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Zwischen Forschung und Prestige

Die einen nennen ihn wichtigen Forschungsstandort, andere reinen Privatluxus der VW-Manager: Beim Ausbau des Braunschweiger Flughafens hat der Konzern einen Teil der Kosten bezahlt und dennoch den Unmut vieler Bürger auf sich gezogen.

Von Susanne Schrammar | 11.04.2012
    Der Verkehrsflughafen in Braunschweig-Waggum: Hier in direkter Nähe zur A2, im Norden der niedersächsischen Stadt, steigen so gut wie keine Touristen in die Flugzeuge. Der Flugplatz gilt als einer der wichtigsten Forschungsflughäfen Europas. Zahlreiche Institute und Unternehmen arbeiten hier an der Optimierung des Luftverkehrs, das Luftfahrtbundesamt und die Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung sind hier angesiedelt. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, DLR, betreibt am Standort Braunschweig einen Flugsimulator und erprobt neue Anflugverfahren.

    Im vergangenen Jahr ist die Start- und Landebahn um 600 Meter verlängert worden. Der Grund war, sagt Reinhard Manlik, Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafenbetreibergesellschaft, dass das DLR künftig ein neues Versuchsflugzeug, einen Airbus A320-232, einsetzen will, für den die bisherige Bahn zu kurz war.

    "Und die Sorge war, wenn wir unseren Flughafen nicht aufrüsten, möglicherweise diese Forschungsteile dorthin zu verlieren, wo die Landebahnlänge ausreichend ist, das wäre möglicherweise Oberpfaffenhofen gewesen. Das hätte bedeutet, dass das DLR den Flugbetrieb möglicherweise hier weg verlegt und das wären ein paar Hundert Arbeitsplätze gewesen - mit all den Wirkungen, die natürlich hinterher noch kommen, auch was die Universität und die Forschung angeht."

    Doch der Flughafen, 20 Minuten von Wolfsburg entfernt, wird nicht nur zu Forschungszwecken genutzt. Auf dem kleinen Parkplatz vor dem weißen Abfertigungsgebäude stehen auffallend viele Modelle des benachbarten Volkswagen-Konzerns. Das Unternehmen war bis vor wenigen Jahren Miteigentümer des Flughafens und nutzt ihn mit der konzerneigenen Chartergesellschaft. Acht Geschäftsreiseflugzeuge bringen die VW-Manager von hier aus zu den weltweiten Produktionsstandorten.

    "Sie müssen sich mal die Parkplätze angucken, die sind schon reserviert für VW und für VW-angehörige Firmen. Das heißt also, 90 Prozent des Parkplatzes ist eigentlich nur für VW oder den Konzern reserviert. Das sagt ja wohl aus, wer Hauptnutzer des Flughafens ist."

    Ute Ernst ist Vorsitzende einer örtlichen Bürgerinitiative, die jahrelang dagegen gekämpft hat, dass die Start- und Landebahn in Braunschweig verlängert wird. Die 69-Jährige und ihre Mitstreiter glauben, nur 2 Prozent der 32.000 Starts und Landungen jährlich dienten der Forschung. In 80 Prozent der Flüge seien VW-Mitarbeiter an Bord. Und die sollen es künftig bequemer haben.

    Ab Juni, wenn die Startbahn freigegeben wird, können VW-Vorstandsvorsitzender Martin Winterkorn und seine Kollegen von Braunschweig aus auch mit dem langstreckentauglichen firmeneigenen Airbus A320-232 abheben, das war bislang nicht möglich. An den Ausbaukosten in Höhe von fast 39 Millionen Euro hat sich der Konzern mit 5 Millionen beteiligt, der Rest wird mit öffentlichen Mitteln bezahlt.

    "Und bei der Einweihung, als die Bahn fertiggestellt worden ist, da hat der Winterkorn gesagt, und das laste ich ihm sehr an, dann könnte er jetzt eine Stunde länger schlafen - aber dafür weckt er in eine Richtung 20.000 Bürger auf."

    Die Bürgerinitiative befürchtet eine Zunahme von Nachtflügen und Lärmbelästigung. Außerdem, klagt Ute Ernst, seien für die Verlängerung der Startbahn mehr als 40.000 Bäume gefällt worden. Alles für einen Konzern, der sich in Werbeanzeigen immer als so umweltbewusst präsentiere, sagt die 69-Jährige und zeigt auf die übrig gebliebenen Baumstümpfe. Andernorts würden als Ausgleich viermal so viele Bäume neu aufgeforstet, sagt hingegen Reinhard Manlik von der Flughafengesellschaft.

    Dass der Braunschweiger Flughafen allein für VW ausgebaut worden sei, weist der Aufsichtsratsvorsitzende - wie auch der Konzern - zurück. Die Verlängerung der Landebahn sei nur ein Baustein in einem Gesamtkonzept zur Förderung der Forschungsinfrastruktur. Dass Volkswagen jetzt Nutznießer des Ausbaus sei, sei nur eine logische Folge, so Manlik.

    VW war ja hier und hat hier Flugbetrieb und VW hat ja nun mal einen Airbus und warum soll er hier nicht operieren. Das wäre ja nun paradox.

    Anm. d. Red.: Wer das Audio-Angebot und die Textversion des vorliegenden Beitrages vergleicht, dem fallen Unterschiede auf: Nach dem Hinweis eines engagierten Hörers haben wir den Bericht einem Faktencheck unterzogen. Dabei kam heraus, dass einige uns zu Beginn zur Verfügung stehende Daten nicht korrekt waren. So handelt es sich bei dem DLR-Forschungsairbus um einen A320-232 und nicht um einen A319 (Quellen: Pressesprecher des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt + Pressesprecher der Flughafen Braunschweig-Wolfsburg GmbH). Des Weiteren gibt das Jahrbuch der Stadt Braunschweig die Zahl der Flugbewegungen im Jahr 2011 mit 32.000 und nicht mit 35.000 an. Irrtümlicherweise wurde an der Stelle, an der es um die Ausbaukosten geht, auch die EU als Mitfinanzierer angeführt. In das Projekt sind aber keine EU-Gelder geflossen (Quelle: Pressesprecher des Niedersächsischen Wissenschaftsministeriums). Zudem sprach Frau Ernst von der Bürgerinitiative von "mehr als 40.000" und nicht von "mehr als 30.000" gefällten Bäumen. Frau Ernst wurde von uns falsch zitiert. Zur sachlichen Klarstellung ist aber wichtig, dass zwischen Rodungen und Fällungen unterschieden wird. Es gab zwar 41.132 Rodungen, darunter aber auch Maßnahmen wie zum Beispiel die Entsorgung von Wurzelwerk. Die Anzahl reiner Baumfällungen wird vom Pressesprecher der Flughafen Braunschweig-Wolfsburg GmbH mit 36.126 angegeben.

    Zur Serie:
    Flughäfen - Wirtschaftsfaktor mit Schönheitsfehlern - Sechsteilige Serie über die Airportlandschaft in Deutschland