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Zweites Album des Neuseeländers Marlon Williams
Mehr Radiohead als Nashville

Der junge Neuseeländer Marlon Williams wurde schon bei seinem Debütalbum voller Coverversionen für seine Stimme und seine Interpretationskunst gefeiert. Das zweite, "Make Way For Love", enthält nun elf Songs über eine sehr reale Trennung. Und die Ex singt gleich mit.

Von Bernd Lechler | 17.02.2018
    Der neuseeländische Singer/Songwriter Marlon Williams zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur.
    Der neuseeländische Singer/Songwriter Marlon Williams zu Gast im Studio von Deutschlandradio Kultur. (Deutschlandradio - Andreas Buron)
    In der richtigen Stimmung braucht man nur wenige Takte, um Marlon Williams zu verfallen. Dieser ganz ungeschützten Stimme wie von früher; diesen eindringlichen Songs ohne Angst vor melodischer Idylle. Ein scheinbar euphorischer Albumtitel, "Make Way For Love", für lauter Liebeskummerlieder – was soll uns das sagen?
    "Manche der Songs haben irreführend negative Titel, 'Love Is A Terrible Thing' zum Beispiel - das handelt einfach von Sprüchen wie 'Liebe ist was Schreckliches' - was man sich halt so einredet, um eine Trennung zu überstehen. Der Albumtitel soll dafür positiv wirken: Platz da, hier kommt die Liebe. Aber gemeint ist eher, dass die Liebe dich packt, ob du willst oder nicht, und du musst sehen, wie du mit ihr klarkommst."
    Musikalische Anfänge als Chorknabe
    Die Frau übrigens, von der er sich getrennt hat (oder sie sich von ihm) und um die es in diesen elf Songs geht – das ist die hier:
    Die Sängerin Aldous Harding, ebenfalls aus Neuseeland, mit der Williams lange zusammen war. Nicht nur ist sie in den Lyrics gegenwärtig; sie singt sogar mit, im Song "Nobody Gets What They Want Anymore". "Was soll ich nur machen", fragt er sich da, "wenn du in Schwierigkeiten steckst, und meine Hilfe nicht mehr willst."
    "Wir sangen es getrennt, sie war in Wales und nahm ihren Part einen Monat nach mir auf. Die Distanz passt ja schmerzlich gut zum Thema. Aber es war auch heilsam, ich bin dankbar, dass sie mitgemacht und damit sozusagen auch meine Sicht der Dinge akzeptiert hat. Ich musste sie schon ein bisschen überreden. Aber sie fand den Song gut, und damit kriegt man sie immer."
    Wenn Marlon Williams singt, denkt man unweigerlich an die großen Crooner vergangener Jahrzehnte, an Elvis Presley oder Roy Orbison – und liegt ganz richtig.
    "Klar war ich schon als Kind von Elvis und Roy beeinflusst. Dieser Schmelz in der Stimme - dem habe ich nachgeeifert."
    Und seit YouTube könne man sich eben auch als Jahrgang 1990 in so antikes Zeugs verlieben. Aber Marlons Wurzeln reichen noch weiter zurück: Wie sonst eher amerikanische Soulgrößen hat er zuerst in der Kirche gesungen, daheim in Christchurch, und war als Chorknabe sogar auf Europatour.
    "Jeden Mittwoch und Sonntag sang ich in der katholischen Messe, das war total schön und hat mich vielleicht auch Musik in einem fast religiösen Sinn würdigen lassen. Ich vermisse das auch, diese alten Sachen zu singen."
    Schwieriges Verhältnis zum Livetour-Alltag
    In Christchurch lebt er längst nicht mehr: Als nach einem Erdbeben Clubs schlossen und die lokale Musikszene brach lag, zog er nach Melbourne in Australien. Für das neue Album flog er allerdings samt Band nach Kalifornien, zum Studio des Produzenten Noah Georgeson, bekannt von Arbeiten mit Joanna Newsom oder Devendra Banhart – und von zwei Alben mit der Waliserin Cate Le Bon, die Marlon Williams gefielen:
    "It was mainly off the back of two albums made by a woman named Kate LeBon, who is an incredible Welsh musician."
    "I just loved the uniformity of the sound across these two albums. It fired my imagination, as something that I really wanted."
    Er habe die Einheitlichkeit der zwei Alben geliebt, sagt Williams, und die hat er selbst jetzt auch hinbekommen: "Make Way For Love" ist aus einem Guss – bei aller Abwechslung übrigens, von der Klaviermeditation bis zum zart-angriffslustigen Surfrock. Und weil zwischen Folkgitarren und Balladenklavier auch unerwartete Synthiesolos auftauchen.

    Oder auch weil die gewagten Akkordwechsel seiner Songs mehr Radiohead als Nashville sind, klingen sie eher eigenwillig zeitlos als retro. Eigenwillig auch, weil seine Stimme vom sonoren Storytelling eines Leonard Cohen bis zur androgynen Schwerelosigkeit einer Ahnoni reicht. Es wird aufregend sein, diese Stimme und diese Lieder demnächst live zu erleben, auch für Marlon Williams selbst - der zu diesem Teil seines Jobs allerdings ein gespaltenes Verhältnis hat.
    "Ich bin da ziemlich fatalistisch. Es ist ein so selbstverständlicher Teil meiner Arbeit, dass ich nicht mal darüber nachdenke, ob es mir gefällt. Manchmal mag ich es, manchmal finde ich es unerträglich schwer. Wenn man nach einer Show und ein paar Drinks um zwei ins Bett geht und dann um fünf wieder raus muss, um den nächsten Flug zu kriegen, und am nächsten Abend ist man wieder high vom Publikum. So läuft das, bis du eines Morgens nur noch die Hülle eines Menschen bist. Das kostet Kraft. Aber tja, dafür sind wir wohl hier."