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Zwischen Alltag und Kunst

Lichtschalter, Treppen, Müllsäcke, Einkaufszettel - Ceal Floyers Kunst besteht aus den einfachen Dingen des Lebens. Jetzt widmen ihr die Berliner Kunst-Werke eine Ausstellung.

Von Barbara Wiegand | 22.08.2009
    Am Anfang der Ausstellung ist ein Vorhang. Tief samtrot und schwer fällt der Stoff und verhüllt die Bühne, die man dahinter vermutet. Ein Scheinwerfer über dem Kopf des Betrachters wirft einen gleißenden Spot – ein Lichtkegel, der die Erwartungen schürt, hier bald einen großen Auftritt zu sehen. Doch bald wird klar: Niemand wird diese Bühne betreten – weil es nämlich keine ist. Sie existiert – genauso wie der Vorhang – nur im Schein des Scheinwerfers, der nach Art eines Diaprojektors das Bild eines Theaters an die Wand wirft. Der Vorhang bleibt also zu. Und öffnet dennoch die Türen zu dieser Ausstellung ganz weit. Offenbart diese Arbeit doch, was das Werk von Ceal Floyer ausmacht. Kuratorin Susanne Pfeffer:

    "Bei Ceal Floyer geht es eigentlich um Wahrnehmung. Mit allen Sinnen. Und dass man auch sehr genau wahrnehmen muss, um auch die verschiedenen Aspekte ihrer Arbeiten zu verstehen. Weil es gibt einen sehr unmittelbaren Zugang. Ihre Arbeiten sind sinnlich, es sind oft Alltagsobjekte, aber so wie sie sie präsentiert, welchen Aspekt sie hervorhebt, den hat man wahrscheinlich, bevor man genau auf ihre Arbeit trifft nie so wahrgenommen."

    Wie zu Anfang führt Ceal Floyer den Betrachter dabei auch sonst immer wieder in die Irre. Sie hebt Gewöhnliches hervor, indem sie es ein wenig ungewöhnlich zeigt. Gerade so viel, dass man das Potenzial seiner Banalität erkennt. Zum Beispiel, wenn sich in der Arbeit Apollinaris die galaktisch im Dunkel funkelnden Linien nicht als verglühende Himmelskörper, sondern ganz schnöde als zerplatzte Bläschen über einem Glas Mineralwasser entpuppen.

    Floyer sieht die Dinge, wie sie sind – und wie sie noch sein können. Sie sieht und hört sie. So heben die Sockel, die sie in der großen Halle der Berliner Kunstwerke aufgestellt hat, nicht nur diese normalerweise der Kunstpräsentation dienenden Stelen als eigene Skulpturen hervor. Nein, aus den weißen Boxen tönt es außerdem

    Das Wort "Thing – Ding" hat die Britin aus duzenden von Popsongs ausgeschnitten und zu einer eigenartigen Komposition zusammengefügt. Nochmals Susanne Pfeffer:

    "Eine Ausstellung ist ja im Grunde immer dazu da, Dinge zu zeigen. Es gibt Sockel, Nägel, an denen man die Dinge zeigt. Diese Dinge sind auch im Raum präsent, aber der Sockel ist der Träger einer Arbeit, die man nur hören kann."

    Hier zeigt sich die Vorliebe der 1968 in Pakistan geborenen und jetzt in Berlin lebenden Floyer für minimalistische Kleinstarbeit. Für bisweilen ziemlich komische Analysen von Bezeichnung und Bedeutung. Etwa wenn sie unter dem Titel "Wish you were here" einen leeren Postkartenständer aufstellt.

    Hier wie da ist die Vorstellung des Betrachters gefragt. Ja, manches Werk gäbe es gar nicht ohne fremde Hilfe. So hat Floyer für ihre Arbeit "Works on paper" über Jahre hinweg Papiere gesammelt, auf denen Kunden in Schreibwarenläden Stifte getestet haben. Hallo, ich war hier, aber auch ich liebe dich, Mausepeter, haben die Tester gekritzelt. Oder einfach nur bedeutungslose Schwünge vollführt, Linien gezogen, Kästchen gemalt. Was, ordentlich in Reihen übereinander gehängt, wie eine Mischung aus seriellem Konzept und Graffiti daherkommt, wirft allerdings die Frage auf, ob Ceal Floyer es sich nicht zu einfach macht, mit ihrer auf einfachen Ideen basierenden Kunst? Ob sie nicht zu lapidar Begriffe wie Autorenschaft und Readymade, Kunst und Alltag thematisiert. Ob nicht der Kassenbon, den sie als Mischung zwischen Fertigkunst, Gemälde und Konzeptkunst an die Wand gepinnt hat, doch nur ein Kassenbon bleibt? Auch wenn die Produkte darauf nur ausgewählt weiße Waren wie Milch oder Rettiche sind.
    Letztlich aber überzeugt sie - so spielerisch wie ernsthaft.

    Die Uhr, die, tack tick, tack tick, im Treppenhaus falsch rum tickt, ist sowohl Gimmick als auch unheimliches Sinnbild für eine verkehrte, ja vielleicht bald verschwundene Zeit. Und die Schere, die am Ende der Ausstellung als Projektion erscheint, ist vielleicht des Rätsels Lösung für die fein gestrichelte Linie, die sich schwarz auf weiß fast unbemerkt durchs ganze Haus schlängelt. Denn mit ihr könnte man entlang dieser Linie die Kunst, ja die ganze Ausstellung ausschneiden. Die Kunst, die oft nur in der Vorstellung des Betrachters existent wird, verschwindet. Wiederum auf Grund von Imagination. Das hat Tiefgang, Oberflächlichkeit und bei aller Konzeptualität Humor. Eine Mischung, die Ceal Floyer zu recht zur viel gelobten Künstlerin macht. Und zu mehr als einer flüchtig hochgehypten Zeitgenossin. Denn ihre Art, den Betrachter die Dinge sehen zu machen, hat eine beeindruckend nachhaltige Wirkung

    Ausstellung "Ceal Floyer" in den Berliner Kunst-Werken
    Vom 23.08. – 18.10.2009