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Zwischen Innen- und Außenwelt

Ist dieses Buch ein Roman? Ein Reiseroman oder Prosaband? Oder ein Stationendrama in Form essayistischer Kurzgeschichten? Dass sich Kristin Schulz nicht um formale Konventionen schert, wirkt erstmal erfrischend. South Dakota, Chicago, Berlin, Paris, Jena, New York - das sind die Stationen des "Elsterneinmaleins", in dem acht Frauen bei der Erkundung fremder Umwelten und neuer Liebschaften vor allem auf die eigene Innenwelt treffen.

Von Olaf Karnik | 19.01.2006
    Wanda, Lara, Malah oder Hanna - schon der merkwürdige Gleichklang ihrer Namen deutet auf eine geheimnisvolle Übereinstimmung der Hauptfiguren. Gegen Ende folgt dann des Rätsels Lösung: es ist ein und dieselbe Person, die von den Reisen ins Ich unter verschiedenen Pseudonymen berichtet. Man fragt sich, was die Autorin mit dieser sonderbaren Konstruktion beabsichtigt? Kristin Schulz:

    " Also, dieses Spiel, dass es tatsächlich verschiedene Namen sind, die, hinter der sich jedoch ein und dieselbe Person verbirgt, ist in gewisser Weise ein Trick, dass es sich natürlich einfach um die Suche nach verschiedenen Identitäten handelt - allerdings aber eben einer Figur, die das als Spiel begreift, sich auch an verschiedene Orte begibt, um verschiedene Leben zu haben, aber es doch dann praktisch der letzten Figur, dem männlichen Erzähler, wird offenbart, dass es dann dieselbe Person ist. Und das Spiel insofern auch nicht aufgegangen ist, dass sie immer die gleiche auch geblieben ist. Aber der Anklang in den Namen verweist ja auch auf diese Verbundenheit, also das immer Malah, Anna, also immer diese doppelten A-Laute, dass sie sich tatsächlich verbunden fühlen miteinander, die Hauptfiguren in den vorderen Geschichten. "

    Man würde Goldfische in den durchsichtigen Absätzen tragen und jeder Schritt wäre eine Welle, die den Fisch erfasst. So stellten sich Europäer also Amerika vor. Nadja hatte nur einmal, auf einer anderen Reise, einen Einkaufswagen im Wasser des Lake Michigan entdeckt, am Strand von Evanston, Howard Street Park and Beach, kurz hinter der Balustrade, die am Vortag noch von Graffiti gereinigt wurde, obwohl niemand das Ergebnis dieser Verschönerungsaktion sehen konnte außer Seglern, und die waren dort oben zu dieser Jahreszeit rar. Der Einkaufswagen stand ohne Inhalt mit seinem orangefarbenen Griff und aufgeklapptem Kindersitz auf dem Seeboden im vielleicht zwei Meter tiefen und klaren Wasser. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn über die Absperrung zu hieven und ins Wasser zu stoßen, es war nicht das zufällige Ende einer Fahrt, kein spektakuläres Showdown. Doch das Happyend gibt dem Film immer recht, egal wie unsinnig sich die Hauptpersonen vorher gebärden. In Odessa jedenfalls war es ein Kinderwagen, der in unaufhaltsamer Fahrt die Hafentreppe hinunterstürzte, kein leerer Einkaufswagen. Etwas von dem, was Angst ist, begriff sie da. Nicht die weit aufgerissenen Augen. Es nützte einfach nichts, sich auf dem Stadtplan zurecht zu finden, wenn der Maßstab zum Leben sich verschob und die Übersetzung fehlte. Raufasertapete war die angemessene Umgebung für eine Seelengestimmtheit, die auch nicht erträglicher wurde, wenn man sie pastellen strich. Futterale, überall. Und wenn man eins öffnete, quoll das heillose Unglück daraus hervor.

    Allzu oft vermisst man bei Kristin Schulz' Erzählstil den roten Faden, immer wieder gerät die Handlung ins Stocken und der Blick fällt zur Seite. An Nebensächlichkeiten, Erinnerungsfragmenten und vorüber ziehenden Zeichen entzünden sich mäandernde Assoziationen. Hinzu kommen Einfälle zu berühmten Filmszenen oder Textzeilen aus Popsongs, die das Geschehen anscheinend in eine Art magischen Realismus verwandeln sollen, wo Innenwelt und Außenwelt einander spiegeln. Sinnzusammenhänge sind dabei nicht unbedingt nachvollziehbar. So lässt sich Kristin Schulz' abschweifender Stil vielleicht als "essayistisches Erzählen" begreifen, bisweilen gewinnt man aber den Eindruck, dass es der Autorin noch um etwas anderes geht - eine Kritik narrativer Klischees und eine Enthierarchisierung dramaturgischer Elemente. Kristin Schulz:

    " Ja, natürlich nicht so von der Intention her, sondern, dass ich das im Nachhinein dann auch so beschreiben könnte, aber, also, ich denke so, der erste Ansatz ist tatsächlich die Wahrnehmung, und die Wahrnehmung, die natürlich immer sehr viel über Reflexion dann auch passiert, und dass man sich dann auch mitnehmen lässt oder treiben lässt, also die Erzählerinnen von ihren Gedanken, und von diesen Gedanken kommen sie wieder auf das Nächste. Also, dass tatsächlich die Wahrnehmung manchmal sogar den Plot dominiert, also den Plot überwiegt. Aber, also, das war nicht von der Intention her, das ist sozusagen so gekommen, sodass ich's jetzt auch so beschreiben würde. "

    So gerät man beim Lesen des Elsterneinmaleins immer wieder vom Hölzchen aufs Stöckchen. Dafür wird man mit Sprachspielen, präzisen Beschreibungen und poetischen Metaphern belohnt, die in Gedichten allerdings besser aufgehoben wären. Schulz' Figuren treffen andere Menschen erst im Nachhinein, indem sie ihre verlassenen Stühle im Park betrachten; sie kommen beim Tanzen "der Versenkung in Bereiche innerer Unschärfe mit schnellem Beat zuvor"; es gibt den "Vierbeiner namens Winter", und aus "Gehwegschäden" werden "Gehweg-Schäden". Schließlich steckt Schulz' Debüt noch voller Anspielungen, Zitate, Rätsel und Chiffren, die den Eindruck erwecken, als berge ihre Sprache ein Geheimnis. Soll man bei der Lektüre vor allem daraus Vergnügen ziehen, dass man den nicht offenkundigen Bedeutungsebenen und Referenzen nachspürt? Schulz:

    " Also, ich würde schon sagen: Ja, aber auch nicht so, dass das Einzige ist, um das Buch zu verstehen oder sich dem Buch mit Vergnügen vielleicht, ja, zu widmen, sondern dass das maximal noch ne Dimension dazu ist, wenn man tatsächlich diesen teilweise rätselhaften Verweisen vielleicht nachgeht, die aber gar nicht mehr rätselhaft sind, wenn man den Bezug erahnt oder wenn man das eben sozusagen auflösen kann, weil man die zweite Ebene kennt. Also, Metaphern sind ja nie eindeutig auflösbar, sondern immer mehrdeutig, und insofern ist das, ja, der Versuch dieses Spiels mit diesen Assoziationen, die eben auf eine Art begriffen werden können, aber eben auch noch weiter, wenn man eben den Spuren nachfolgt. Also, es wäre schade, wenn es dadurch hermetisch würde, was ich aber nicht glaube, weil es ja sozusagen auch in der ersten Ebene nur als Bild gelesen werden kann oder verstanden werden kann. "

    Kristin Schulz: Das Elsterneinmaleins. Tisch 7 Verlag, Köln 2005. 180 S., Paperback mit Schutzumschlag.