Gewerbegebiet Weiterstadt

Die Schachtelwelt an der Autobahn

Blick auf mehrere Rolltreppen im 2010 eröffneten Einkaufszentrum "Loop 5" in Weiterstadt
Einkaufszentrum "Loop 5" in Weiterstadt © dpa / picture alliance / Uwe Anspach
Von Ludger Fittkau · 27.04.2017
"Shopping Weiterstadt - Alles da. Alles nah." - So wirbt die südhessische Kleinstadt für ihre Einkaufszentren und Gewerbegebiete auf der grünen Wiese. Das Konzept funktioniert - aber schön ist das nicht.
Das Gewerbegebiet Weiterstadt an der Autobahn A 5 zwischen Frankfurt am Main und Mannheim ist eine Welt voller Schachteln. Quadratisch, praktisch und ziemlich unansehnlich. Es sind keine Papp-Schuhkartons, von denen hier die Rede ist. Es sind oft mehrstöckige Kisten aus Beton oder Wellblech, in denen sich riesige Möbelläden oder sogar ganze Einkaufsmalls unterbringen lassen. Es sind schnell errichtete Hallen mit Kunststofflamellen an den Fassaden, die sich viele hundert Meter lang an der Autobahn aufreihen und die vorbeirasenden Autofahrer mit Schildern zum Halten animieren wollen, auf denen kostenlose Parkmöglichkeiten offeriert werden. Ein Argument, das die Menschen tatsächlich in die begehbaren Schachteln lockt. Eine von ihnen ist "Loop 5" getauft und ist ein Einkaufszentrum:
"Wir kommen aus Mannheim und kommen nur wegen dem Loop Five hierher. Die Vielfalt der Geschäfte. Das Parkhaus kostet nix. Ganz wichtig heutzutag'."
"Kannst Frühstücken, Mittagessen. Alles zusammen."
"Wir haben jetzt gefrühstückt, jetzt gehen wir schoppen, dann gehen wir später noch mal was essen."

In Frankfurt ist es samstags zu voll

Mannheim liegt etwa 60 Kilometer weiter südlich und bietet reichlich Einkaufsmöglichkeiten und eine Vielzahl von Restaurants. Doch die Schachtelwelt von Weiterstadt lockt nicht nur die beiden Mannheimerinnen, die ihren Namen nicht nennen wollen, an. Sondern auch das Ehepaar Herbert und Rosemarie Notrott aus Frankfurt am Main, das 30 Kilometer weiter nördlich liegt. Die Frankfurter Einkaufsmeile "Zeil" ist eine der beliebtesten Fußgängerzonen Deutschlands – doch genau das ist es gerade, was die Notrotts ins monotone Gewerbegebiet an der Autobahn weiter südlich treibt:
"Die Zeil ist mir zu voll. Samstags ist die Zeil brechend voll. Da denkt man, ganz Frankfurt ist unterwegs."
Also raus mit dem Auto nach Weiterstadt. Warum aber fährt Waltraut Zissler aus Mecklenburg-Vorpommern in ihrer Urlaubswoche im nahegelegenen Odenwald ausgerechnet in ein Gewerbegebiet, von denen es auch im Norden der Republik an Autobahnen reichlich gibt? Walltraut Zissler gefällt an der A5:
"Dass alles so schön zentralisiert ist. Und: Es ist für jeden was dabei, für jung, für alt, für die Männer."
"Das gibt es in Mecklenburg-Vorpommern nicht?"
"Doch, das gibt es auch. Das hier ist aber besonders groß."
Dass die Architektur hier hässlich ist, stört auch andere nicht, die hier einkaufen:
"Die Architektur sieht jetzt schon gewerblich aus. Das ist auf jeden Fall ein klassisches Gewerbegebiet. Aber ich denke, dass man, was die Architektur betrifft, wenig Wert drauf legt, wenn man irgendwo Einkaufen geht und andere Vorteile daraus zieht."

Egal, ob das Gebäude schön ist

Wie das kostenlose Parken eben. Oder das Kinderkarussell, das sich ganzjährig vor dem riesigen Möbelgeschäft dreht und willkommene Abwechslung für die Kinder bringt, die vom Einkaufsbummel in den Betonkisten an der Autobahn gelangweilt sind. Da ist der Mutter, die ihren Mann und die beiden Kinder auf dem Karussell nicht aus dem Blick verliert, die Architektur rundum ziemlich schnuppe:
"Ist mir ehrlich gesagt, muss ich tatsächlich sagen, egal. Ich komme auch nicht von hier. Es ist mir jetzt egal, ob es ein schönes Gebäude ist oder nicht. Sicher hätte ich es auch lieber ein bisschen anders gestaltet, aber im Großen und Ganzen ist es mir zweitrangig."
Verräterisch ist allerdings in diesem Zusammenhang die Bemerkung, dass man ja nicht von hier komme. Das kann man auch so interpretieren, dass man ja nicht jeden Tag die langweiligen Konsumschachteln vor Augen haben muss, sondern nach dem Einkaufsstopp auf der grünen Wiese neben der Autobahnausfahrt ja schnell wieder wegfahren kann. An einen Ort, der nicht so unwirtlich und hässlich ist wie das Gewerbegebiet an der A5 in Weiterstadt. Etwa in die Innenstadt von Mannheim – im Sommer:
"Wenn es richtig warm ist. Ist es natürlich in der Innenstadt Mannheim schöner. Wenn man sich auch in die Cafés setzen kann und so. Aber noch ist es ja kein Sommer." (lacht)

Im Sommer kommt die Stunde der Urbanität

Fuat Oali, der hier in einer der großen Schachteln als Verkäufer sein Brot verdient, sieht sogar längst wieder einen Trend weg vom Shopping auf der grünen Wiese und hin zum Einkaufsbummel in den Innenstädten:
"Ich sehe, dass die Leute mehr in die Innenstädte gehen als dass sie hier her kommen. Das sieht man auch an der Frequenz, ich bin selber Mitarbeiter hier im Center und ich sehe das an der Frequenz. Samstags ist das relativ voll, ja. Aber bei so schönem Wetter sind die Leute mehr in der Innenstadt, als dass sie hier sind."
Es gibt also noch Hoffnung. Das ästhetische Empfinden der Menschen erwacht wieder, sobald sich die Sonne blicken lässt und die Frühlingstage schon so warm sind, dass man die erste Mittagspause in einem Straßencafé verbringen kann. Dann sinkt der Stern der monotonen Konsumkästen auf der grünen Wiese. Dann kommt die Stunde der Urbanität, die Freude an der größeren Vielfalt der innerstädtischen Winkel und Plätze, deren Gebäude nicht alle aus den letzten zwei- oder drei Jahrzehnten stammen. Dann spüren auch die Kauflustigen wieder, dass ein Einkaufbummel mehr ist als die Freude an einem kostenlosen Parkhaus an irgendeiner Ausfahrt an der A 5 zwischen Mannheim und Frankfurt am Main. Ein Flaneur hat hier nichts zu suchen.
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