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Zwischen Buddha-Jahrmarkt und Schweigefrühstück

Während mehr als 100 Jahre Kommunismus und Kulturrevolution in China das religiöse Leben stark unterdrückten, haben die spirituellen Traditionen auf der Insel Taiwan immer weiter gelebt. So auch im Kloster Fo Guang Shan, dem größten buddhistischen Zentrum des Landes.

Von Marion Trutter | 17.06.2012
    Schon von Weitem glitzert uns der goldene Buddha entgegen – fast so, als wollte er uns zuzwinkern. 36 Meter hoch ragt die Statue in den Himmel – ein Glanzlicht in den Hügeln bei Kaohsiung. Reisebusse und Hunderte Autos parken vor dem Eingang zum Tempelgelände, ganze Reisegruppen schieben sich zum Eingang. Kinder lärmen, Jugendgruppen schwätzen, es gibt sogar einen amerikanischen Coffeeshop.

    Ein Mönch in brauner Robe nimmt uns in Empfang. Hue Xo – mit bürgerlichem Namen Gerhard Fröschl – stammt aus Österreich. Seit 1976 ist er Buddhist und lebt seit zwölf Jahren in Taiwan im Kloster:

    "Das Kloster heißt hier Fo Guang Shan. Das muss man dann ja immer auch richtig betonen: Fo Guang Shan. Übersetzung Buddhalicht oder Buddhalicht-Glanzberg.”"

    Gegründet wurde das Kloster 1967 vom großen Meister Hsing Yün. Sein Ziel: die Vision eines humanistischen Buddhismus zu verwirklichen – ganz nah dran an den Menschen, immer offen für Besucher. 1998 brachte der Meister aus Indien eine Zahnreliquie des Buddha nach Taiwan. Ein tibetischer Lama hatte sie vor der chinesischen Kulturrevolution gerettet. Hsing Yün sollte für die Reliquie einen Tempel bauen und sie so der Öffentlichkeit zugänglich machen. Mit Unterstützung der taiwanesischen Regierung entstand auf mehr als 100 Hektar eine exotische Mischung aus religiösem Zentrum und Buddha-Erlebnisland.

    ""Die meisten Westlichen sind von der Perspektive beeindruckt, weil’s so riesig ist. Also einen Schuss, ein Foto – es gibt natürlich viele verschiedene Winkel, von denen man schießen kann. Es sieht interessant aus, obwohl ich einen Freund in Berlin habe, der sagt, es ist ein kulturelles Mischmasch. Aber unser Meister wollte das absichtlich, also von Indien nach China und dann in die ganze Welt – die Geschichte des Buddhismus. Und es ist auch modern. Sie haben ja gesehen die Sachen drin, zum Beispiel dass man auf den Händen Glücksvorhersagen machen kann. Das ist aber auch chinesische Kultur, das ist nur die moderne Version davon. Den Leuten gefällt´s. Und wie gesagt kann man dafür herkommen und wenn man will, kann man auch mehr haben."

    Vor allem Kinder sollen in einer Art interaktivem Buddha-Museum mit den Lehren des großen Meisters vertraut gemacht werden – mit jede Menge bunten Figuren, Musik und Mitmach-Spielen. Ganze Familienclans schieben sich durch die Räume, dazu Schulklassen und Touristen. Wir kommen aus dem Staunen nicht heraus: staunen über den Mönch aus der Nähe von Wien, staunen über den Rummel, über die Jahrmarkt-Stimmung zu Füßen des goldenen Buddhas. Den Besuch in einem buddhistischen Kloster haben wir uns definitiv anders vorgestellt.

    Um der Buddha der Buddha-Reliquie näher zu kommen. "Please remain silent" steht auf einem großen Schild am Eingang: "Bitte Ruhe bewahren". Doch das scheint hier niemanden zu beeindrucken. Besucher wuseln und quasseln durcheinander – für uns ungewohnt an einem heiligen Ort. So andächtig wie nur irgend möglich defilieren wir an der Reliquie vorbei.

    Natürlich gibt es Gläubigen auch die Möglichkeit Buddha ein Opfer zu bringen – auch das ganz topmodern, technisch – und gegen bare Münze:

    "Man opfert jetzt elektronisch einen Lichtlotus. Früher hat es die gegeben als richtige Kerzen, eine Kerze in der Form eines Lotus, die zündet man an und opfert dem Buddha. Früher hat’s ja nur Sinn ergeben, wenn man Öl für die Mönche bringt, die Mönche und Nonnen, damit sie was lesen können am Abend. Heute ist das ja nur symbolisch, weil heute wird fürs Licht gespendet und das genügt schon. Mir hat das gut gefallen als Idee, aber natürlich bin ich schon so lange in der Kultur, dass ich nicht weiß, wie kitschig das für Sie aussieht – es ist doch sehr extrem."

    Das Kontrastprogramm wartet im Nachbartal, gerade mal ein paar Minuten entfernt. Dort steht die Keimzelle von Fo Guang Shan das eigentliche Kloster. Etwa 800 Nonnen und Mönche leben hier – und immer auch eine Menge Ausflügler und Gäste, die länger bleiben und am Klosterleben teilnehmen. Um zu meditieren. Um zur Ruhe zu kommen. Wenn nicht gerade chinesisches Neujahr oder ein großes buddhistisches Treffen gefeiert wird, können auch Besucher hier wirklich Stille erleben.

    Man muss kein streng praktizierender Buddhist sein, um in Fo Guang Shan als Gast unterzukommen. Die meisten europäischen Besucher sind Touristen auf Rundreise – wie wir, die eine Nacht bleiben und dann weiterziehen. Für sie gibt es Führungen, Konzerte und Meditationen. Wer länger bleiben will, kommt zu Retreats: Meditationsklausuren, bei denen man sich zurückziehen und wirklich zur Ruhe kommen kann.

    "Es hängt davon ab wie weit man gehen will – ob man hier was intensiv machen will oder ob man halt hier reinkommt und die hübschen Statuen anschaut oder zur chinesischen Neujahrszeit diese hübschen bunten Laternen, diese Lichterln – hübsch isses, bunt isses, man kann sein Räucherstäbchen anzünden und wieder nach Hause gehen. Da ist der Meditationsreterat, da wird der Name Buddhas rezitiert, und jeden Tag außer Montag ist die Kalligrafiehalle offen oder ich kann mir einen Mönch oder eine Nonne suchen und bisserl was lernen oder ich kann in die Zweigtempel gehen."

    Ein wunderbarer Einstieg ins meditative Leben ist die Kalligrafie, die chinesische Kunst des Schönschreibens. In einem Raum, der aussieht wie ein Klassenzimmer, stehen Tische in Reih und Glied. Eine Nonne verteilt Papier und Stifte – moderne Buddhisten schreiben statt mit Pinsel mit speziellen Tuschstiften für Kalligrafie.

    "Es ist eine der einfachsten Formen der Konzentrationsmeditation. Wenn man nämlich in Konzentrationsmeditation sitzt, das ist schwierig. Den Atem betrachten und zählen ist schwierig – unser Geist mag das nicht. Aber wenn man dort sitzt und einfach so kopiert – wie in unserer Kinderzeit – da kann man sich total vertiefen. Ein Strich, ein Strich, ein Strich, sonst nix. Natürlich die Gläubigen glauben auch, dass sie Verdienste erwerben, aber ich erkläre es den Westlern immer so: Das ist die einfachste Art der Konzentrationsmeditation, da kann man dann total fokussieren – das ist wunderbar."

    Es ist wirklich erstaunlich: Eine halbe Stunde haben wir schweigend geschrieben – oder soll man sagen "gemalt"? Die Hände geschwungen, immer mehr vertieft in die schwarzen Schriftzeichen und das Kratzen des Stiftes auf dem Papier. Eine tiefe Ruhe stellt sich ein.

    Danach noch ein Besuch in der Meditationshalle, zu einigen kleinen Schreinen und als Höhepunkt oben auf dem Hügel zum Hauptschrein. Drei große goldene Buddhas thronen über dem Raum, an den Wänden glänzen Hunderte goldene Mini-Buddhas in kleinen Nischen.
    Abends in unserem Quartier geht’s ans Eingemachte: Wir möchten gern am nächsten Morgen am Schweigefrühstück mit den Nonnen und Mönchen teilnehmen. Hue Xo, der Gästemönch, erklärt – für die internationalen Gäste auf Englisch:

    "Aus meiner Erfahrung haben westliche Besucher damit Probleme: Im Gästehaus bekommen Sie Toast, Kaffee und Tee – und Sie können reden. Drüben bekommen Sie nur Reisbrei und Blattgemüse – meistens auch noch mit sehr wenig Salz. Ich weiß aus Erfahrung, dass die meisten Leute das nicht essen können."

    Abhalten lassen wir uns trotzdem nicht. Auch nachdem der Mönch uns quasi gewarnt hat, sind sich alle Gäste der europäischen Reisegruppe einig:

    "So it looks like probably everybody would go?” – "Yes, yes, yes. Oui, oui ... "

    Wir lernen noch, wie genau wir die Speisen entgegen nehmen müssen, wie wir ablehnen – und mit welchen Zeichen wir noch mehr bekommen. Schließlich wird beim Essen nicht gesprochen – und es soll auch nichts verschwendet werden. Gewappnet mit der Gebrauchsanweisung fürs Frühstück ziehen wir uns in unsere Gemächer zurück: Zimmer in einem der drei Gästehäuser – einfach, aber immerhin mit eigener Dusche und Toilette.

    Am nächsten Morgen geht’s schon um halb sechs aus den Federn: Um sechs Uhr beginnt die Morgenandacht im großen Schrein – Besucher sind auch dort willkommen.

    Gemeinsam mit Mönch Hue Xo machen wir uns im kühlen Morgenlüftchen auf zum Fuß des heiligen Hügels. An diesem Morgen bewegen sich einige der Nonnen und Mönche in einer Gehmeditation langsam die Stufen zum großen Schrein hinauf. In die Rezitation von Mantren vertieft schreiten sie langsam voran. Immer drei Schritte, dann eine tiefe Verbeugung. Ellbogen, Knie und Stirn müssen dabei den Boden berühren.

    Im großen Schrein sind schon die anderen Gläubigen bei der morgendlichen Andacht: eine Stunde Singen heiliger Mantren. Trommeln und Glocken begleiten die Gläubigen bei ihrem musikalischen Gebet.

    Danach geht’s still zum Frühstück. Im riesigen Speisesaal sitzen sich die Menschen in zwei Blöcken gegenüber. Nonnen und Mönche auf der einen Seite, Besucher auf der anderen. Wir schauen in stille Gesichter unter kahlen Köpfen, blicken in tiefe Augen. Mit aller Konzentration versuchen wir die Regeln bei der Essensausgabe zu beachten – und sind überrascht, wie gut das karge Frühstück doch schmeckt.

    Als wir nach einer Stunde den Speisesaal wieder verlassen, ist schon die rosarote taiwanesische Sonne überm grünen Tal aufgegangen. Wir schlendern durch einen blühenden Park, hinauf zur großen Buddhastatue des Klosters. Ein alter Mönch – oder ist es eine Nonne mit dem kahl geschorenen Kopf? – schlägt eine riesig große Glocke an – langsam, bedächtig, wieder und immer wieder – in der Hand eine Gebetskette, mit der er oder sie die Schläge zählt. So langsam kehrt Ruhe ein – außen - und innen.