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Zwischen den Kulturen

Bruno Schulz gehörte zu den wichtigsten Vertretern der polnischen Zwischenkriegsmoderne. In den 1930er-Jahren machte er sich als Autor experimenteller Prosa voller einzigartiger Sprachbilder einen Namen. Anfang 1942 kam er wie Tausende andere Drohobytscher Juden in ein Getto und wurde am 19. November 1942 von einem SS-Mann ermordet.

Von Martin Sander | 19.11.2012
    Wera Meniok: "Hier ist die Stelle, hier wurde Schulz durch diesen Karl Günther erschossen, und hier hat man am 19. November 2006 eine Gedenktafel angebracht. Es ist die zweite Tafel, denn die erste wurde eines Nachts abgerissen und in Stücke zerlegt."

    Abgerissen hatte die erste Gedenktafel für Bruno Schulz kein politischer Fanatiker, sondern ein gewöhnlicher Dieb, dem es um das Metall ging, erklärt Wera Meniok. Die Bruno-Schulz-Expertin und Leiterin des Zentrums für Polenstudien an der Universität des westukrainischen Drohobytsch deutet auf das Mietshaus mit dem Ladengeschäft neben dem Stadtpark.

    Wera Meniok: "In diesem Haus war damals der Judenrat untergebracht. Schulz hatte dort irgendetwas zu erledigen. Er kam also wieder heraus und da holte ihn Günther ein, ungefähr hier, befahl, ihm sich umzudrehen, denn die Deutschen schossen doch immer in den Hinterkopf, in den Rücken, oder?"

    Im Alter von nur 50 Jahren starb Bruno Schulz durch Schüsse des SS-Manns Karl Günther. Zwischen den Weltkriegen hatte sich Schulz in den Kreisen der polnischen Avantgarde als Schriftsteller einen Namen gemacht. Seit Kriegsbeginn verschlechterte sich seine Lebenssituation in Drohobytsch, das er aus Sorge um seine Angehörigen nicht verlassen mochte, immer mehr. Der Hitler-Stalin-Pakt schlug die Stadt, die nach dem Ersten Weltkrieg aus österreichischen in polnische Hände gefallen war, der Sowjet-Ukraine zu.

    Unter Stalin unterrichtete Schulz wie zuvor am städtischen Gymnasium als Werk- und Zeichenlehrer, verschmähte aber auch kein Zubrot durch die Anfertigung von kommunistischen Propagandaplakaten. Seine experimentelle Prosa hatte im sowjetischen Literaturbetrieb indes keine Chance. Man lehnte es ab, seine Werke zu drucken. Als im Sommer 1941 die Deutschen Drohobytsch besetzten, konnte Schulz bald auch nicht mehr als Lehrer arbeiten. Anfang 1942 kam er wie Tausende Drohobytscher Juden in ein Getto. Eine gewisse Protektion erfuhr Schulz zeitweilig durch den örtlichen Gestapo-Chef Felix Landau. Dafür musste er sich als Kunstsklave Landaus betätigen und zum Beispiel Märchenbilder im Kinderzimmer von Landaus Dienstvilla malen. Am 19. November 1942 war Schulz dennoch völlig schutzlos.

    Wera Meniok: "Der 19. November ging als 'Blutiger Donnerstag'in die Geschichte ein. Das war so eine Aktion, bei der an einem Tag jeder Deutsche einen Juden töten durfte, wenn er ihn auf der Straße antraf. Die Deutschen hier in Drohobytsch bekamen dafür die Genehmigung von ihren Vorgesetzten in Lemberg, weil ein paar Tage zuvor ein Jude, ein Apotheker namens Kurtz, bewaffnet aus dem Getto geflohen war und auf einen Deutschen geschossen hatte. "

    Bei alledem gilt Schulz den Literaturhistorikern als Opfer einer persönlichen Animosität zwischen Drohobytscher Gestapo-Chef Landau und dem SS-Mann Günther. Landau hatte kurz vor dem "Blutigen Donnerstag" Günthers jüdischen Leibzahnarzt getötet. Deshalb – so die Überlieferung – bedachte Günther seine Tat mit dem Ausspruch: "Nimmst du mir meinen Juden, nehme ich dir deinen".

    Niemand, der sich seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit dem Werk von Bruno Schulz in Polen oder anderswo beschäftigt, kann von den Umständen seines Todes abstrahieren – und auch nicht von der politischen Gewalt, der er in seinen letzten Lebensjahren zum Opfer fiel. Viele Interpreten glauben, Schulz habe literarisch die Vernichtung seiner Welt vorweggenommen. Es sind die bizarren Bilder einer aus den Fugen geratenen ostgalizischen Gesellschaft voller Anspielungen auf jüdische Traditionen und biblische Motive, die dazu verlocken, das Erzählwerk von Schulz nicht nur geschichtspessimistisch zu deuten, sondern als Prophezeiung des Holocaust.

    "Und als die Menge die Festung im Sturm eroberte und unter Lärm und Tumult in den Laden einmarschierte, schwang sich mein Vater mit einem Satz auf die Tuchregale und stieß, hoch über der Menge, mit voller Kraft in eine riesige Horn-Posaune und blies Alarm. Doch das Gewölbe füllte sich nicht mit dem Rauschen zu Hilfe eilender Engel, stattdessen antwortete auf jeden Jammerlaut der Trompete der riesige, lachende Chor der Menge."

    So klingt es in der "Nacht der Toten Saison", dem Finale der "Zimtläden", die Schulz 1934 in Warschau veröffentlichte – hier in der 2008 erschienenen Neuübersetzung von Doreen Daume.

    "'Jakub soll handeln! Jakub, verkaufen!' riefen alle und der ständig wiederholte Ruf, im Chor rhythmisiert, ging langsam in die Melodie eines aus allen Kehlen gesungenen Refrains über. Da gab sich mein Vater geschlagen, er sprang von seinem erhöhten Sims herab und stürmte mit einem Aufschrei zu den Tuch-Barrikaden. Die Ballen flogen durch die Luft und wickelten sich flatternd zu riesigen Bannern auf, von allen Seiten entluden die Regale ihre explodierenden Draperien, Wasserfälle auf Tuch, wie unter dem Schlag von Moses' Stab."

    Zwar wird, wer möchte, immer wieder Endzeitstimmung aus Schulz Prosa herauslesen können. Doch auch seine Bilder von Chaos und Untergang stecken oller Gegensätze. Das Todernste verwandelt sich nicht selten ins Lächerliche. Da rast in der Erzählung "Der Komet" ein Komet auf die Erde zu. Kurz vor dem scheinbar unausweichlichen Aufprall dreht der Himmelkörper aber lustlos ab und verschwindet in eine ganz andere Richtung. Wie sich herausstellt, ist der Komet nur eine Allegorie. Sie stand im Wettrennen mit einer anderen Stilfigur, dem Zeitgeist, und war von diesem abgehängt worden. Die Erde ist also gerettet. Indem der Erzähler sein ganz eigenes ironisches Spiel mit Sprache und Tradition treibt, indem er aus deren Bruchstücken einen neuen fantastischen Kosmos kreiert, bewegt er sich fern von jeder realistischen Erzählform.
    Im kommunistischen Polen hat man Bruno Schulz, als herausragenden Vertreter der Zwischenkriegsmoderne gleichwohl bald wiederentdeckt. Das Werk wurde in viele Sprachen übersetzt. In der Sowjetunion, die sich Drohobytsch und Ostgalizien 1945 abermals einverleibte, waren die Verhältnisse anders. Dort, wo den Platz der ermordeten Juden und der ausgesiedelten Polen von Russen und Ukrainern eingenommen wurde, schwieg man Schulz jahrzehntelang tot. Seine Kunst passte nicht in den sowjetischen Kulturbetrieb. Vor allem galt er in seiner Stadt als Fremder, ein Jude, der polnisch schrieb, war nichts anderes als ein Störenfried für die ukrainische Kultur. So blieb es zunächst auch in der seit 1992 unabhängigen Ukraine. 2001 wurden die Wandbilder, die Schulz 1942 für den Gestapo-Chef Landau angefertigt hatte, erst entdeckt und kurz darauf mit Hilfe der ukrainischen Stadtbehörde nach Yad Vashem verbracht. Der damalige Bürgermeister, Aleksej Radzjijewski, an dem Coup beteiligt, ist auch heute im Amt. Damals lag ihm nichts am Erbe von Bruno Schulz. Heute präsentiert er einen ganz anderen Standpunkt.

    Aleksej Radzijewski: "Das ist eine bedeutende Gestalt. Man muss Bruno Schulz lesen und verstehen. Bruno Schulz gehört sowohl den Ukrainern als auch den Polen. Er gehört der polnischen Community und der Stadt Drohobytsch."

    Zum Stimmungswandel in Drohobytsch hat nicht zuletzt ein internationales Bruno-Schulz-Festival beigetragen, das seit einem Jahrzehnt immer wieder in der Stadt stattfindet. Bürgermeister Radzijewski, ein früherer Sowjetkader, zwischenzeitlich auf nationalistisch ukrainischem Kurs, will nun sogar eine Bruno-Schulz-Tour für Touristen in Drohobytsch entwickeln lassen.

    Das Werk von Bruno Schulz, lange als Fremdkörper im ukrainischen Kulturleben behandelt, steht im Begriff, in den ukrainischen Literatur-Kanon einzugehen. Es ist ein Kanon, der die Vielvölkertradition der Westukraine allmählich in sich aufzunehmen scheint. Gerade hat der Dichter Juri Andruchowytsch seine Übersetzung des Schulzschen Prosa ins Ukrainische vorgelegt. Und Wera Meniok, Leiterin der Polenstudien an der Drohobytscher Universität und Mitorganisatorin des internationalen Bruno-Schulz-Festivals, erklärt:

    "Die Kinder aus Drohobytsch kennen Schulz nicht. Woher denn auch'
    Mein Maximalziel für die Zukunft lautet, dass er in den Lektüreplan unserer Schulen aufgenommen wird."

    Literaturhinweise

    Jeweils in der neuen deutschen Übersetzung von Doreen Daume liegen von Bruno Schulz im Carl Hanser Verlag folgende Titel vor:

    "Die Zimtläden", München 2008, 230 Seiten, 21,50 Euro
    "Das Sanatorium zur Sanduhr", München 2011, 368 Seiten, 24,90 Euro

    Taschenbuchausgaben:

    "Die Zimtläden", erschienen 2009 bei dtv mit einem Essay von David Großman, 192 Seiten, 9,90 Euro

    für April 2013 kündigt dtv das "Sanatorium zur Sanduhr" an, 368 Seiten, 12,90 Euro