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Zwischen Südstaaten-Luder und Grande Dame

Im kollektiven Gedächtnis ist Vivien Leigh verankert als Scarlett O’Hara in "Vom Winde verweht". Doch die vielseitige Leigh war auch eine der besten Shakespeare-Darstellerinnen ihrer Zeit, gewann zwei Oscars und feierte am Broadway Triumphe.

Von Katja Nicodemus | 05.11.2013
    In ihrer ersten Rolle als Scarlett O’Hara wird sie tatsächlich auf ihren Ruf pfeifen – ist stürmisch, durchtrieben, ausschweifend und selbstzerstörerisch. In "Gone with the Wind" spielt Vivien Leigh das verführerische Südstaaten-Luder mit der ihr eigenen Mischung aus Verletzlichkeit und Verpanzerung. Im pompösen Musselinkleid rauscht sie auf der Leinwand durch den Ball der Plantagenbesitzer, flirtet mit allen und interessiert sich für keinen.

    Vivien Leigh ist 26 Jahre alt, als sie mit David O.Selznicks Bürgerkriegsepos nach dem Roman von Margaret Mitchell schlagartig zur damals berühmtesten Schauspielerin der Welt wird. Und genau wie die katzenhafte Scarlett mit den grünen Augen scheint auch Leigh alles zu bekommen, was sie sich in den Kopf setzt: Die Rolle, um die sich Hunderte Konkurrentinnen beworben haben und den Mann ihres Lebens, der in der Wirklichkeit nicht Rhett Butler, sondern Laurence Olivier heißt. Gerade hat der britische Theaterstar für sie seine Familie verlassen. Auch Vivien Leigh trennt sich von Mann und Kind, um in die andere Welt zu wechseln. Die Welt der glanzvollen Liaison zweier Darsteller, die Welt der großen gemeinsamen Bühnenauftritte und des Oscars für Leigh und ihre Scarlett O’Hara.

    Vivien Leigh, geboren am 5. November 1913 im indischen Darjeeling, wächst wie eine Prinzessin auf: In luxuriösen Verhältnissen, mit Chauffeur und Dienern. Als Sechsjährige wird sie in eine englische Klosterschule gegeben. Als sie 13 ist, reisen ihre Eltern mit ihr durch Europa. Eine Weile geht Vivien Leigh auch auf eine deutsche Schule:

    "Ich bin im Jahre 1930 nach Deutschland, nach Bayern gekommen. Ich sollte nur sechs Monate bleiben. Aber es hat mir so gut gefallen, dass es 18 Monate geworden sind."

    Polyglott, gebildet, geistreich – Vivien Leigh wird als höhere Tochter erzogen. Doch mit 18 Jahren möchte sie Schauspielerin werden und beginnt ihr Studium an der Londoner Royal Academy of Dramatic Art. Nach ihrer kurzen Ehe mit einem zwölf Jahre älteren Anwalt pfeift sie auf das Leben der Frau, die nur ihren standesgemäßen Ernährer ziert.

    In Laurence Olivier verliebt sie sich, als sie ihn zum ersten Mal auf der Bühne sieht. Ein Traumpaar, symbiotisch verbunden im Beruf wie im Leben? Es mag wie ein Klischee klingen, doch die Wirklichkeit hinter der glanzvollen Fassade sieht dramatisch anders aus. Vivien Leigh raucht und trinkt zu viel. Sie leidet unter manisch-depressiven Stimmungsschwankungen, unter einer Tuberkulose, die nie ganz verheilt. Ihre Rollen spiegeln diese fiebrige Intensität und untergründige Verzweiflung. In ihrer 1952 mit einem weiteren Oscar belohnten Darstellung der Blanche Dubois in Elia Kazans Verfilmung von "Endstation Sehnsucht" ist er buchstäblich auf der Leinwand zu sehen: der Riss, der den Blick in den Abgrund frei gibt.

    "Ich war nie hart genug für diese harte Welt. Zarte Menschen sind gezwungen, um die Gunst der Starken zu weben, Stella. Ihre Schwäche muss ihre Stärke sein. Ich weiß nicht, wie lange ich meinen Zauber noch ausüben kann."

    1961, mit 48 Jahren, spielt Vivien Leigh in "Der römische Frühling der Mrs. Stone" eine reiche Schauspielerin, die sich in einen viel jüngeren Gigolo verliebt. Sie wirkt hart auf der Leinwand, und ihr Sarkasmus hat etwas faszinierend Verstörendes. Sie sei nie geliebt worden, vertraut sie hier einer Freundin an, und wenn, dann für ihre Rollen und nie um ihrer selbst willen.

    Nach 20 Jahren Ehe lässt sich Laurence Oliver von seiner Frau scheiden. Vivien Leigh kämpft weiter gegen ihre Dämonen. Sie begibt sich in eine zweifelhafte Elektroschockbehandlung, spielt gleichzeitig die kraftraubende Hauptrolle in dem Broadwaymusical "Tovarich", singt und tanzt, trotz ihrer wieder aufflackernden Tuberkulose.

    In diesem Charleston ist alles zu spüren: Leighs überschäumender Lebensdurst und ihre Verwundbarkeit, die Intensität einer Darstellerin, die gar nicht anders konnte als ihre Zerrissenheit mit in ihre Rollen zu nehmen.

    Am 8. Juli 1967, mit nur 53 Jahren, wird Vivien Leigh tot in ihrem Schlafzimmer gefunden. Auf ihrem Nachttisch steht ein Foto von Laurence Olivier.