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Zwei-Grad-Ziel
Deutsche Klimapolitik bleibt widersprüchlich

Nach der UN-Klimakonferenz müssen die zugesagten Reduktionsziele in nationale Energie- und Versorgungsziele umgesetzt werden. Das wird nicht einfach, denn dafür sind grundlegende Veränderungen im Verkehr, Bau, Industrie oder Landwirtschaft notwendig. Und so läuft die Bundesregierung Gefahr, ihre Klimaziele für 2020 zu verfehlen.

Von Nadine Lindner | 08.08.2016
    Das Kohlekraftwerk Mehrum in Niedersachsen neben Windrädern
    Wie genau ist das Ziel einer Dekarbonisierung der Weltwirtschaft zu erreichen? (picture alliance / dpa/ Julian Stratenschulte)
    Im Reisegepäck der Bundesregierung soll dann der Klimaschutzplan 2050 liegen. Der soll zeigen, wie die deutsche Wirtschaft umgestaltet werden muss, um im Jahr 2050 ohne den Ausstoß von schädlichen Klimagasen auszukommen.
    Im Bundesumweltministerium wurde die erste Fassung des Papiers erarbeitet.
    Staatssekretär Jochen Flasbarth: "Wir sind jetzt in der Phase, in der wir die langfristigen Ziele für 2050 sichtbar werden lassen müssen. Das heißt, nur zu sagen, bis Mitte des Jahrhunderts wollen wir uns so verhalten, dass sich das Klima nur um maximal zwei Grad verändert, das reicht ja nicht aus. Das muss man schon konkreter machen."
    Das geht nicht ohne grundlegende Veränderungen im Verkehr, Bau, Industrie oder Landwirtschaft. Das Ziel lautet Dekarbonisierung: Energie aus fossilen Energieträger soll flächendeckend durch erneuerbare ersetzt werden.
    Aber, selbst wenn der Plan im Kabinett verabschiedet wird, besitzt er noch keine Gesetzeskraft, ist lediglich eine Orientierungshilfe. Doch die Debatte über den Klimaschutzplan hat Symbolkraft, denn bereits beim eigenen Koalitionspartner stößt das Vorhaben auf heftige Gegenwehr, das gibt auch Umweltstaatssekretär Flasbarth selbstkritisch zu: "Nicht jeder ist jetzt schon so weit, dass wir sagen können, wir wissen schon, wie wir das politisch alles gestalten werden."
    Verärgerung in der CDU
    So lehnt die umweltpolitische Sprecherin der Fraktion, Marie-Luise Dött, den Klimaschutzplan bislang ab. Ihr Ärger über den Vorstoß des Umweltministeriums ist bei ihr sogar so groß, dass ihn die CDU-Politikerin eine Klima-Diktatur nennt.
    "Der Staat soll nicht vorschreiben. Dafür ist ein Staat nicht da. Ein Staat soll Rahmenbedingungen setzen, dass im freien Wettbewerb etwas erreicht wird. Das ist soziale Marktwirtschaft. Und nur so kann sie funktionieren. Wir leben nicht in einem Bereich von Planwirtschaft. Das ist ganz einfach."
    Dött setzt dagegen auf den Emissionshandel als marktwirtschaftliches Korrektiv, das aber bislang zu keiner CO2-Einsparung geführt hat. Wie genau der Klimaschutzplan am Ende aussehen wird, ist noch unklar. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, dass er kein konkretes Ausstiegsdatum aus der Braunkohle enthalten wird. Für Klimaschützer ein großer Minuspunkt.
    Auch bei anderen Gesetzen der Großen Koalition wurden Chancen vertan: Bei der Novellierung des Erneuerbaren Energien-Gesetzes wurde das Tempo der Energiewende gedrosselt. Ähnlich ist es beim Bundesverkehrswegeplan, da bemängeln die Grünen, dass zu viel Geld in Straßenbau und damit Autoverkehr investiert werde, statt in klimafreundliche Mobilität.
    "Mittelfristiges Klimaziel bis 2020 wird nicht erreicht"
    Wie viel ist also noch übrig geblieben von der einstigen Vorreiterrolle Deutschlands im Klimaschutz?
    Nicht viel, konstatiert Jan Kowalzig, Referent für Klimapolitik bei Oxfam Deutschland. Ja, Deutschland habe einerseits zum Gelingen der Klimakonferenz von Paris beigetragen, aber bei der nationalen Umsetzung des Abkommens "sehen wir, dass die Rhetorik sehr ehrgeizig ist. Tatsächlich ist die Bilanz des deutschen Klimaschutzes die, dass das mittelfristige Reduktionsziel von 40 Prozent bis 2020 nicht erreicht wird, da wird es eine große Lücke geben."
    Der Bundesverband Deutscher Industrie gibt sich abwartend bis skeptisch, setzt auf eine Doppel-Strategie. Auf der einen Seite wollen sie zu strenge Grenzwerte abwehren. Auf der anderen Seite wünschen Sie sich langfristige Regeln, um die Produktion verlässlich umstellen zu können. Holger Lösch, vom BDI, dem rund 100.000 Unternehmen mit acht Millionen Beschäftigten angehören.
    "Wir leiden unter schlecht gemachtem Klimaschutz und schlecht gemachten Maßnahmen. Und inkonsistenten Maßnahmen zwischen Deutschland, der Welt und Europa. Und wir leiden unter Konkurrenten auf dem Weltmärkten, die diese Ambitionen nicht so treiben wie wir."
    Die deutsche Klimapolitik bleibt also widersprüchlich: Auf der einen Seite drückt Deutschland aufs Tempo und will das Ratifikationsgesetz für das Abkommen von Paris noch in diesem Jahr beschließen.
    Auf der anderen Seite läuft die Bundesregierung Gefahr, ihre Klimaziele für 2020 zu verfehlen.
    Spätestens bei der nächsten Klimakonferenz in Marrakesch im November müssen die deutschen Verhandler zeigen, wie ernst es ihnen mit der Umsetzung zu Hause wirklich ist. Und dass sie die notwendigen Veränderungen für den Klimaschutz auch durchsetzen können. Viele Chancen bleiben bislang ungenutzt.