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Zwischen Mahnen und Managen

Der Zentralrat der Juden in Deutschland will einer nicht-jüdischen Mehrheit die Lebendigkeit jüdischer Kultur näherbringen. Seine weitaus größte Herausforderung liegt jedoch in der sozialen und religiösen Eingliederung von Juden aus den einstigen GUS-Staaten.

Von Dorothea Jung | 30.07.2012
    "Wir freuen uns, dass Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens in unserer Heimat wieder ein geistiges, kulturelles und religiöses Zuhause gefunden haben."

    "Wir sind dankbar, dass wieder Juden zu uns kommen, die bei uns alle Facetten der jüdischen Religion und Kultur leben wollen."

    "Wir sind froh und dankbar, dass es jüdisches Leben in Berlin wieder gibt."

    Immer wenn in Deutschland eine Synagoge eingeweiht oder ein jüdisches Gemeindezentrum eröffnet wird, ist politische Prominenz zugegen, die - ganz gleich aus welcher Partei sie stammt - Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland vernehmbar willkommen heißt. Und bislang schien es, als ob dieses Willkommen die Juden auch erreicht hätte.

    "Gar keine Frage: Die Tendenz ist eindeutig: Juden fühlen sich in Deutschland zunehmend zu Hause",

    versicherte noch vor kurzem Salomon Korn, der Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Doch dann hat ein Kölner Landgericht die religiöse Beschneidung eines muslimischen Knaben als Körperverletzung eingestuft und unter Strafe gestellt. Von dieser Gerichtsentscheidung sind auch Juden betroffen. Und seitdem sind deutsche Juden offenbar nicht mehr überzeugt, dass sie in der Bundesrepublik erwünscht sind.

    "Das Urteil zu Ende gedacht würde doch bedeuten, dass jüdisches Leben in Deutschland faktisch unmöglich gemacht wird",

    beklagte Zentralratspräsident Dieter Graumann die Gerichtsentscheidung in einem Tagesthemen-Interview. Ähnlich äußerten sich in den vergangenen Wochen Mitglieder jüdischer Gemeinden in ganz Deutschland. Die Konferenz europäischer Rabbiner bezeichnete die Gerichtsentscheidung sogar als "einen der wohl schwersten Angriffe auf jüdisches Leben nach dem Holocaust". Die Beschneidung müsse am achten Lebenstag erfolgen und besiegele den religiösen Bund mit Gott. Sie sei ein nicht verhandelbares jüdisches Gesetz, bekundete auch der Berliner Rabbiner Yitzchak Ehrenberg.

    "Dieses Urteil heißt: Juden, ihr seid in Deutschland nicht gewünscht. Das ist eine Vertreibung der Juden aus Deutschland. Weil jeder vernünftige Mensch weiß, sogar wenn er wenig von Religion versteht, dass Beschneidung in der jüdischen Religion ein Fundament ist. Und Juden werden nicht leben in so einem Ort, in dem Beschneidung verboten ist."

    Vertreibung der Juden aus Deutschland? Jüdisches Leben unmöglich? Juden nicht erwünscht? Politiker aus allen Parteien reagierten erschrocken. Die Folge: Mit großer Mehrheit forderte der Deutsche Bundestag im Juli von der Bundesregierung eine rechtliche Regelung. Das Gesetz möge sicherstellen, "dass eine medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen grundsätzlich zulässig ist." Kerstin Giese, die für die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag für Religionsgemeinschaften zuständig ist, hat für die Resolution gestimmt.

    "Ein jüdischer Freund von mir hat mir geschrieben: 'Wir packen wieder unsere Koffer und gehen' Und das ist natürlich im Zuge der deutschen Geschichte ein schlimmer Satz. Und insofern kann ich das persönliche Gefühl verstehen; und die öffentliche Debatte, so wie sie geführt wird, ist auch nicht immer hilfreich."

    In der - besonders im Internet geführten - Debatte wird den Juden vielfach eine anti-aufklärerische Haltung unterstellt. Häufig werden sie sogar als Verfechter mittelalterlicher, barbarischer Rituale bezeichnet. Dazwischen immer wieder Stimmen, die einfach nicht verstehen, warum der Zentralrat durch das Urteil das religiöse Leben der Juden in Deutschland bedroht sieht. Dieter Graumann ist diese Debatte gar nicht recht. Denn als er im November 2010 zum Präsidenten des Zentralrates der Juden in Deutschland gewählt wurde, hatte er sich vorgenommen, die Rolle eines Mahners nicht überzubewerten und stattdessen neben die Erinnerung an den Holocaust ein neues jüdisches Selbstbewusstsein zu setzen.

    "Das Erinnern an den Holocaust bleibt uns wichtig. Das ist ja Herzenssache. Aber daneben, glaube ich, müssen wir auch zeigen: Uns Juden gibt es nicht nur, weil wir Opfer sind. Sondern Judentum hat eine positive Tradition, transportiert über 100 Generationen, das ist, denke ich, etwas sehr Wertvolles und Einmaliges."

    Doch diese positive Dimension des Judentums der nicht-jüdischen Gesellschaft zu vermitteln, ist für den Zentralrat nicht ganz einfach, bekennt Benno Bleiberg. Der Berliner Rechtsanwalt war bis vor Kurzem Mitglied im Direktorium des Zentralrates.

    "Das Judentum missioniert ja nicht, von daher ist die Religionsausübung immer sozusagen intern. Man hat keine öffentlichen Prozessionen oder sonst irgendwas, was vielleicht bei der katholischen Religion ab und zu der Fall ist oder in dörflichen Gemeinschaften und so weiter. Man ist nach wie vor eine Minderheit, die Religion findet in der Synagoge statt und hat kaum Außenwirkung gegenüber Dritten oder gegenüber der Umwelt."

    Dennoch ist der Zentralrat stark auf Außenwirkung bedacht; denn er versteht sich als Interessenvertretung der Juden auf Bundesebene. Unter seinem Dach versammeln sich 23 Landesverbände mit insgesamt 107 jüdischen Gemeinden. Laut Satzung sind die Mitgliedsverbände und Gemeinden über eine Ratsversammlung an Beschlüssen des Zentralrates beteiligt, erklärt Generalsekretär Stefan Kramer. Ansonsten seien die Landesverbände autonom und achten auch auf ihre Unabhängigkeit.

    "Was allerdings nicht heißt, dass es nicht viele Leute gibt, die sagen, sie hätten ganz gerne einen Zentralrat, der als obere Institution alles lenkt, was in dieser jüdischen Welt läuft oder nicht läuft. So funktionieren wir nicht. Und im Grunde ist die Konstruktion, wie wir sie heute sehen, womit ein Staat arbeiten, kommunizieren kann, etwas völlig Künstliches, denn die jüdische Gemeinschaft kennt eigentlich diese Strukturen so nicht, wie wir sie, ich will schon fast sagen zur Perfektion, hier in Deutschland aufgebaut haben."

    Als einige Juden in Frankfurt am Main 1950 den Zentralrat gründeten, ging es ihnen vorrangig darum, gegenüber den staatlichen Behörden soziale Belange von Holocaustüberlebenden zu artikulieren. In den Folgejahren wurden jüdische Gemeinden dann meist in dem Selbstverständnis gegründet, den Juden in Deutschland bis zu ihrer späteren Emigration ein vorübergehendes religiöses Zuhause anzubieten. Doch Jahr für Jahr gab es mehr Juden, die in Deutschland bleiben und leben wollten, sagte Zentralratspräsident Dieter Graumann kurz nach seinem Amtsantritt.

    "Ich glaube, jüdisches Leben in Deutschland entwickelt sich, ich will nicht sagen, dass es blüht, aber es schreitet voran, viel mehr, als wir das vor 20, 30 Jahren hoffen konnten. Es gibt jüdisches Leben in vielen Orten, die über Jahrzehnte weiße Flecken auf der jüdischen Landkarte waren, überall in ganz Deutschland, und es wird blühen, da bin ich mir ganz sicher."

    Die dem Zentralrat angeschlossenen jüdischen Gemeinden sind den Kirchengemeinden rechtlich gleichgestellt und finanzieren sich analog der Kirchensteuer. Ihre Dachorganisation bezieht seit 2003 Gelder auf der Basis eines Staatsvertrages mit der Bundesregierung. Mit diesem Geld - es sind seit kurzem zehn Millionen Euro jährlich - wird nach Angaben von Generalsekretär Stefan Kramer nicht nur die Vertretung jüdischer Interessen nach außen finanziert. Gefördert werden unter anderem der Bau neuer Synagogen und Gemeindezentren, die Rabbinerausbildung und die Hochschule für jüdische Studien sowie eine Zentrale Wohlfahrtsstelle. Und außerdem, über Projektgelder, auch direkt das jüdische Leben in den Gemeinden vor Ort.

    "Das beginnt damit, dass wir zum Teil Seminare durchführen, wie wir zum Beispiel jüdische Kulturveranstaltungen vermitteln für die lokalen Gemeinden, dass wir Seminare anbieten für die lokalen Rabbiner, dass wir Kinderseminare durchführen, Ferienlager durchführen – also im Grunde so alles, was man sich vielleicht aus der christlichen Kirche auch vorstellen kann."

    Einer nicht-jüdischen Mehrheit die Lebendigkeit jüdischer Kultur und Religion möglichst umfänglich nahezubringen, wie sich Zentralratspräsident Dieter Graumann es vorgenommen hat, findet seine Grenze allerdings in der Mitgliederstärke der jüdischen Gemeinden. In den großen Gemeinschaften, etwa in Berlin, Frankfurt, München oder Hamburg, könnten die Juden natürlich den Reichtum jüdischer Kultur zeigen, meint Benno Bleiberg von der jüdischen Gemeinde in Berlin. Hier gibt es Synagogenkonzerte oder Klezmer-Abende, Ausstellungen mit jüdischen Künstlern oder einfach Gemeindefeste, auf denen Juden interessierten Besuchern Fragen zur Religion beantworten. Doch nach Ansicht des Berliner Rechtsanwaltes kann sich jüdische Kultur neben der Religion nur da entwickeln, wo tatsächlich eine größere Gruppierung von Juden vorhanden ist.

    "Aber wenn sie dann in eine hessische Provinz kommen, da sind sie überhaupt froh, wenn sie genügend Beter für die Synagoge haben, denn Sie wissen ja, ein Gottesdienst kann nur durchgeführt werden, wenn 's mindestens zehn Personen sind, je nachdem, ob sie dann orthodox oder liberal sind, Männer oder Frauen; bei den Orthodoxen halt nur Männer, ja. Und diese kleinen Gemeinden haben die größten Schwierigkeiten, diese Betergemeinschaft regelmäßig überhaupt zusammenzubekommen, damit das funktioniert."

    Selbst, wenn ein regelmäßiger Gottesdienst zustande kommt, ist es nicht immer leicht, ein aktives und vielgestaltiges Gemeindeleben zu organisieren, geschweige denn, nach außen zu vermitteln. Denn jüdischen Gemeinden in Deutschland fehlt die Jugend. "Zahlreiche Jugendliche wenden sich von den Gemeinden ab, sobald sie religionsmündig geworden sind", bedauert Benno Bleiberg.

    "Nachdem sie hier den jüdischen Kindergarten oder die jüdische Schule oder sonst was hier durchlebt haben, also die ganzen jüdischen Einrichtungen von denen sie auch profitiert haben durchaus. Insoweit haben wir tatsächlich so 'ne Struktur in den jüdischen Gemeinden von Kleinkindern und Leuten, die dann 50 und älter sind. Gerade so die mittlere Generation, die jetzt gut eben verdient, sind aus den Gemeinden ausgetreten, weil sie auch keine Gemeindesteuern zahlen wollen. Da fängt 's schon mal an!"

    Die weitaus größte Herausforderung der Zentralratsgemeinden liegt jedoch in der sozialen und religiösen Eingliederung von Juden aus den einstigen GUS-Staaten. Zwischen 1991 und 2005 sind mehr als 220 000 russischsprachige Juden nach Deutschland eingewandert. Nicht alle, aber viele haben sich in ihrer neuen Heimat jüdischen Gemeinden angeschlossen. Durch diesen Zuzug ist die Mitgliederzahl der Gemeinden innerhalb der letzten 20 Jahre von etwa 30 000 auf rund 110.000 angestiegen. Die Mitarbeiter in der Zentralen Wohlfahrtsstelle des Zentralrates bekamen reichlich zu tun. Und die Gemeinden vor Ort ebenfalls.

    In einem Hinterhofzimmer des jüdischen Gemeindehauses in Berlin Schöneberg befasst sich Eleonora Shakhnikova mit den Folgen der Zuwanderung für ihre Gemeinde. Sie selbst kam 1997 aus Sankt Petersburg nach Berlin und leitet seit mehr als 10 Jahren mit sanfter Zielstrebigkeit das Integrationsbüro der Berliner Juden.

    "Sie brauchen Unterstützung in ihrem alltäglichen Leben, ältere Leute, die leider bis jetzt ganz unsichere Deutschkenntnisse haben und mit den Behördengängen Probleme haben. Suche nach Arbeit, Suche nach Ausbildung, Suche nach Wohnung, Suche nach neuen Kontakten, Suche nach Unterhaltung, alles Mögliche, alles, was das Leben betrifft."

    Eleonora Shakhnikova vermittelt ihre Schützlinge in die Sprachkurse der jüdischen Volkshochschule, führt Ratsuchende in das deutsche Sozialsystem ein und zeigt Wege auf, wie sie sich selbst helfen können. Laut Satzung kann der Zentralrat diese Arbeit nur befristet, über Projektgelder, fördern. Aber das Wichtigste sei für Zentralrat und Gemeinde gleichermaßen die religiöse Unterweisung.

    "Leute, die aus der ehemaligen Sowjetunion gekommen sind, sie haben damit ein Problem. Früher konnten sie ihr Judentum in ihrem Heimatland nicht praktizieren. Hier haben sie diese Gelegenheit. Wir vermitteln die Kenntnisse über das Judentum. Alle alltäglichen jüdischen Fragen."

    Es sei in Russland extrem schwierig gewesen, die jüdische Religion zu praktizieren, erzählt die Bildhauerin Alla Krasnitskaya. Als die heutige Berlinerin in den 80er-Jahren an der Leningrader Kunsthochschule unterrichtete, musste sie erleben, wie zwei ihrer Kollegen entlassen wurden, weil sie am Tag des Tora-Freudenfestes getanzt hatten. Erst als Alla Krasnitskaya nach Deutschland kam und in Bad Godesberg die dortige Synagoge besuchte, hat sie verstanden, wie viel das Judentum ihr bedeutet.

    "Ich hab etwas Judentum noch mal gelernt und Talmud, Tora, wir haben gemeinsame Gespräche und dann wir haben bisschen denken, interessante philosophische Sachen, und das war so tief in Judentum, das war für meine Persönlichkeit nur Gutes, ja."

    Der Zuzug russischsprachiger Juden war aber nicht nur für die Migranten selbst ein Problem, sondern vielerorts auch für alteingesessene Gemeindemitglieder. So sind zum Beispiel die jüdischen Vorfahren des Berliners Arztes Jochen Palenker bereits vor mehr als 300 Jahren an die Spree gezogen. Ein Teil der Familie hat die Schoah überlebt und half nach dem Krieg, die jüdische Gemeinde zu Berlin wiederaufzubauen. Auch Jochen Palenker hat sich lange im Vorstand der Berliner Gemeinde engagiert. Die russischsprachigen Zuwanderer sind für ihn eine wichtige Bereicherung für das Gemeindeleben. Aber eine Herausforderung eben auch.

    "Es gab mal 'ne Zeit, da fühlte ich mich in der Gemeinde fremd, weil ich nicht russisch gesprochen habe. Das andere ist: Die Zuwanderer aus den GUS-Staaten kommen aus einem Land, in dem ihnen sehr viel Verantwortung für das eigene Leben abgenommen worden ist. Das führte aber auch dazu, dass sie ne Haltung haben zu erwarten, dass jemand für die immer alles regelt."

    Mitglieder der jüdischen Gemeinde zu Berlin berichten von jahrelangen heftigen Streitigkeiten zwischen russischsprachigen und alteingesessenen Gemeindegruppen. Mittlerweile ist die Berliner Einheitsgemeinde heillos zerstritten. Der Zentralrat mischt sich nicht ein, weil er satzungsgemäß die Autonomie der Gemeinden zu respektieren hat. Weitere Konfliktlinien verlaufen zwischen orthodoxen und liberalen beziehungweise Reform-Juden. Und zwar nicht nur, weil die liberalen im Gegensatz zu den orthodoxen Juden Thora und Talmud historisch-kritisch interpretieren, Musikinstrumente im Gottesdienst verwenden oder die Ordination von Frauen zulassen, sagt der liberale Jude Jochen Palenker. Der Berliner hat während seiner Zeit im Direktorium des Zentralrates etliche Kontroversen zwischen liberalen und orthodoxen Juden erlebt.

    "Es gibt natürlich Leute, die teilweise auch sehr wichtige Positionen im Zentralrat einnahmen, für die liberale Juden keine Juden waren. Die Toleranz, die von liberaler oder Reformjudenseite für alle möglichen Strömungen da sind, wird von orthodoxer Seite teilweise nicht so erwidert. Der entscheidende Punkt ist schon der, wie zum Beispiel Mittel vergeben werden. Da geht's natürlich einerseits um Einfluss, da geht's um öffentliche Präsenz, da geht's um Geld."

    Genauer gesagt: Es geht um eine gleichberechtigte Verteilung der staatlichen Fördermittel. Wer nach 1990 aus den GUS-Staaten nach Deutschland kam, sympathisierte in aller Regel mit dem liberalen Judentum. In den Synagogen traf er aber meistens nur orthodoxe Rabbiner an. Denn der von orthodoxen Juden dominierte Zentralrat hatte bis dahin nur die orthodoxe Rabbiner-Ausbildung gefördert. 2003, als der erste Staatsvertrag zwischen dem Zentralrat der Juden und der Bundesregierung ausgehandelt wurde, sollten nach der Vorstellung des Zentralrates die liberalen Gemeinden von der damals zugesprochenen Summe von drei Millionen Euro nichts erhalten. Der Streit eskalierte. Generalsekretär Stefan Kramer gibt zu, dass es zu der Zeit tatsächlich um eine strukturelle Ausgrenzung der liberalen Gemeinden ging.

    "In der Tat ist es so, dass der Zentralrat vielleicht ein bisschen zu lange gebraucht hat, um zu verstehen, dass hier auch 'ne Vermittlerrolle nötig ist. Zwei liberale Landesverbände in den Zentralrat zu integrieren, das war nicht leicht. Am Ende stand eine doch sehr einvernehmliche Lösung. Was nicht heißt, dass wir uns nicht heute auch immer noch manchmal streiten, aber das kommt auch in den besten Familien vor."

    Inzwischen kommen den liberalen jüdischen Gemeinden gleichberechtigt Projektgelder des Zentralrates zu Gute, nach langem Streit wird auch das liberale Rabbinerseminar finanziert. Aber die Zeit der Verteilungskämpfe ist noch nicht vorbei. Die rasch wachsende strenggläubige jüdische Organisation Chabad Lubawitsch, die nicht Mitglied der Berliner Einheitsgemeinde ist, steht schon vor der Tür des Zentralrates. Ihr Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal begründet sein Anliegen mit der Aufgabe des Zentralrates, Juden unterschiedlicher Glaubensrichtungen ein religiöses Leben zu ermöglichen.

    "Bis jetzt hat Chabad keine finanzielle Unterstützung bekommen von dem Geld, das zur Verfügung steht für jüdisches Leben. Wir haben uns an den Zentralrat gewandt, weil unsere Rabbinerausbildung bis jetzt noch nicht finanziell unterstützt wurde vom Zentralrat. Aber wir sind in guten Gesprächen und wir sind zuversichtlich, dass es auf eine positive Art und Weise zu einem guten Ergebnis kommen wird."

    Der Zentralrat der Juden in Deutschland ist keine religiöse Organisation, sondern eine quasi politische Vertretung. Seinen Repräsentanten war es immer wichtig, die Einheit der Juden in der Bundesrepublik zu wahren. Da die innere Vielfalt des Judentums in Deutschland wächst, steigen auch die Anforderungen an den Zentralrat. Dessen Arbeit sei ein ständiger Spagat, ein Kraftakt, den eine kleine engagierte Gruppe meist ehrenamtlich arbeitender Menschen täglich leiste, urteilt der Berliner Jude Benno Bleiberg. Er jedenfalls mag dem Zentralrat kein schlechtes Zeugnis ausstellen.
    "Wo ich mir vielleicht Verbesserung wünschen würde, ist, vielleicht auch mal ein kritisches Wort zur Israel-Politik und dass das nicht nur alles intern gemacht wird. Ein paar Details hat man immer, wo man sagt, also nein, also, da hat sich wieder Eitelkeit durchgesetzt oder dies oder jenes, aber man ist nach wie vor hier eine Minderheit, man muss Interessenvertretung betreiben, und im Großen und Ganzen macht der Zentralrat seine Arbeit vernünftig."

    Zur Sendung "Aus der jüdischen Welt" (Deutschlandradio Kultur)