Weltmesse für Oldtimer

"Jedes Fahrzeug hat eine Geschichte erlebt"

Gundula Tutt bei der Restaurierung historischer Fahrzeuge
Die Kunsthistorikerin Gundula Tutt restauriert historische Fahrzeuge © Eberhard Grether
Gundula Tutt im Gespräch mit Dieter Kassel  · 05.04.2017
Die Restauratorin Gundula Tutt hat sich auf Oldtimer spezialisiert. Ihrer Philosophie entspricht es, die Geschichte jedes Wagens erzählen zu können und weniger ihn aufzuhübschen oder im imitierten Neuzustand anzubieten.
"Eine Zeitmaschine habe ich auch nicht", sagt die Freiburger Auto-Restauratorin Gundula Tutt im Deutschlandradio Kultur anlässlich der Weltmesse für Oldtimer "Techno Classica" in Essen. Wenn Kunden zu ihr kämen, gehe es nicht darum, einen Neuzustand des Fahrzeugs zu imitieren, sondern der Geschichte des Wagens nachzugehen. Dabei spiele aber auch eine Rolle, wie ein Kunde das Fahrzeug nutzen will. "Fahrzeuge sind zum Fahren da", sagt Tutt. "Aber ich bin dafür, dass man nicht ein statisches Museumstück daraus macht." Jedes Fahrzeug habe eine Geschichte erlebt, die es heute erzähle. "Ich versuche dann auch mit dem Besitzer zusammen, herauszukristallisieren, welche Geschichte das Fahrzeug uns erzählen kann und welche Geschichte man davon heute herausarbeiten könnte."

Maybach mit Bandsäge

Als extremes Beispiel nannte die Restauratorin Maybach-Limousinen aus den späten 1940er-Jahren, die mit einer Bandsäge ausgestattet wurden. "Ganz wüste Umbauten, die im Zweifelsfall dem TÜV auch die Haare zu Berge stehen lassen würden, aber die erzählen natürlich viel Geschichte", erzählt Tutt. Solche Wagen hätten das Wirtschaftswunder bewegt. Für den Besitzer seien das vielleicht nicht die schönsten Oldtimer, aber manche Leute fänden gerade das spannend. Eine in dieser Weise umgebaute Limousine mit einer Bandsäge sei heute ein Stück Geschichte, sagte Tutt. "Da muss man dann vielleicht jemanden finden, der das zu schätzen weiß."
Gundula Tutt - bei der Restaurierung historischer Fahrzeuge
Die Restauratorin will die Geschichte der Oldtimer erzählen, aber sie sollen nicht nur Museumsstück sein. © Brice Chalancon

Golf-Cabrio als Oldtimer der Zukunft ?

Ob heutige Autos auch einmal begehrte Oldtimer werden könnten, wagt die Restauratorin noch nicht vorher zu sagen. Es habe viel mit Kindheitserinnerungen und Emotionen zu tun, welche Wagen man später sammeln wolle. "Für mich wird natürlich ein Golf oder ähnliche Dinge nicht wirklich vom Gefühl her ein Oldtimer werden", sagt Tutt. "Das sind ganz normale Brot- und Butterfahrzeuge meiner Jugend." Wenn man aber in einem weißen Golf-Cabrio seine erste Liebe erlebt habe, dann habe man vielleicht einen ganz anderen Bezug zu diesem Fahrzeug, wenn man später einmal 40 oder 50 Jahre alt ist.

Kästen mit Rädern

"Das Vorurteil, dass heute alle Autos gleich aussehen, das ist auch so ein bisschen ein getrübter Blick, wenn man sich einmal die Autos der 20er-Jahre anschaut", sagt Tutt. Die normalen Autos seien damals Kästen mit Rädern gewesen und hätten auch relativ ähnlich ausgesehen. "Das kommt nur heute nicht so zum Tragen, weil diese geschlossenen Fahrzeuge aus der Zeit nicht so beliebt sind bei den Oldtimer –Sammlern und man sie heute nicht mehr so oft sieht", sagt die Restauratorin. Ihr eigenes Lieblingsfahrzeug ist der Renault Baujahr 1900, der noch den Übergang von der Kutsche zum Auto zeige.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: In Essen findet ab heute die Techno Classica statt. Das ist die große Weltmesse für Oldtimer und alles, was mit alten Autos und auch alten Motorrädern und Ähnlichem zu tun hat. Das ist ein Pflichttermin für Gundula Tutt. Sie ist Diplom-Restauratorin und steckt ihre Kenntnisse und ihre Fähigkeiten nicht in alte Kunstwerke, sondern eben in alte Autos. Deshalb ist sie jetzt gerade auch schon unterwegs von Freiburg – in der Nähe von Freiburg lebt sie – nach Essen. Ich hab mich deshalb gestern Nachmittag schon mit Gundula Tutt unterhalten über ihre Philosophie, die darin besteht, die Geschichte eines alten Autos zu erzählen und es nicht einfach nur aufzuhübschen. Ich hab sie deshalb gefragt, was sie denn eigentlich täte, wenn ich als Kunde zu ihr käme und ihr mitteilte, sie solle doch bitte mein altes Auto in genau den Zustand versetzen, in dem es mal vor Jahrzehnten war, als es vom Band gerollt ist.
Gundula Tutt: Also mein erster Ansatz wäre natürlich erst mal, Ihnen klarzumachen, dass man diesen Zustand nicht wiederbekommt. Sie können den imitieren, aber Sie bekommen den Zustand, der tatsächlich original vom Band gerollt ist, natürlich nicht wieder. Eine Zeitmaschine hab ich auch nicht.
Kassel: Wie beschließen wir beide denn dann theoretisch – wir hören mit dem Modell gleich auf, ich hab nämlich nicht mal einen Führerschein –, aber wenn ich Ihr Kunde wäre, wie beschließen wir beide denn dann eigentlich, welchen Zustand wir wollen und welchen Zustand Sie mir versprechen können?
Tutt: Meistens haben die Besitzer natürlich schon auch Vorstellungen, vor allem was ihre aktuelle Nutzung von dem Fahrzeug angeht. Das ist für mich ganz wichtig, das miteinzubeziehen, denn Fahrzeuge sind zum Fahren da, vielleicht nicht mehr ganz so hart und brutal, zum Beispiel bei Rennfahrzeugen, wie zu ihrer ursprünglichen Neuzustandsphase – das ist aber eine andere Frage –, aber ich bin dafür, dass man nicht ein statisches Museumsstück draus macht. Gleichzeitig hat das Fahrzeug natürlich auch eine Geschichte erlebt, und diese Geschichte erzählt es uns heute – von Veränderungen während der Gebrauchsphase, vielleicht auch von schlechten Restaurierungen oder Gebrauchtwagenreparaturen. Ich versuche dann, auch mit dem Besitzer zusammen herauszukristallisieren, welche Geschichte das Fahrzeug uns erzählen kann und welche Geschichte man davon vielleicht heute herausarbeiten könnte. dass es die dann wirklich auch erzählt aus seiner Vergangenheit.

Wüste Umbauten

Kassel: Heißt das, dass Sie rein praktisch dann, wenn Sie das für sinnvoll halten, auch Dinge erhalten, vielleicht sogar rekonstruieren, die, wenn Sie mit diesem Wort überhaupt etwas anfangen können, die nicht unbedingt schön sind, die nicht unbedingt etwas mit originalgetreu zu tun haben, also dass Sie, was weiß ich, einen falschen Lack, einen merkwürdigen Sitz, dass Sie da ein bisschen was von erhalten?
Tutt: Also es gibt ja ganz extreme Beispiele, zum Beispiel irgendwelche Maybach-Limousinen, die in den späten 40er-Jahren mit einer Bandsäge ausgestattet worden sind, also ganz wüste Umbauten, die im Zweifelsfalle dem TÜV auch die Haare zu Berge stehen lassen würden. Aber die erzählen natürlich viel Geschichte, die haben das Wirtschaftswunder bewegt, solche wunderlichen Umbauten von dem, was man eben hatte. Das ist natürlich nicht unbedingt jetzt im ästhetischen Bedürfnis von einem Besitzer das Schönste, aber manche Leute finden gerade das auch spannend.
Und wenn man helfen kann, zum Beispiel auch ein Verständnis dafür zu bekommen, zu sagen, okay, wenn du einen schönen Maybach haben willst, dann solltest du dir vielleicht einen kaufen, der von der Substanz her so ist, dass er eben seine ursprüngliche Substanz noch hat. Wenn Sie aber eine Limousine umgebaut vor sich sehen, mit so einer Bandsäge, ist das ein Stück Geschichte, und da muss man dann vielleicht jemanden finden, der das zu schätzen weiß.
Kassel: Wissen denn das Menschen, die alte Autos kaufen, in der Regel? Was sind denn die Motive, wollen die so eine Geschichte haben und dann auch jeden Moment sehen, oder wollen die einfach zurück in die Vergangenheit, wollen die einfach nur eine Wertanlage? Was sind in der Regel die Motive, denn wenn wir beide mal ehrlich sind, so richtig praktisch ist so ein altes Auto ja nicht.

Spannende Sammler-Szene

Tutt: Ja, also ich muss zugeben, ich hab auch selber keines, weil ich das in dem Arbeitspensum, das ich derzeit habe, zum Beispiel nicht adäquat und richtig verantwortungsvoll pflegen und erhalten könnte – Schusters Kinder haben die schlechtesten Schuhe.
Kassel: Das heißt, das muss ich jetzt natürlich fragen, Sie fahren einen japanischen Kleinwagen oder irgend so was.
Tutt: Nein, ich fahre einen italienischen Kleinwagen.
Kassel: Okay, keine Werbung, aber wir können uns jetzt was denken.
Tutt: Ganz schlecht war’s nicht.
Kassel: Aber zurück zu dieser Frage, warum wollen Leute so ein altes Auto haben und wenden sich damit dann auch an Sie?
Tutt: Die Beweggründe sind unglaublich vielfältig, das ist auch sehr spannend an dieser Szene. Die Leute, die zu mir kommen, das sind meistens schon die Menschen, die eine spezielle Geschichte auch erhalten wollen, vielleicht auch diesen Neuzustand, diesen imitierten Neuzustand, den man bei so einer Komplettrenovierung, wie es manchmal Standard ist, bekommt, langweilig oder auch tot finden, und eben genau in diesen Details, die aus dem Leben von einem Fahrzeug kommen, unglaublich viel spannende Dinge entdecken und die auch individuell haben wollen. Denn das gibt es dann wirklich nur einmal, dieses Auto, so wie es dann ist.
Kassel: Was war denn Ihre eigene Motivation. Ich meine, Sie sind Kunstrestauratorin, ausgebildete, und Sie haben sich dann auf Autos spezialisiert, und Sie haben über die Restauration wirklich von Kunst mal in einem anderen Interview gesagt, na ja, da ordnet man sich der Kunst eines anderen unter, das ist eigentlich ein seltsamer Beruf. Ordnen Sie sich jetzt beim Autorestaurieren überhaupt nichts mehr unter?
Tutt: Aber natürlich doch. Das ist auch eine Diskussion, die ich zum Beispiel auch oft mit den Handwerkern führe, mit denen ich zusammenarbeite, also zum Beispiel Karosserieblechner und ähnliche Leute, denn die sagen natürlich auch gerne: Aber das könnte man doch besser machen, guck mal diese Tür, die Spaltmaße, die stimmen doch gar nicht. Und ich versuche dann zu erklären, wenn das zum Beispiel für Ettore Bugatti in Ordnung war, das Auto in dieser Art und Weise seinen Kunden zu übergeben und seine Kunden das in dieser Art und Weise für damals viel Geld haben wollten, ist es genau das, was stimmt. Warum sollen wir uns da überheben und sozusagen besser machen wollen, als der große Meister das damals getan hat.

Brot-und Butter-Fahrzeuge der Jugend

Kassel: Wie geht’s Ihnen eigentlich, wenn Sie neue Autos sehen? Mir geht’s so: Ich kann auf den ersten Blick oft einen – um ein rein theoretisches Beispiel zu nehmen – italienischen Kleinwagen nicht von einem französischen oder japanischen Kleinwagen unterscheiden. Das sieht für mich heute – so die Modelle der letzten Jahre – alles sehr ähnlich aus. Ist das so ein vorurteilsgeprägter Blick, oder haben Sie auch das Gefühl, na ja, das, was heute vom Band rollt, das wird man in 20, 30, 40 Jahren nicht restaurieren wollen, das lohnt sich dann eigentlich gar nicht.
Tutt: Das traue ich mich im Augenblick noch nicht so richtig einzuschätzen, denn das hat ja auch immer viel mit Kindheitserinnerungen und Emotionen zu tun, was man später sammeln möchte. Für mich wird natürlich ein Golf oder ähnliche Dinge nicht wirklich vom Gefühl her ein Oldtimer werden, weil das sind ganz normale Brot-und-Butterfahrzeuge meiner Jugend. Wenn man aber vielleicht in einem weißen Golf Cabrio seine erste Liebe kennengelernt hat – was jetzt bei mir nicht der Fall war –, dann hat man vielleicht einen ganz anderen Bezug zu diesem Fahrzeug, später, wenn man dann mal 40, 50 ist und will so was vielleicht dann wieder haben und auch ganz anders pflegen. Das Vorurteil, dass heute alle Autos gleich aussehen, das ist auch so ein bisschen ein getrübter Blick. Wenn man sich mal die Autos der 20er-Jahre anschaut, also die ganz normalen Autos, das sind eigentlich, wenn es geschlossene Fahrzeuge sind, Kästen mit Rädern dran, und die sehen über die Marken hinweg relativ ähnlich aus. Das kommt nur heute nicht so zum Tragen, weil diese geschlossenen Fahrzeuge aus der Zeit nicht so beliebt sind bei den Oldtimersammlern und die heute nicht mehr so oft sieht.
Kassel: Das bringt uns natürlich ziemlich logisch zu einer Schlussfrage, die, glaube ich, nicht so banal ist, wie sie klingt. Falls Sie mit diesem Adjektiv überhaupt was anfangen können: Was macht für Sie ein Auto schön?
Tutt: Hm!
Kassel: Oder sagen wir vielleicht doch ersatzweise: Was macht für Sie ein Auto interessant?
Tutt: Mein Lieblingsfahrzeug zum Beispiel ist ein Renault, Baujahr 1900. Das war eines der ersten Fahrzeuge, die ich restauriert habe, der ist eigentlich so auf dem Weg von der Kutsche zum Automobil. Und der ist in dem Sinne nicht schön, aber der hat eine ganz spannende Geschichte gehabt und ist von meiner Art und Weise so wie eine lächelnde alte Dame mit allen Falten, die er hat, und ist heute noch da und erzählt alles, was er erlebt hat. Und das macht für mich ein Auto spannend. Also schön ist ein rein ästhetischer Geschichtspunkt, das ist für mich alleine nicht genug, dass es spannend ist.
Kassel: Sagt die ausgebildete Kunstrestauratorin und operierende Autorestauratorin Gundula Tutt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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