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Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Kürzlich hat die belgische Regierung beschlossen, illegalen Einwanderern Aufenthaltsgenehmigungen zu geben. Besonders denen soll geholfen werden, die schon lange in Belgien leben. Doch wie soll jemand ohne Miet- und Arbeitsverträge nachweisen, dass er schon lange im Land ist?

Von Julia Eikmann | 24.07.2009
    Der Boulevard de L'Empereur ist eine Prachtstraße im Zentrum von Brüssel. Nicht weit vom Königspalast entfernt verläuft er entlang des Museumsviertels. Hier hat sich das Finanzministerium niedergelassen; und die Sozialistische Partei Belgiens - und seit zwei Wochen auch mehr als 100 Einwanderer ohne Papiere.

    Auf dem schmalen Grünstreifen zwischen den Fahrbahnen haben sie ihr Lager errichtet. In den Ästen der Bäume aufgehängte Plastikplanen dienen als Sonnen- und Regenschutz, auf der Erde haben sie Pappen ausgelegt, darauf dreckige Schaumstoffmatratzen, Decken und Schlafsäcke. So demonstrieren die Einwanderer, vor allem Männer aus Nordafrika, gegen die Migrationspolitik des Landes. Einer von ihnen ist Rochid Eladama. Seit sieben Jahren lebt der 29-Jährige in Brüssel - und möchte nicht mehr gehen.

    "Ich bin mit einem Studentenvisum aus Marokko gekommen, aber die Bedingungen waren schwierig. Ich musste das Studium aufgeben und Arbeit suchen, um leben zu können. Ich arbeite illegal, aber es ist sehr schwer, ohne Aufenthaltsgenehmigung Arbeit zu finden; und deshalb demonstrieren wir hier."

    Nach jahrelangem Streit hat sich die belgische Regierung am vergangenen Wochenende auf eine einmalige Regelung geeinigt: Einwanderer ohne Papiere, die aber in Belgien bereits sozial verankert sind, sollen unbürokratisch eine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Dazu müssen sie nachweisen, dass sie seit mehr als fünf Jahren im Land leben - was als Illegaler schon schwierig genug ist. Außerdem sollen sie eine der Amtssprachen, Französisch, Niederländisch oder Deutsch, sprechen und zeigen, dass sie arbeitsfähig sind. Über jeden Fall wird einzeln entschieden. Die belgischen Behörden wollen dabei auch die Integration der Kinder und die sozialen Bindungen berücksichtigen. Wer sich um eine Aufenthaltsgenehmigung bewerben will, muss die nötigen Belege zwischen September und Dezember dieses Jahres einreichen.

    Auf dem Boulevard de L'Empereur stellt Rochid Eladama mit zwei anderen jungen Männern ein weiteres Campingzelt auf. Sie erwarten noch mehr wütende Demonstranten. Denn von den geschätzt 100.000 illegal in Belgien lebenden Einwanderern wird wohl nur rund ein Viertel die neue Regelung in Anspruch nehmen können. Die Menschen unter den Plastikplanen gehören nicht dazu, auch wenn viele bereits seit Jahren in Belgien leben:

    "Es gibt hier Leute, die sind seit fast sieben Jahren hier, aber sie können es nicht nachweisen. Sie sprechen Französisch und Flämisch, aber sie haben keine Beweise. Es ist in der momentanen Krise sehr schwer, einen Arbeitsvertrag zu bekommen, wenn man keine Papiere hat. Und drei Monate reichen nicht. Es ist nicht möglich, in so kurzer Zeit Arbeit zu finden. Auch die Leute, die Papiere haben, finden momentan nur sehr schwer einen Job. Deshalb bin ich unzufrieden."

    Diese einmalige Aufnahmeregelung sorgt nicht nur bei den Einwanderern, die nicht von ihr profitieren, für Unmut. In den benachbarten Niederlanden sorgen sich Konservative und Rechtsliberale, dass sich am Ende ein Teil der Einwanderer bei ihnen niederlassen könnte - schließlich sind die Grenzen offen. Außerdem fürchten sie eine Sogwirkung für weitere Illegale.

    Der Himmel hat sich bewölkt, auf dem Boulevard de L'Empereur beginnt es zu regnen. Rochid Eladama ist einer der wenigen, die nicht unter den Gemeinschaftsplanen schlafen. Er hat ein eigenes Zelt mit gerade einem Quadratmeter Grundfläche.

    "Hier lebe ich jetzt. Ich habe noch nie so gelebt. Aber ich habe noch Glück: Ich habe ein kleines Zelt, das mich vor dem Regen schützt. Es gibt Leute, die sind immer draußen, die schlafen unter freiem Himmel. Nachts, wenn es regnet, ist das sehr schwer für die Menschen hier. Es ist das erste Mal, dass ich in so einer traurigen Lage bin. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll: Das tut sehr weh. Hier lebe ich jetzt. Früher hatte ich eine Wohnung. Es ist halt sehr schwer, wenn man keine Papiere hat."

    Mit ihrer Ausnahmeregelung hat die belgische Regierung Druck aus der Koalition genommen und vielen Einwanderern eine Perspektive gegeben. Ein Migrationskonzept für die Zukunft allerdings hat sie damit nicht vorgelegt.