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Zwischen sozialer Verantwortung und Share-Holder-Value

Der Manager von heute ist unmoralisch, gierig und überbezahlt, so lautet ein oft gehörtes Vorurteil. Er hat den "Rheinischen Kapitalismus" längst vergessen. Tatsächlich zeigen Studien, dass sich die soziale und moralische Einstellung der jüngeren Manager verändert hat. Die alten Prinzipien sind einer ambivalenten Haltung gewichen.

Von Martin Hubert | 12.04.2012
    "Der Managertyp war ja nicht immer nur ein Manager, sondern auch ein traditioneller Unternehmer, also ein Familienunternehmer häufig."

    Peter Imbusch ist Soziologie an der Bergischen Universität Wuppertal. Er hat in mehreren Studien und Befragungen untersucht, wie sich die Kultur vor allem der leitenden Industriemanager seit den 50er-Jahren entwickelte.

    "Dieser Manager und auch der klassische Familienunternehmer waren ja häufig patriarchalisch, paternalistisch, das darf man nicht verkennen, in den fünfziger, sechziger Jahren ohnehin. Mit klarem hierarchischen Denken und auch mit Anspruch aber, die Elite in der Gesellschaft zu verkörpern. Das bedeutete allerdings auch eine gewisse Sorge für das Unternehmen, eine Verantwortung für das Unternehmen und zwar nicht nur für die Mitarbeiter nur des Unternehmens und für das Unternehmen selbst, sondern auch für das gesellschaftliche Umfeld, für den Ort. Man fühlte sich in einem Ort verwurzelt, und hat auch für den Ort etwas getan und für die Stadt etwas getan und ist so seiner sozialen Verantwortung auch nachgekommen."

    "Der Humanist, glaube ich, der lernt sehr früh die Frage zu stellen: Warum? Wieso? Mit welchem Zweck?"

    Selbstbeschreibung eines Vorstandsvorsitzenden aus der Nachkriegsgeneration im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie.

    "Also das muss ich selbst in Frage stellen: Was bist du, was ist eigentlich dein Job, was ist deine Aufgabe' Was erwarten die Mitmenschen von dir' Und da habe ich mir gesagt: Mensch, du musst Nutzen stiften. Du musst deinen Mitarbeitern, der Umwelt, der Firma, den Kunden einen Nutzen stiften. Ich muss den Mitarbeitern in der Firma das Gefühl geben, dass es ein Stück Heimat ist. Er muss sich da wohl fühlen."

    Der Heidelberger Soziologe Markus Pohlmann hat ausführliche Interviews mit Topmanagern aus der Industriebranche geführt. Mit älteren, die in Zeiten des Wirtschaftswachstums ihre Karriere begannen, und mit jüngeren, die heute am Ruder sind. Bei den älteren fand Pohlmann eine enge Verbindung zwischen wirtschaftlichem Denken, Fortschrittsglauben und Moral. Er spricht von einer "Moralischen Ökonomie".

    "Wirtschaften selbst bedeutete für sie moralisches Handeln. Und zwar deswegen, das ist das gängige Argumentationsmuster, weil der wirtschaftliche Fortschritt auf der einen Seite eben eine Verbesserung der Lebensbedingungen beinhaltete, auch weltweit, und zweitens, weil praktisch in dieser moralischen Ökonomie auch die Verbesserung, ich sage mal, der Arbeitsbedingungen und der Entscheidungsbedingungen, also eher liberalere Führungsstile usw. deutlich als etwas gesehen wurde, was insgesamt einer Verbesserung dienlich war."

    Liberaler und moralischer wollte man vor allem im Vergleich zur autoritären Führungskultur in der nationalsozialistischen Wirtschaft sein. Ziel war es auch, die alten Klassengegensätze zu befrieden, indem man den sogenannten Sozialpaktprinzipien gehorchte.

    "Sozialpaktprinzipien bedeutet, dass auf die Belange der Beschäftigten und auch der Mitbestimmungsagenturen, Betriebsräte, auch aber auch natürlich mit einer Reflexion auf gewerkschaftliche Belange, dass dies immer fest mit ins Kalkül gezogen wird. Und natürlich gibt es da genauso Versuche, die Gegenseite über den Tisch zu ziehen, aber es gibt sozusagen ein implizites Einverständnis, eine Vorstellung, dass man doch gemeinsam in einem Boot sitzt und eben auch darauf achten muss, dass es nicht zu ungerecht wird."

    "Mein Job ist, für Aufträge zu sorgen, aber nicht Kosten abzubauen. Ich muss Erlöse reinbringen, dann kann ich mir auch Kosten leisten."

    Aussage eines Vorstandsvorsitzenden aus der Nachkriegsgeneration in einer Studie.

    "Wir haben nicht lange um Stellen hinter dem Komma rumgestritten. Oder wenn es ums Weihnachtsgeld ging und der Betriebsratsvorsitzende kam und sagte: "Sagen Sie mal, können's denn net heuer ein paar Mark mehr sein'" Da musste man auch den Mut haben zu sagen: "Nicht ein paar Mark mehr, heuer gibst das Doppelte." Wir haben mit denen einen Deal gemacht: Ja, die haben es ja auch verdient. Die haben es mit verdient. Insofern entstand da so ein, eine Art Korpsgeist."

    Natürlich ging es nicht immer so harmonisch zu. Aber dieses korporativistische Leitbild war politisch gewollt und gesellschaftlich so stark verankert, dass ein einzelner Manager ihm kaum zuwider handeln konnte. Für die Politikwissenschaftlerin Saskia Freye von der Ruhr-Universität Bochum verstärkten weitere Faktoren die soziale und unternehmerische Bindung des Managers.

    "Es wird vielfach darauf hingewiesen, dass er vor allem einen technischen Fachhintergrund hat, also meistens eine betriebliche Ausbildung, auch Hauskarriere gemacht hat, also im Unternehmen selbst aufgestiegen ist, meistens in einem Ressortbereich, also Kaminkarriere, von unten bis ganz nach oben aufgestiegen ist, spät berufen wird, also erst in relativ hohem Alter berufen wird im Vergleich mit anderen Ländern, dafür dann aber eine sehr lange Amtsdauer, lange Amtszeiten hat, also sehr lange in der Position verharrt. Und wenn man sich anschaut, aus welchen Bereichen eigentlich die Vorstandsvorsitzenden rekrutiert wurden, dann waren das häufig die Produkt- oder Entwicklungsvorstände."

    Typisch für den rheinischen Kapitalismus war auch, dass die Finanzmarktakteure bei Weitem noch nicht die starke Position hatten wie heute.

    "Es war die Rolle des Kreditgebers, aber natürlich des interessierten Kreditgebers, also jemand, der durchaus Einfluss genommen hat auf die strategische Ausrichtung, aber es ging eben nicht darum, dass jedes Vierteljahr ein Bericht publiziert werden musste, in dem sich das Unternehmen messen lassen musste. Insofern: Die Rahmenbedingungen waren solche, in denen Manager auch Strategien entwerfen konnten, die auf einen längeren Zeitraum hin geplant waren. Und das sieht man auch in den Karrierewegen ganz schön, weil die Manager eben längere Amtszeiten hatten, entspannter in gewisser Weise führen konnten. Das hat mit Sicherheit auch etwas damit zu tun, dass die Vorstände anders organisiert waren als sie es heute sind, eben sehr viel stärker ein Kollektivgremium waren, das gemeinsame Entscheidungen gefällt hat und weniger auf die herausgehobene Position des Vorstandsvorsitzenden ausgerichtet waren."

    Goldene Zeiten? Im Rückblick mag es tatsächlich so erscheinen. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass damals historische Sonderbedingungen herrschten. In den Wiederaufbaujahren nach dem Krieg war die Binnennachfrage groß. International gesehen gab es noch keinen scharfen Konkurrenzkampf mit aufstrebenden Schwellenländern. Die Finanzmärkte hatten sich noch nicht gegenüber dem sonstigen Wirtschaftsleben verselbstständigt. Der wirtschaftliche Krisenzyklus lief auf Sparflamme. Insofern war es auch leichter für Manager, einer sozialen Moral zu huldigen.

    "Ich würde akzeptieren, wenn ein Vorstand das Doppelte oder das Dreifache verdient."

    Bekenntnis eines Vorstandes aus der Nachkriegsgeneration.

    "Wenn er aber das Zehnfache verdient, fängt es an, unanständig zu werden."

    Zwei Entwicklungen sorgten dann dafür, dass das in Deutschland besonders enge Band zwischen Moral und Ökonomie allmählich gelockert wurde. Die erste vollzog sich in den 60er und 70er-Jahren und trägt den Titel "Professionalisierung". Saskia Freye:

    "Professionalisierung hat insofern stattgefunden, als dass wir sagen können: Manager wird auch in Deutschland zunehmend zu so etwas wie ein eigenständiger Beruf. Das war in den angelsächsischen Ländern schon früher der Fall, dass Manager selber nicht einfach nur eine Bezeichnung war für einen Vorgesetzten, sondern das war ein eigener Karrierepfad quasi. Also wir haben sehr viel kürzere Karrierewege, die Manager sind viel schneller in leitenden Positionen als sie das noch früher waren, die erklimmen in jüngerem Alter zum ersten Mal einen Vorstandsvorsitz eines Unternehmens, sie kommen auch zunehmend früher in die Top-50- Unternehmen in den Vorstand beziehungsweise den Vorstandsvorsitz, allerdings verkürzten sich auch die Amtszeiten deutlich seit den neunziger Jahren."

    Die Manager waren von nun an seltener Ingenieure oder Naturwissenschaftler, sondern hatten Betriebswirtschaft, Volkswirtschaft oder Organisationswissenschaften studiert. Die zweite neue Entwicklung ist die Globalisierung der Wirtschaft seit den 80er-Jahren, die mit dem neoliberalen Denken und der Orientierung am Shareholder Value verbunden ist. Unternehmen konkurrieren international um Märkte und Standorte, die staatliche Regulierung der Märkte wird abgebaut, Finanzmärkte und Börsen gewinnen an Gewicht. Was sind die Folgen' Hat das tatsächlich zum global entfesselten Manager geführt, wie er öfter in den Medien beschrieben wird, der ohne Bindung und frei seine Geschäfte dort macht, wo es am lukrativsten ist? Markus Pohlmanns Meinung dazu: Ja und Nein.

    "Also ja in Bezug auf die globale Orientierung der Unternehmen, nein - und das ist ein interessanter Punkt aus unserer Forschung - nein in Bezug auf die Karrieren selbst. Bei den Topmanagern von Industrieunternehmen in Deutschland sind die meisten Karrieren national geprägt, das heißt: heute gehört es für die Karrieren zum guten Ton, ein, zwei oder drei Jahre im Ausland verbracht zu haben, und dort eine Aufgabe übernommen zu haben, aber danach wird der Karrierepfad im heimischen Unternehmen weiter beschritten. Und die meisten Unternehmen rekrutieren auch für Vorstandsvorsitzpositionen, wenn keine Fusionen im Spiel sind, Insider, das heißt, die haben einen großen Teil ihrer Karriere in einem Unternehmen verbracht. Und das ist auch wichtig, wenn man sich die Karrierepfade anschaut, weil man eine solche Karriere im Regelfall nicht alleine macht, sondern in Form von Seilschaften, von wechselseitigen Unterstützungsnetzwerken, wo man nach oben sich bewegt und der eine zieht den anderen nach, das ist so das typische Muster."

    Topmanager scheinen also nicht so flexibel und mobil zu sein, wie es häufig von den Arbeitnehmern gefordert wird. Markus Pohlmann hat diesen Trend für Europa insgesamt ausgemacht - mit Ausnahme Englands. Bedeutet das, dass sich zumindest in Industrieunternehmen eine nationale Managerkultur erhält, die dem Druck eines entfesselten globalen Kapitalismus Widerstand leistet?

    "Also ich glaube, es gibt beides. Es gibt dieses widerständige Element, was relativ stark gemacht wird. Es gibt aber auch natürlich die Manager, die ich sag ich mal, in einer Interessengemeinschaft mit institutionellen Anlegern, die ja beim Finanzmarktkapitalismus eine größere Rolle zu spielen beginnen, die in dieser Interessengemeinschaft auch dafür sorgen, den Börsenwert des Unternehmens zu steigern und dabei eben auch Maßnahmen ergreifen, die typisch sind für das, was man mit dem Finanzmarktkapitalismus verbindet."

    "Es ist erschreckend, welch' geringen Stellenwert Moral bekommen hat."

    Kommentar eines Vorstands der Nachkriegsgeneration über aktuelle Entwicklungen.

    "Das hängt mit diesem Shareholder-Value-Denken zusammen, frei nach dem Motto: "Bereichere dich so gut, wie du kannst." Dass Firmenlenker heute ihre Aktienwerte anpreisen müssen wie die Jahrmarktschreier, und dass es dabei geradezu als schick gilt, über der Moral zu stehen, ist nicht zu verstehen. Alle wissen, dass die Gesellschaft kaputt geht, wenn wir nicht die Moral akzeptieren."

    "Also es gibt auf jeden Fall Fraktionen, das kann man feststellen. Wie stark die miteinander kämpfen, ist leider nicht Teil unserer Untersuchung gewesen, das heißt, darüber kann man nur spekulieren, aber ich vermute schon, dass diese Kämpfe stattfinden und eine entsprechende Rolle spielen, aber ich glaube nicht, dass praktisch die Auswirkungen des Finanzmarktkapitalismus so stark sind, wie wir es derzeit in der Presse geschildert finden. Aber das kann auch ein "Noch nicht" sein."

    Dass sich jedoch die soziale und moralische Einstellung der jüngeren Manager bereits verändert hat, zeigen Markus Pohlmanns Studien deutlich. Die alten, festen Prinzipien sind einer ambivalenten Haltung gewichen. Zwar werden moralische Werte nicht völlig negiert, aber das ökonomische Leistungsprinzip ist nun auch in ethischen Belangen zumindest gleichrangig.

    "Das Aufheulen um Zumwinkel, ich meine, das ist in Ordnung. Es ist falsch, was da gelaufen ist."

    Aussage eines Vorstandmanagers der jüngeren Generation zu den Steuerhinterziehungen des ehemaligen Chefs der Deutschen Post, Klaus Zumwinkel.

    "Aber wenn man sich überlegt: Es geht um eine Million Euro an Steuern für einen Menschen, der in seinem Berufsleben Tausende von Arbeitsplätzen geschaffen hat. Trotz der Tatsache, dass er auch abgebaut hat: Er hat das Unternehmen zu einem der leistungsfähigsten Unternehmen in Europa gemacht, im Vergleich. Und der wird jetzt abgeschlachtet. Noch mals, keine Frage: falsch, das muss verurteilt werden. Aber die Relationen stimmen da nicht."

    Markus Pohlmann spricht von einer relativistischen Moral der jüngeren Manager. Und von einem Trend zu einer "organisierten Moral". Diese ist weniger eine innere Überzeugung als ein notwendiger Bestandteil moderner Unternehmensorganisation. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace oder Transparency International Unternehmen ständig beobachten und Verstöße gegen Umweltschutz, Arbeits- oder Korruptionsstandards offenlegen.

    "Das heißt Moral, die Berücksichtigung moralischer Risiken, ist eine Frage des Wirtschaftens geworden und wie dies Unternehmen aufgestellt ist. CSR, also Corporate Social Responsibility hat sich verbreitet, es gibt Compliance-Abteilungen, Wertemanagementsysteme. Was immer sie nutzen mögen,sie zeigen an, dass die Topmanager, die das auch zur Chefsache gemacht haben, sich sehr stark dieser Risiken bewusst sind, sodass das einfach zunehmend zu einem Kalkül des Wirtschaftens geworden ist. Sozialpaktprinzipien, also ich rede hier über die Generation der 1955 bis 1965 geborenen, finden sich bei den jüngeren, derzeit amtierenden Manager weniger."

    "Die Firmen sind Apparate geworden. Die Manager in den Firmen sind keine charismatischen Persönlichkeiten mehr, sie sind vielfach von ihrem System getrieben."

    So formuliert es ein Manager selbst. Auch Soziologe Peter Imbusch hat festgestellt, dass moralische und soziale Kriterien zu einem instrumentellen Werkzeug der Organisation oder einem schmückenden Beiwerk verkommen sind.

    "Das alte Modell war sozusagen ein obligatorisches Modell, da gab es starke moralische Bindungen und Verpflichtungen, soziale Verantwortung wahrzunehmen. Heute, bei der neuen Art des Kapitalismus und des Managertyps, haben wir dagegen so ein eher angelsächsisches Modell, ein freiwilliges Verständnis: man will ja was machen, man macht was, aber man möchte auf keinen Fall mehr gezwungen werden. Also dieses verpflichtende Modell war eher ein Modell der Brüderlichkeit, wie es in Frankreich oder Deutschland eben gang und gäbe war. Das neue Modell ist eher so ein Modell des Mitleids oder Mitgefühls, von Charity, wie man es aus den USA kennt, also da machen auch ganz viele was, geben Geld, aber es ist eben freiwillig."

    Fazit: Die Entwicklung der Managerkultur ist vor allem auch in Deutschland nicht völlig widerspruchsfrei und ungebrochen. Aber der Trend geht doch dahin, dass sich die angloamerikanische Variante des Managertums auch im Denken immer mehr durchsetzt. Im Finanzbereich ist das besonders deutlich. Das stellte Peter Imbusch fest, als er bei einigen Bankmanagern nachfragte, ob denn die gegenwärtige Krise ein Umdenken bewirkt habe.

    "Ja, es gibt einen Krisenschock, aber der scheint bei manchem Manager nicht angekommen zu sein. Also das vorherrschende Bewusstsein ist, es gibt so eine Art Verantwortungsdiffusion: Wir sind nicht alleine schuld, wir waren nicht die schlimmsten, wir können uns gar nicht erklären, warum unsere tollen Finanzinstrumente, die wir uns ausgedacht haben, in die Krise geführt haben. Es wird auch teils geleugnet, dass ihre Produkte mitbeteiligt waren. Und es ist nur ein ganz, ganz geringes Umdenken zu verzeichnen, dass mit diesen Instrumenten heute auch anders umgegangen werden muss, als in früheren Zeiten."