Bürger zu bringen. Das Häuflein Jusos macht einen verlorenen Eindruck. Umso dankbarer sind die jungen Genossen, sobald einer innehält.

    "Ich wähl entweder voll Grün oder voll Links, aber die SPD, die ist so konservativ, da geht immer alles so langsam."

    "Ah, ja, also gut, habe ich zum ersten Mal gehört, die SPD wäre konservativ, aber ist es dann eher die Politik unter der Ära Schröder, die Sie als konservativ beschreiben würden oder die jetzige Politik unter dieser Regierungsbeteiligung?"

    Die SPD hat es besonders schwer in diesen Zeiten. Das hängt nicht nur, aber viel mit der großen Koalition in Berlin zusammen. Nadine Stoffels, seit einem Jahr Juso-Mitglied:

    "Man vergisst die SPD sehr leicht, wenn man an die Regierung denkt, weil Merkel nun mal sehr im Rampenlicht steht und dadurch natürlich die CDU immer sehr hervorgehoben wird."

    Das strategische Problem des Juniorpartners im Wahlkampf. Niemand weiß das besser als die SPD in Wuppertal. Die letzten fünf Jahre hat in der Heimatstadt von Friedrich Engels und Johannes Rau Schwarz-Rot regiert – genau wie in Berlin.
    Und nach der Kommunalwahl im vergangenen Monat sieht es sogar nach einer Neuauflage aus. Hier zeichnet sich ab, was auch auf Bundesebene möglich scheint. Aber niemand wolle das, sagt Juso-Mann Daniel Kolle.

    "Populär ist die große Koalition an der Basis nicht, denn was die Menschen gerade jetzt in Wahlkampfzeiten immer wieder monieren, ist, dass die SPD ihr Profil verloren hat, dass die Trennschärfe zu den anderen politischen Parteien nicht mehr vorhanden ist und deswegen ist die Stimmung auch negativ in diesem Bereich."

    Die Sozialdemokraten könnten aus der großen Koalition heraus nicht punkten, und das obwohl sie der CDU einiges abgerungen hätten. Darin sind sich jedenfalls die Wuppertaler Jusos einig. Die Erfolge der SPD fielen einfach keinem auf, weil die CDU nach links gerückt sei.

    "Das heißt natürlich, dass wesentliche Kompetenzfelder, die wir immer für uns in Anspruch genommen haben, die wir auch glaubhaft besetzt haben, dass wir Angriffe von der anderen Seite auf diese Kompetenzfelder abwehren müssen und weiter deutlich machen müssen, dass wir die einzige Partei sind, die soziale Gerechtigkeit und ökologische und wirtschaftliche Faktoren miteinander verknüpfen kann."

    Inhaltlich gesehen sei die CDU der falsche Partner. Darum lehnt Cendresa Sadiku, stellvertretende Jusovorsitzende von Wuppertal, eine Neuauflage der Große Koalition rundweg ab.

    "Meine Idealkonstellation wäre, das ist natürlich ein bisschen kontrovers, Rot-Rot-Grün auch auf Bundesebene. Wir brauchen meiner Auffassung nach, auch weil wir uns ein wenig von unseren Wurzeln entfremdet haben, vielleicht einen Linksruck. Man kann auch mit der Linkspartei pragmatische Politik machen. Es sind nicht alle Altkommunisten und Marxisten. Man personifiziert sie mit dem Bösen und das ist meiner Auffassung nach fatal und falsch."

    Die Option Rot-Rot-Grün ist bei der Parteiführung in Berlin allerdings längst durchgefallen. Jusovorstandsmitglied Andreas Helsper über andere Varianten:

    "Ich würde mir wünschen, dass wir mit der FDP zusammenarbeiten, wenn es mit den Grünen nicht reicht. Ansonsten müssen wir weiter in die große Koalition. Es geht darum, dass wir Verantwortung übernehmen für das Land und dass wir uns nicht davor drücken, egal was die Umfragen sagen."

    "Es ist natürlich eine Wahl zwischen Pest und Cholera, um es ganz extrem zu beschreiben. Aber auf der anderen Seite muss man die Realitäten akzeptieren. Opposition ist Mist, hat Münte gesagt, und ich denke, wenn man es reell betrachtet, hat er da auch in gewisser Weise Recht."

    Daniel Kolle hat die Worte des Vorsitzenden Franz Müntefering verinnerlicht. Eine Erneuerung aus der Opposition heraus komme nicht infrage. 16 Jahre Kohl haben sich tief ins sozialdemokratische Gedächtnis eingebrannt. So etwas will keiner mehr riskieren.

    "Hat die SPD denn überhaupt noch eine Chance, das Rennen zu machen?"

    "Also, natürlich sind die Umfragen momentan definitiv schlecht für uns, das ist ein Tief, das wir lange nicht überwunden haben. Aber, ich denke, wenn die Menschen verstehen, dass es eine Richtungsentscheidung ist, dass es hier wirklich um die Frage geht: Wie kommen wir aus dieser Weltwirtschaftskrise heraus, welche Lösungen finden wir in Deutschland?"

    Auch wenn die SPD in den Meinungsumfragen auf den letzten Metern hat zulegen können: Der Wuppertaler Bundestagsabgeordnete Manfred Zöllmer, der die Jusos an diesem Abend verstärkt, hat sowieso erst einmal andere Sorgen:

    "Na, ja, jeder kämpft natürlich um ein Mandat, auch ich muss kämpfen. Ich brauche hier die Mehrheit der Erststimmen. Wenn ich die nicht bekomme, dann werde ich nicht im Bundestag vertreten sein. Von daher ist man natürlich schon ein bisschen nervös."

    Vor dem Wuppertaler Kino, an dem die Jusos ihren Stand aufgebaut haben, ist der Abend mit zunehmender Dauer noch ruhiger geworden.

    "Also die Resonanz ist leider nicht so gut, weil wir erhofft haben, mehr Leute zu treffen, aber leider will heute Abend keiner ins Kino gehen. Und deswegen stehen wir fast alleine hier."

    "Ja, wir bespaßen uns gegenseitig."

    Der ersten großen Koalition im Bund, die zwischen 1966 und 1969 regierte, waren Nickligkeiten und Gezänk von Anfang an vertraut. Die Union hatte von 1965 an schon ein Jahr zusammen mit der FDP regiert, ehe sich Unions-Kanzler Kurt Georg Kiesinger anschließend in derselben Legislaturperiode mit der SPD verbündete.

    "Die stärkste Absicherung gegen einen möglichen Missbrauch der Macht ist der feste Wille der Partner der Großen Koalition, diese nur auf Zeit, also bis zum Ende dieser Legislaturperiode fortzuführen."

    Eigentlich hätte damals die Union mit den Liberalen gern weiter regiert. Aber die Koalition mit der FDP war zerbrochen, weil die CDU/CSU – anders als heute – das Haushaltsdefizit des Staates mit Steuererhöhungen bekämpfen wollte. Monatelang hatte deshalb 1966 zwischen Union und Liberalen nahezu Stillstand in der Regierungsarbeit geherrscht, bevor sich CDU/CSU mit der SPD und ihrem Parteivorsitzenden Willy Brandt auf die große Koalition verständigten.

    "Ich habe so das Gefühl nach den hektischen Tagen und Wochen, die hinter uns liegen, kommt es jetzt darauf an, dass man nicht gleich zu viel redet, nachdem eben eine Regierung gebildet worden ist. Es muss jetzt wieder regiert werden."

    Die alte "Große Koalition" hatte ebenfalls eine Rezession zu bekämpfen und eine Arbeitslosigkeit, die aber nicht mit der vergangener Jahre zu vergleichen war.

    Während im Bonner Plenarsaal damals das Parlament tagt, demonstriert auf den deutschen Straßen und in den Universitäten die APO. Es ist auch ein Protest gegen die Machtfülle der Großen Koalition, die das Grundgesetz verändert und die Notstandsgesetze einführt. Normalerweise ist am Ende einer Koalition die kleinere Partei der Juniorpartner der Verlierer. Doch gebe es Ausnahmen, meint Politikwissenschaftler Stöss.

    "Wenn der Juniorpartner, die kleinere Partei, gewissermaßen die Meinungsführerschaft innerhalb der großen Koalition hat, das heißt, dass von ihr die wichtigen Reformideen, Reformvorhaben ausgehen- das war beispielsweise bei der Großen Koalition `66 bis `69 im Bund der Fall - da war die SPD der Reformmotor und konnte deshalb die Bundestagswahl 1969 erfolgreich abschließen und zu einem Machtwechsel führen."

    Die SPD setzt innerhalb der Regierung von Kanzler Kiesinger die Akzente mit Schillers Wirtschaftspolitik und Außenminister Brandts Ostpolitik. Hingegen erscheint in der Großen Koalition unter Angela Merkels Führung die Union als die treibende Kraft, trotz ihrer feststellbaren "Sozialdemokratisierung", analysiert Stöss.

    "Das ist natürlich für die SPD ein unheimliches Problem. Sie haben die meisten Sachen mit der CDU verabschiedet. Wie soll sie jetzt im Wahlkampf polarisieren? Auf der anderen Seite, wenn es denn so ist, dass die SPD die einzige Machtopposition in einer neuerlichen großen Koalition ist, muss sie auch jetzt sehr vorsichtig sein. Wenn sie sich jetzt zu stark von der CDU abgrenzt, hat sie ja nachher in Koalitionsverhandlungen kaum die Möglichkeit, die FDP auszustechen."

    Als Angela Merkels große Koalition im Herbst 2005 die Arbeit aufnimmt, setzen sich alle Beteiligten zum Ziel, das Land voranzubringen – so wie neue Regierungen das immer tun.
    Wegen der Mehrheit von über 72 Prozent der Sitze, ergibt sich diesmal jedoch eine beträchtliche Machtfülle, um die Probleme im Land zu lösen.

    "Wenn die Große Koalition die Aufgaben, die sie sich stellt, Steuerreform, Erbschaftssteuerreform, Gesundheitsreform, Pflegeversicherung reformieren, wenn wir das gemeinsam nicht hinbekommen, ist das nicht nur ein Schaden für die Koalition tragenden Parteien insgesamt, dann wird keiner profitieren, sondern es werden alle darunter leiden."

    … formulierte es der damalige CSU-Chef Edmund Stoiber.
    Und in der Tat: Die schwarze-rote Koalition hat zu Beginn ihrer Legislatur viel bewegt.
    Der Haushalt konsolidiert sich von Monat zu Monat, um im Jahr 2011 schließlich wieder ohne Verschuldung dazustehen. Die Arbeitslosigkeit sinkt unter die Drei-Millionen-Grenze.

    Doch dann erfasst die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise auch Deutschland. Die globale Krise verhagelt die an sich gute Bilanz der Großen Koalition.
    Schwarz-rot erscheine somit zu Unrecht als träge, meint Politikwissenschaftler Richard Stöss von der Freien Universität Berlin.
    Zu beobachten sei jedoch, dass die SPD die Koalition als Rettungsanker des eigenen Machterhaltes ansehe.

    "Das ist auch ein Vorurteil gegenüber großen Koalitionen. Die beiden Elefanten blockieren sich gegenseitig. Und da kommt nichts zustande. Aber, schauen wir uns nur mal die Große Koalition `66 bis `69 an, die hat eine enorme Menge an Reformprojekten zu Stande gebracht. Und auch die jetzige Koalition war außerordentlich fleißig, weil das demokratietheoretisch ein Riesenproblem wäre, denke ich, liegt die Zukunft oder das Wesen einer Demokratie darin, dass sie sich schon deutlich voneinander unterscheiden. Große Koalitionen sollten eigentlich nur dann gemacht werden, wenn nichts anderes geht oder - sagen wir mal - die Bedrohung von außen so groß ist, dass jetzt beide großen Kräfte zusammenarbeiten müssen."

    In der 600-Seelen-Gemeinde Brochthausen ist die Welt der CDU noch in Ordnung. Mitten im Wahlkampf mit dem hiesigen Bundestagsabgeordneten und dem Landesparteivorsitzenden spielt das Jugendblasorchester. An den langen Tafeln in der Gaststätte "Zur Erholung" wird Eichfelder Stracke serviert – eine Wurstspezialität, die es nur in Südniedersachsen gibt.
    Auf das katholisch geprägte Eichfeld kann sich die CDU verlassen – Wahlsiege mit mehr als 80 Prozent wie hier in Brochthausen sind seit Jahrzehnten die Regel. Auch heute ist der mit orangefarbenen CDU-Ballons geschmückte Festsaal gut besucht, als Niedersachsens junger Parteichef David McAllister Bilanz zieht nach vier Jahren großer Koalition.

    "Ich finde, Union und SPD haben unter Führung von Angela Merkel das Beste aus der Situation gemacht und wir können insgesamt auch einen positiven Strich unter diese Koalition ziehen. Und trotzdem glauben wir, dass das Maß an Gemeinsamkeiten jetzt aufgebraucht ist. Trotzdem glauben wir, dass wir jetzt andere Mehrheiten wollen, weil wir jetzt vor ganz anderen Herausforderungen in Deutschland stehen."

    Zustimmendes Köpfenicken. Auch als McAllister von dem "schwarzen Faden" spricht, der bei der CDU wieder stärker zutage treten müsse. Norbert Leineweber, stellvertretender Vorsitzender des örtlichen CDU-Kreisverbandes, hat genug von einer großen Koalition. Zu viele Kompromisse mit der SPD haben es nach Ansicht des 66-Jährigen der CDU schwer gemacht, klares Profil zu zeigen.

    "Das Ergebnis ist so schlecht nicht, aber es ist für uns natürlich nicht so befriedigend, weil wir eigentlich viel mehr CDU rausgucken lassen wollen. Wir sind immer wieder in vielen Dingen in den letzten vier Jahren gehemmt worden – aus unserer Sicht."

    Dass die hohe Kunst des Kompromisses an der CDU-Basis nicht immer gut angekommen sei, das lässt Kreisverbandskollegin Birgit Hundeshagen durchblicken. So manches Mal, erzählt die 56-Jährige, habe der Eichfelder CDU-Bundestagsabgeordnete den Parteifreunden in der Heimat das Handeln der Regierungsspitze erläutern müssen.

    "Wir haben auch oft gesessen und diskutiert und gefragt: Warum musste dieser Kompromiss eingegangen werden? Es war sehr viel Erklärungsbedarf in diesen vier Jahren da, damit die Basis das überhaupt verstanden hat. Ging halt nicht anders. Nur deshalb hat sich eine Partei eben nicht verändert."

    Birgit Hundeshagen mag es nicht, wenn von einer Sozialdemokratisierung der CDU die Rede ist. Auch wenn sie persönlich Friedrich Merz und seiner Steuerpolitik nachtrauere: in der Wirtschafts- und Familienpolitik sei es der CDU gelungen, sich deutlich von der SPD abzusetzen. Und nur weil die Parteispitze Zugeständnisse habe machen müssen, bedeute das nicht, dass die CDU nach links gerückt sei, sagt die 56-Jährige energisch.

    "Die CDU, das ist eigentlich auch die Basis, das sind wir hier alle und wir haben uns absolut nicht verändert. Wir stehen weiterhin für christliche Werte. Aber wo sind vielleicht diese ursprünglichen Werte, die wir hatten – auch unser C in der CDU – wo sind die vielleicht etwas verloren gegangen? Das sind Sachen, die möchte ich gerne fördern, dass da die Diskussion auch an der Basis weitergeht."

    Und diese Werte seien immer auch soziale Werte gewesen, mischt sich Dinah Stollwerck-Bauer ein. Mit 32 Jahren gehört die Juristin im ländlich geprägten Eichfeld zu den jüngeren CDU-Mitgliedern. Wer einen Jürgen Rüttgers angreife, weil der die Nähe zu den Gewerkschaften suche, der übersehe dabei, dass die CDU im Kern schon immer auch eine soziale Partei gewesen sei, verteidigt ihn Stollwerck-Bauer. Und in der gegenwärtigen Krise komme diese Seite eben besonders zum Vorschein.

    "Man muss auch sehen: welche Probleme wir ganz aktuell anzusprechen haben und da haben nun mal auch die Arbeitnehmer in unserem Land momentan durch die Wirtschaftskrise Fragen an die Politik, die wir beantworten müssen und das tun wir auch und deshalb mag dieser Eindruck entstehen. Aber es war auch in der Vergangenheit schon so, dass wir diese Dinge im Blickfeld hatten. Ganz klar. Das ist nichts Neues für die CDU."

    Große Koalitionen seien für die Parteienlandschaft wesensfremd, argumentiert die 32-Jährige. Es widerspreche dem System, wenn zwei große Volksparteien sich so sehr ähneln, dass sie auf Dauer zusammenarbeiten könnten. Darum ist für sie die Marschrichtung für die Bundestagswahl klar - genau wie für die Parteikollegen Leineweber und Hundeshagen: Die Zukunft liege in einer schwarz-gelben Regierung. Doch was, wenn der Wähler doch wieder das Signal für eine große Koalition gibt?

    "Ich würde es bedauern, weil wir eine schwierige Phase haben weltweit und es keine Kompromisspolitik mehr sein darf. Es muss eine Politik sein, die eine klare Linie hat und die wünsche ich mir."

    Wenn es gar nicht anders geht, wenn der Wähler das so entscheidet, dann müssen wir. Müssen wir. Es gibt überhaupt kein Entrinnen. Aber es wäre nicht das, was wir uns vorstellen."