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Zwickauer Oberbürgermeisterin Findeiß
"Wir werden weiter der NSU-Opfer gedenken"

Nach der Zerstörung von Gedenkzeichen an NSU-Opfer wehrt sich Zwickaus Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) gegen eine stigmatisierende Berichterstattung. Zwickau habe genauso ein Problem mit dem Rechtsradikalismus wie ganz Deutschland. Die Stadt gehe offensiv mit Gedenken an die NSU-Opfer um, sagte Findeiß im Dlf.

Pia Findeiß im Gespräch mit Claudia Hennen | 07.10.2019
Gedenkort für Enver Simsek, dem ersten Opfer der Terrorzelle NSU, im Schwanenteichpark in Zwickau. Die dazugehörige junge Eiche wurde von Unbekannten abgesägt
Die Zerstörung des Gedenkortes für NSU-Opfer Simsek in Zwickau mache die Stadt sehr betroffen, sagte Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (dpa-Zentralbild / picture alliance / Sebastian Willnow)
Claudia Hennen: Nicht einmal einen Monat lang stand der Gedenkbaum in Zwickau. Die schmale Eiche wurde von der Stadt gepflanzt, um an den Blumenhändler Enver Simsek zu erinnern, das erste Opfer des NSU-Trios. Die Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe hatten über Jahre in der sächsischen Stadt Unterschlupf gefunden. Am vergangenen Donnerstag wurde der Gedenkbaum von Unbekannten abgesägt, inzwischen ist auch die von einer Künstlergruppe ersatzweise aufgestellte Gedenkbank zerstört worden. Der Staatsschutz ermittelt, wir aber fragen uns: Welches Problem hat die Stadt, haben die Zwickauer mit dem Gedenken an die NSU-Opfer? Diese Frage habe ich der Oberbürgermeisterin und SPD-Politikerin Pia Findeiß vor der Sendung gestellt.
Pia Findeiß: Also zu Beginn möchte ich erst mal sagen, dass es auch von den Medien immer wieder so ist, dass wenn etwas Schlimmes passiert, dass berichtet wird. Als wir den Baum gepflanzt haben oder als wir hier ein Gedenken veranstaltet haben im Rathaus, als in München die Urteile im NSU-Prozess verkündet worden sind, ist wenig über Zwickau berichtet worden. Dort, wo wir positive Akzente setzen, wird nicht berichtet. Aber wenn unsere positiven Akzente dann zerstört werden, dann berichten Sie, und das ist eigentlich traurig - aber dass dieser Baum abgesägt worden ist, das macht mich natürlich und viele Zwickauerinnen und Zwickauer und eigentlich auch bundesweit sehr, sehr betroffen.
Hennen: Bei aller Medienschelte - aber vor drei Jahren wurden ja schon mal Gedenkbänke zerstört, die an die Opfer des NSU erinnern.
Findeiß: Ja, auch da haben Sie berichtet, aber Sie haben eben nicht vorher berichtet, was wir als Stadt getan haben, um der Opfer zu gedenken.
Findeiß: "Zwickau stellt sich der Geschichte"
Hennen: Was ist wichtig, warum ist diese Geschichte wichtig, warum sollte sich Zwickau dieser Geschichte stellen?
Findeiß: Wir stellen uns ja der Geschichte, indem wir Bäume pflanzen. Das ist ja keine Initiative, die von außen reingetragen wurde, sondern das ist eine Initiative der Stadt. Das war der erste Baum, und ich hatte bei der Baumpflanzung angekündigt, dass wir für jedes Opfer einen Baum pflanzen werden. Das hat leider keiner berichtet. Jetzt, als der erste Baum abgesägt worden ist, das ist berichtet worden. Daran sehen Sie, dass wir uns der Geschichte stellen. Die drei Mitglieder des NSU oder drei der Mitglieder haben hier jahrelang in Zwickau gewohnt, das Haus ist hier in die Luft geflogen, und wir verdecken das nicht. Im Gegenteil, wir gehen offensiv damit um.
Hennen: Nun sind die Mahnmale aber zerstört. Welches Problem hat Zwickau mit dem Rechtsextremismus?
Findeiß: Welche Mahnmale meinen Sie denn jetzt? Es ist ein Baum abgesägt worden, den wir gepflanzt haben, und wir werden den wieder pflanzen.
Hennen: Ja, an die Stelle ist ja eine Bank gestellt worden von einer Künstlergruppe.
Findeiß: Ja, aber das ist kein Mahnmal. Ich bin sehr froh, dass es eine Initiative in Zwickau gab, die sich gegen das Absägen des Baumes da gestellt haben - aber das war eine private Initiative, und dort ist die Bank zerstört worden. Das ist auch sehr schlimm, genauso schlimm wie es ist, dass der Baum abgesägt wurde. Wir lassen uns aber davon nicht abbringen. Wir pflanzen die weiteren Bäume.
Eine Stadt und ihr Stigma
Hennen: Das ist gesetzt.
Findeiß: Ja. Das ist nicht jetzt gesetzt, sondern das hatten wir schon verkündet, als der erste Baum gepflanzt wurde.
Hennen: Sie wehren sich also gegen ein Stigma, das Zwickau übergestülpt wird. Ist es das?
Findeiß: Ja, genau.
Hennen: Sie haben sich ja auch dagegen gewehrt, dass der NSU als Zwickauer Zelle bezeichnet wird.
Findeiß: Richtig. Das Problem ist ein deutsches Problem. Wenn man jetzt die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses von Thüringen liest, dann weiß man, dass es nicht nur eine Zwickauer Terrorzelle war, sondern dass das eine Terrorzelle war, die in Thüringen gewirkt hat, die in Sachsen gewirkt hat, und die ein Problem für ganz Deutschland ist. Deshalb haben wir uns dagegen verwahrt, dass es nur eine Zwickauer Terrorzelle ist. Aber das heißt nicht, dass wir nicht der Opfer gedenken wollen. Das haben wir in vieler Hinsicht schon getan, und das werden wir auch weiterhin tun.
Aufarbeitung des NSU-Terrors in Zwickau
Hennen: Frau Findeiß, der Staatsschutz ermittelt. Nichtsdestotrotz, das Mahnmal ist zerstört worden.
Findeiß: Das wird Zeit, dass der Staatsschutz ermittelt.
Hennen: Eine Frage: Welches Problem hat Zwickau mit dem Rechtsextremismus?
Findeiß: Zwickau hat das Problem mit dem Rechtsextremismus wie Gesamtdeutschland. Der Herr Lübcke ist in Kassel ermordet worden, und andere Aktionen finden in Mecklenburg, in Rostock und sonst wo statt. Zwickau hat genauso ein Problem mit dem Rechtsradikalismus wie ganz Deutschland.
Hennen: Sie haben gesagt, Sie werden nachpflanzen. Sie haben aber auch immer betont, dass in Zwickau die Aufarbeitung des Rechtsterrors noch lange nicht beendet ist. Was ist jetzt aus Ihrer Sicht zu tun?
Findeiß: Also wir werden jetzt das, was wir vorhatten, in Ruhe weiterführen, und wir haben ein Bündnis für Demokratie und Toleranz, die eintreten für ein Dokumentationszentrum. Ich hatte bereits 2012 an die Bundeskanzlerin geschrieben und an den damaligen Ministerpräsidenten und habe sie um Unterstützung gebeten. Wir haben dort eine Ablehnung erhalten. Vor zwei Jahren war Frau Pau hier, die sich einsetzen wollte für ein Dokumentationszentrum. Seitdem habe ich auch nichts wieder gehört. Aber wir werden das, wenn andere sich mitbeteiligen, auf alle Fälle unterstützen.
Appell an die Zivilgesellschaft
Hennen: Sie sagen, Sie werden nachpflanzen, auch die weiteren neuen Bäume, die geplant waren für die Opfer des NSU?
Findeiß: Ja.
Hennen: Und werden Sie diese Bäume bewachen lassen, oder …?
Findeiß: Das können wir nicht leisten, die Bäume zu bewachen. Am Ende muss es eine Zivilcourage sein von allen, dass sie sich entgegenstellen, dass diese Bäume wieder gefällt werden, dass sich die Zivilgesellschaft dagegenstellt.
Hennen: Zwickau und die NSU - eine Stadt und ihr Stigma. Das war das Gespräch mit der Oberbürgermeisterin Pia Findeiß. Etliche Zwickauer haben übrigens an der Gedenkstätte Blumen niedergelegt, und ein gebürtiger Zwickauer hat auf der Plattform "betterplace.org" Geld für einen neuen Baum gesammelt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.