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Zwischen den Fronten

Die Ivorität – also die Frage, wer ein "echter" Ivorer ist und wer nicht, ist bis heute in der Elfenbeinküste eine Frage von Leben und Tod. Das müssen in diesen Tagen auch Tausende ivorische Flüchtlinge in den Nachbarstaaten erfahren.

Von Jantje Hannover | 28.05.2011
    Das Flüchtlingslager Zia-Town in Liberia, unweit der ivorischen Grenze. Das Empfangszelt ist nach allen Seiten offen, nur eine dachförmig aufgehängte Plane schützt vor dem Regen. Hier beraten sich die Organisatoren der Deutschen Welthungerhilfe und eine Gruppe Flüchtlinge. Der Arzt Bahibo Blackson Stephane ist der Sprecher der mehr als 300 Lagerinsassen:

    "Sie haben gesagt: jeder kriegt vier Tassen Weizen, aber tatsächlich sind es dann nur drei. Das ist zu wenig. Die, die hier das Essen verteilen, machen das nicht gut."

    Sein Sekretär hält ein paar durchsichtige Plastiksäcke in die Höhe. Darin: Bruchweizen, Öl und Mehl.

    Das sei die Ration für zehn Leute, für zwei Wochen, sagt Bahibos Sekretär. Eine Menge, die vorne und hinten nicht reicht, von Sättigung ganz zu schweigen. Tatsächlich habe der plötzliche Ansturm der Flüchtlinge aus der Elfenbeinküste die Hilfsorganisationen kalt erwischt, erklärt Thomas ten Boer von der Welthungerhilfe. Erwartet worden waren 10.000 Menschen, jetzt sind es bereits 45.000, die im gesamten Bundesland Gran Gedeh auf der liberischen Seite der Grenze Schutz suchen. Enorme logistische Probleme tun sich auf, die Dschungelpisten sind für große LKW, die Essen und Baumaterial ranschaffen, kaum befahrbar.

    "Wir Helfer sind überfordert! Wir machen so schnell, wie wir können, jeder braucht hier Essen, Unterkunft und Medikamente."

    Der Regen hat aufgehört, im Wald gleich neben dem Camp wird die Kettensäge angeworfen. Bis zu 10.000 Menschen sollen demnächst allein im Flüchtlingslager "Zia-Town" wohnen. Damit mehr Zelte aufgebaut werden können, muss zuerst der Dschungel gerodet werden. Viele Flüchtlinge arbeiten mit: sie schlagen mit Macheten die Büsche weg, tragen meterhohe Termitenhügel ab.

    Auch der Arzt Bahibo Stephane hilft, wo er kann. Jeden Morgen hält er Visite, besucht alle Bewohner in ihren Zelten. Selten sind die Momente, in denen er sich mit seinem Sekretär Ossan vor dem Zelt der Familie ausruhen kann.

    Und auch jetzt wird die kleine Mittagspause unterbrochen. Zwei Frauen mit bunten afrikanischen Bubu-Kleidern sprechen Bahibo an, alle wissen, wo der Arzt wohnt, obwohl die Zelte alle gleich aussehen.

    "Meine Tochter erbricht schon seit drei Tagen, sie muss ins Krankenhaus", erklärt eine der Frauen. Bahibo bittet seinen Sekretär, nach einem Auto zu suchen.

    Als Bahibo Stephane noch in der Elfenbeinküste lebte, hat er in der Stadt Guiglo eine kleine chirurgische Privatklinik geleitet. Eines Nachts, da tobten gerade die Kämpfe am Präsidentenpalast in Abidjan, fielen in Guiglo Schüsse. Um fünf Uhr morgens schreckte Bahibo Stephane aus dem Schlaf:

    "Hilfe, die Stadt wird angegriffen! Ich habe keine Ahnung von wem. Meine Frau und ich haben das Auto gepackt und sind losgefahren. Auf einer Kreuzung standen Bewaffnete. Wir mussten mit erhobenen Händen aussteigen und wurden gefilzt. Sie haben uns mit ihren Gewehren geschlagen, mir haben sie 5000 Franc aus der Tasche genommen und mein Handy, unseren Wagen haben sie einfach beschlagnahmt. Die Frauen mussten ihre Unterhosen abgeben, sogar meine Großmutter. weil sie dort angeblich ihr Geld verstecken. Sie wurden sehr respektlos angefasst, ich kann gar nicht alles erzählen, weil das zu schmerzhaft ist."

    Ohne Auto, ohne Geld ging es dann zu Fuß durch den Busch zum Grenzübergang nach Liberia, zwei seiner Kinder hat Bahibo dabei aus den Augen verloren. Das sei alles nur wegen der Wahlen passiert, sagt Ossan, der Sekretär von Bahibo:

    "Reden über Politik macht uns Angst. Wir sind einfache Menschen, wir bearbeiten die Erde, damit wir zu essen haben. Politik ist nicht unser Ding, wir wollen nur in der Elfenbeinküste in Frieden leben können."

    Ossan und seine Leute haben früher Manniok, Reis, Bananen und Kakao angebaut. Sie waren zufrieden. Bis zu den Wahlen. Plötzlich bildeten sich verfeindete Lager, die Menschen gerieten zwischen die Fronten in diesem Kampf um die Macht im Präsidentenamt der Elfenbeinküste. Ouattara oder Gbagbo? Häufig ging es vor allem darum, wer zu welcher Ethnie gehört. Weil sie zur Ethnie der Guéré zählen, gelten die Ivoraner im Grenzgebiet zu Liberia als Gbagbo-Anhänger. Das hat viele von ihnen das Leben gekostet. Auch Bahibo möchte daher mit Politik nichts zu tun haben:

    "Wir sind nicht hierher gekommen, weil wir für Gbagbo oder Ouattara sind, wir sind nur gekommen, um uns und unser Leben zu schützen. Wir haben Angst vor einem Bürgerkrieg in der Elfenbeinküste, es ist ein ethnisches Problem. Ich bin zum Beispiel ein Guéré und Alassange Ouattara ist Julá, es kann passieren, dass jemand dir deswegen etwas antut, davor haben wir Angst."

    Jetzt hofft er, als Arzt im Flüchtlingslager arbeiten zu können und dafür auch bezahlt zu werden. Dass in seiner Heimat jetzt der rechtmäßig gewählte Präsident Quattara regiert, gibt ihm kein Gefühl der Sicherheit. Ein junger Mann gesellt sich zur Gruppe, er stammt auch aus Guiglo und hat auf seiner Flucht Morde und Hinrichtungen beobachtet, ausgeführt von Quattara-Anhängern, wie er betont. Er will in Liberia bleiben und hier sein Abitur machen:

    "Was ich dort mit meinen eigenen Augen gesehen habe, ist einfach unerträglich. Das reinste Abschlachten, selbst in fünf Jahren gehe ich dort nicht wieder hin. Wir beten zu Gott für den Frieden. Aber solange Ouattara regiert, können wir nicht zurück."