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Zwei Moleküle verlangsamen das Tumorwachstum

Medizin.- 2009 sind Mutationen in einem Enzym aus dem Energiestoffwechsel der Zelle als Angriffspunkt für Medikamente in den Fokus geraten. Jetzt stellen Forscher aus Boston in zwei Studien vor, wie sie dieses Wissen im Kampf gegen akute Leukämie und Hirntumore nutzen wollen.

Von Katrin Zöfel | 05.04.2013
    "Krebszellen haben gegenüber anderen Zellen einen Wachstumsvorteil. Sie teilen sich viel öfter, denn die Mechanismen, die bei normalen Zellen das Wachstum in Schach halten, sind bei ihnen außer Kraft gesetzt. So wachsen sie einfach immer weiter."

    Der Chemiker Scott Biller ist Chef-Wissenschaftler von Agios. Das Unternehmen sitzt in Boston und ist spezialisiert auf die Entwicklung neuer Krebsmedikamente.

    "Krebszellen entstehen durch Mutationen, die ihnen diesen Wachstumsvorteil verschaffen."

    Für solche onkogenen Mutationen gibt es unzählige Möglichkeiten. Solche, die natürliche Kontrollmechanismen der Zelle zerstören, solche, die das Zellwachstum anheizen, - oder solche, mit denen kein Forscher je gerechnet hätte.

    So wie die Mutationen, die ein Enzym, die sogenannte Isocitrat-Dehydrogenase verändern, genauer ihre Untertypen IDH-1 und IDH-2. Diese Mutationen kommen in 25 Prozent aller Fälle von akuter Leukämie und bei 70 Prozent bestimmter Hirntumore vor. Das Enzym IDH, das für den Energiestoffwechsel der Zelle wichtig ist, wird durch die Mutation so verändert, dass es zu seiner normalen Funktion noch eine Eigenschaft dazugewinnt.

    "Das veränderte IDH-Enzym produziert ein völlig neues Molekül, das in gesunden Zellen niemals vorkommt, sogenanntes 2-Hydroxy-Glutarat. 2009 konnten wir zeigen, dass dieses neue Molekül die normale Differenzierung von Zellen blockiert. Und wenn sich Zellen nicht mehr differenzieren können, verharren sie in einem stammzellartigen Zustand."

    Und damit in einem Stadium, in dem sie sich immer weiter teilen, mit anderen Worten, eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Krebszellen ist erfüllt. Das nächste Ziel der Forscher war klar: Man müsste eine Substanz finden, die genau diese, und nur diese Funktion des Enzyms blockiert.

    "Wir waren die Ersten überhaupt, die das versucht haben. Zuerst haben wir die Struktur der mutierten Enzyme geklärt. Wir wussten damit genau, wie sie aufgebaut sind. Daraus konnten wir in etwa ableiten, wie eine Substanz aussehen müsste, die die krebstypische Eigenschaft hemmen könnte. Damit hatten wir einen Pool an Substanzen, die in Frage kamen. Diesen Pool haben wir dann systematisch durchgekämmt, mit einem Test, den wir extra dafür entwickelt haben. Das war aufwendig, aber es hat geklappt: Die beiden Substanzen, die wir schließlich gefunden haben, sind, wie wir glauben, in ihren Eigenschaften sehr spezifisch."

    Sie schädigen nur die Krebszellen. Viel mehr als die Laborbezeichnung der Substanzen, nämlich AGI-6780 und AGI-5198, will Biller nicht verraten. Firmengeheimnis. Die ersten Tests an Krebszellen in der Petrischale und an Mäusen sind vielversprechend, doch der Weg bis zu einem Medikament ist noch weit und zeitraubend. Der Krebsforscher Kenneth Kinzler von der Johns Hopkins Universität in Baltimore verfolgt die Arbeit der Forscher bei Agios schon längere Zeit. Seine Einschätzung fällt eindeutig aus:

    "Diese Studien sind sehr interessant und sehr aufregend. Viele von uns versuchen, Medikamente zu finden, die Krebszellen schädigen, gesunde Zellen aber nicht. Dabei nutzen wir alle das Wissen um die Genetik der verschiedenen Krebsarten. Das hier sind die bisher besten Beispiele auf diesem Gebiet."