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Zwei Fliegen mit einer Klappe

Medizin.- Säuglinge dürfen nicht gegen die Grippe geimpft werden, ihr Immunsystem kann noch nicht auf das Mittel reagieren. Dennoch kann den Kindern Schutz vor den Viren geboten werden: Ihre Mütter müssen sich impfen lassen - noch in der Schwangerschaft.

Von Marieke Degen | 30.11.2010
    Bei den Indianern im Südwesten der USA ist die Grippesaison besonders gefürchtet. Die Krankenhäuser in den Reservaten sind dann voll mit grippekranken Säuglingen. Die meisten haben eine schwere Lungenentzündung.

    "Bei Indianern ist das Risiko generell viel höher, an Atemwegserkrankungen wie der Grippe zu erkranken. In den Wintermonaten werden fast viermal so viel grippekranke Säuglinge ins Krankenhaus eingeliefert wie anderswo in den USA oder in Europa. Wahrscheinlich liegt das an den ärmlichen Verhältnissen der Ureinwohner."

    Kate O'Brien ist Ärztin, sie arbeitet am Zentrum für American Indian Health an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore. Indianer leben oft auf viel zu engem Raum, mit ganzen Familien in Trailern oder winzigen Wohnungen. Da können sich die Grippeviren gut verbreiten. Außerdem kochen Indianer mit Holz- oder Kohlefeuer. Durch den Rauch werden die Lungen zusätzlich geschwächt.

    "Wir suchen schon lange nach Wegen, wie man die Babys in den Reservaten besser vor der Grippe schützen kann."

    Es bringt nichts, die Neugeborenen zu impfen, sagt Kate O'Brien. Ihr Immunsystem ist einfach noch zu schwach, um auf den Impfstoff zu reagieren und Antikörper zu bilden. Aber die Babys könnten indirekt an die Antikörper herankommen: über die Mütter.

    "In den USA wird schwangeren Frauen generell empfohlen, sich impfen zu lassen, weil eine Influenza gerade bei Schwangeren sehr schwer verlaufen kann. Es ist bekannt, dass Antikörper generell von der Mutter auf das ungeborene Kind übertragen werden können. Und deshalb wollten wir herausfinden, ob eine Impfung der Mutter auch das Kind schützen kann."

    An der Studie haben fast 1200 Mütter und Kinder aus den Reservaten teilgenommen. Die Hälfte der Mütter hatte sich in der Schwangerschaft gegen Grippe impfen lassen, die andere Hälfte nicht. Die Forscher haben die Neugeborenen dann monatelang beobachtet, jeden Schnupfen und jeden Besuch beim Arzt dokumentiert. Das Ergebnis war eindeutig:

    "Wenn die Mütter geimpft waren, dann war das Risiko, dass die Neugeborenen an Grippe erkranken oder sogar ins Krankenhaus müssen, deutlich geringer: um die 40 Prozent, verglichen mit Kindern von nicht-geimpften Müttern."

    Eine geimpfte Mutter schützt ihr Baby gleich dreifach, sagt Kate O'Brien. Erstens: Die Antikörper der Mutter werden schon im Uterus auf das Kind übertragen. Zweitens: die Antikörper sind auch in der Muttermilch erhalten. Und drittens: Wenn die Mutter geimpft ist, kann sie nicht krank werden und ihr Kind anstecken. Grippeexperten hatten das schon länger vermutet. Es gab auch schon eine Studie aus Bangladesh, die gezeigt hat, dass Kinder von geimpften Müttern seltener krank werden. Die Studie aus den USA hat das jetzt bestätigt. Gerhard Falkenhorst, Epidemiologe am Robert Koch Institut in Berlin:

    "Das ist eine sehr, sehr interessante Studie, die uns wertvolle Daten liefert, da können wir wirklich was mit anfangen. Und ich finde, dass die Studie sehr sorgfältig durchgeführt worden ist, mit sauberen Analysen und einer ausreichenden Zahl von Studienteilnehmern."

    Auch die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut empfiehlt seit neuestem, dass sich Schwangere gegen Grippe impfen lassen sollen – um sich und das Kind zu schützen. Das sei eine der Lehren, die man aus der Schweinegrippe-Pandemie im letzten Jahr gezogen habe, sagt Gerhard Falkenhorst. Vor der Impfung an sich müssen die Mütter keine Angst haben.

    "In den USA wird das bereits seit zehn Jahren praktiziert und dadurch haben wir ausreichende Daten, die zeigen, dass keine Risiken und keine wie auch immer gearteten Auswirkungen auf die Schwangere und auf das ungeborene Kind gibt. Also man kann völlig beruhigt sein und sich impfen lassen in der Schwangerschaft."