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Zwei Monate nach dem Putschversuch
Spannungen unter Deutschtürken nehmen zu

Nach dem Putschversuch in der Türkei bedrohen Unterstützer von Präsident Erdogan offenbar auch immer häufiger Anhänger der muslimischen Gülen-Bewegung und Oppositionellen in Deutschland. Vor allem in den sozialen Netzwerken haben Hetze und Stimmungsmache zugenommen. Wie gehen Deutsch-Türken mit diesem Konflikt im Alltag um?

Von Nural Akbayir | 15.09.2016
    Teilnehmer der Demonstration mehrerer türkischer und kurdischer und Initiativen in Berlin gegen den versuchten Militärputsch und für mehr Demokratie in der Türkei.
    Der gescheiterte Putschversuch in der Türkei spaltet die Deutschtürken. (AFP / Tobias Schwarz)
    Die Weidengasse in Köln. Eine dieser typischen Straßen, wo sich türkische Imbissbuden, Supermärkte und Juweliere aneinanderreihen. Menschen kaufen Lebensmittel ein, Geschäftsleute stehen vor ihren Läden und unterhalten sich - normalerweise.
    An diesem Tag ist es ungewöhnlich ruhig auf der Straße. Von den wenigen Menschen, die unterwegs sind, möchte kaum jemand über den Putschversuch sprechen.
    Arif ist 21 Jahre alt und arbeitet in einem Restaurant. Er äußert sich vor dem Mikrofon. Seinen Nachnamen möchte er dabei lieber nicht nennen. Die derzeitige Stimmung in Köln bezeichnet Arif als "heiß".
    "Ich war zum Beispiel letztens einkaufen auf dem Großmarkt, da ist ein türkischer Gemüsehändler. Und da habe ich dann gesehen, dass der Chef und irgendwer anders sich darüber unterhalten haben, und irgendwann wurde es halt so hitzig, dass sie sich nur noch angeschrien haben, wie man das teilweise halt so kennt, sehr temperamentvolle Menschen. Aber ich kann’s nicht ganz verstehen, dass man sich so hitzig über eine politische Debatte unterhält."
    Ein paar Geschäfte weiter arbeitet Mehmet bei einem Juwelier. Wieder kein Nachname. Und: Mehmet möchte nur im Hinterhof sprechen, da, wo man nicht direkt gesehen wird.
    Die Angst geht um
    In der Nacht des Putsches vor zwei Monaten war er in Istanbul. Er hat damals ein Handyvideo aufgenommen – es ist dunkel, Menschen stehen draußen und schauen in den Himmel, wo deutlich ein Kampfjet zu hören ist, der über der Stadt fliegt.
    "Das war in Istanbul zwischen der Bosporus-Brücke und TRT-Gebäude, und mein Hotel war genau in der Mitte. Und die Jets sind ja da durchgeflogen. Schießereien gab’s da, die ganzen Panzer sind da vorbeigerollt. War schon extrem."
    "Als Sie das mitbekommen haben, was haben Sie dann gemacht?"
    "Kopf eingezogen, wie man so schön sagt. Zwei oder drei Mal war ich auf dem Balkon, aber man hat auf jeden Fall Angst, weil man hört die ganzen Schüssen, man hört die ganzen Flieger. Man hört das im Video zwar, aber das war bestimmt 50-fach lauter. Sehr sehr laut."
    Die Nacht scheint ihm noch in den Knochen zu stecken. Doch wenn es um das Thema Putschversuch geht, ist er zurückhaltend. Das sei einfach besser, sagt er.
    "Nach dem Putschversuch da sind die Menschen noch vorsichtiger geworden. Beziehungsweise die Gülen-Anhänger, die wollen sich meistens nicht äußern über solche Sachen, weil die fühlen sich auch angegriffen. Die Sache ist die, wenn man nicht für Erdogan ist, dann gehört man direkt zur anderen Gruppierung und in der anderen Gruppierung befinden sich alle anderen. Die ganzen Gülen-Anhänger, die ganzen linken Parteien, wie zum Beispiel die CHP, Kurden, HDP-Anhänger."
    Einschüchterungsversuche und Bedrohungen
    Die Auswirkungen der Putschnacht in der Türkei sind bis nach Köln zu spüren. Vor allem Sympathisanten des Islampredigers Fethullah Gülen werden hier angefeindet. Gülen – der Erzfeind Erdogans, den die türkische Regierung für den Putsch verantwortlich macht.
    In Nordrhein-Westfalen gibt es zahlreiche Einschüchterungsversuche, Bedrohungen und Sachbeschädigungen gegen Oppositionelle und Erdogan-Kritiker. Das bestätigte auch Innenminister Ralf Jäger Anfang dieser Woche.
    Und es gibt Listen. Listen über türkische Geschäfte in Deutschland, deren Inhaber der Gülen-Bewegung nahe stehen sollen. Dazu der Aufruf, diese Geschäfte zu boykottieren und die Listen per WhatsApp oder in sozialen Netzwerken möglichst weit zu verbreiten. Denunziation in Deutschland.
    Verunsicherung bleibt
    Mehmet Cuma ist ebenfalls Juwelier auf der Kölner Weidengasse. Der 57-Jährige spricht offen über die Putsch-Folgen. Und das, obwohl er selbst einst in einer Gülen-Schule unterrichtete und damit zur Zielscheibe werden könnte.
    "Das ist leider auch in Deutschland so. Menschen, die bis gestern noch friedlich zusammengelebt haben, sind heute wie verfeindet. Besonders die Gülen-Anhänger sind betroffen. Du kannst keine Kritik äußern. Leider. Meine Kinder flehen mich schon an, nichts auf Facebook zu posten, weil es sie unter zu großen psychischen Druck stellt."
    Angst habe er nicht, beteuert der 57-Jährige. Er habe nichts zu verbergen und unterstütze keine Seite, sagt er weiter. Was bleibt, sind Verunsicherung, aber auch Sorge um das Wohl von Angehörigen in der Türkei. Kritik an der Regierung Erdogan zu äußern, sei keine gute Idee – weder hier in Deutschland noch in der Türkei. "Sonst nehmen sie dich direkt mit", sagt ein Mann in einem Imbiss. Nur sagt er das nicht ins Mikrofon.