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Zwischen Ulknummer und Regietheater

Sie lauschen gebannt dem gestiefelten Kater, Aschenputtel oder Hänsel und Gretel. Schon früh werden die Kleinen an die Welt der Oper herangeführt. Auf manchen Bühnen wird dem Nachwuchs dabei für wenig Geld so einiges Geboten.

Von Christoph Schmitz | 27.12.2010
    Das Beste an Opernaufführungen für Kinder ist die Nähe der Sänger und Musiker zum Publikum, sofern in den Foyers und auf den Probebühnen der Häuser gespielt wird. Dort ist die Musik gewissermaßen mitten unter den Kindern, dass man fast ohne Bühnenbild und Verkleidung auskommen könnte, wenn denn der Gesang stimmt und die kleinen Ensembles anständig musizieren, was auf zahlreichen Stadt- und Staatsbühnen die Regel ist. Gebannt lauschen die Kinder den gestiefelten Katern, Müllerssöhnen, Aschenputteln, Taminos und Hänseln und Greteln, ihren Ängsten, Sehnsüchten, Hoffnungen und ihrer Klugheit und ihrem Witz. Die Unmittelbarkeit des Klangs und der vibrierenden Sängerkörper lässt das Gefühlskraftwerk Oper wie eine Wärmelampe strahlen. Mit wenig Geld ist hier viel zu bieten. Deswegen sollte erst gar nicht versucht werden, den Eindruck einer Illusionsbühne erwecken zu wollen, wenn der Etat allzu mager ist, denn sonst wirkt die Kulisse schnell dilettantisch, so an der Deutschen Oper in Berlin.

    Für die Adaption von Engelbert Humperdincks "Hänsel und Gretel" für die "ganz Kleinen", wie es im Spielplan der Deutschen Oper heißt, wurden um eine erhöhte Fläche im Foyer Tannenbäume im Spalier hingestellt, eine Lichterkette hineingehängt und ein Backofen daneben postiert. Im tristen Ambiente steht ein alberner Fliegenpilz und versucht die Geschichte moderierend an die Mädchen und Jungen zu bringen. Die Kostüme der tadellosen Sänger entsprechen mit Lederhose, Dirndl und Hexengewand dem Märchenklischee. Verstaubt wirkt das alles und etwas lieblos, als nehme man es bei der Kinderoper nicht so genau. Anders bei der Kölner und Düsseldorfer Kinderoper. Im Kölner Ausweichquartier, einer Studiobühne im Alten Pfandhaus, reisen die Brüder Grimm aus dem 19. Jahrhundert in die Gegenwart, um herauszufinden ob das märchenhafte Wünschen immer noch hilft. Dabei stoßen sie auf eine altbekannte Mobbinggeschichte, die bei den Grimms damals noch "Aschenputtel" hieß. Die nachromantischen Komposition von Ermanno Wolf-Ferrari aus dem Jahr 1900 spielen Mitglieder des erstklassigen Gürzenich-Orchesters.

    Vortrefflich sind die jungen Nachwuchssänger, die die Geschichte von Verachtung, Ausgrenzung und Liebesglück auf anrührende Weise darstellen. Wenige Requisiten genügen, um die Aktualisierung des Stoffs in unserer Zeit sinnfällig zu machen. Zugleich blendet die Inszenierung die Märchenwelt nicht aus, indem König und Prinz wie aus einer anderen Sphäre in die miserable Wirklichkeit der Titelheldin treten. Ein kleiner Wermutstropfen hier und in anderen Kinderopern: die mangelnde Textverständlichkeit mancher Sänger, was, anders als bei der Erwachsenenoper, nicht durch Übertitelung ausgeglichen werden kann.

    In Düsseldorf geht man nicht den Weg der Aktualisierung, um die Kinder ins Geschehen hineinzuziehen. Die Bearbeitung von Mozarts "Zauberflöte" präsentiert zwar zu Beginn zwei Bauarbeiter von heute. Sie werden aber von der Königin der Nacht verhext und in die Märchenwelt der Oper geschleust, um als Tamino und Vogelfänger Pamina aus Zarastros Reich zurückzuholen.

    Die Bühnenelemente im Foyer verwandeln sich mit guter alter Handwerkskunst mehr und mehr in eine bunte Fantasiewelt. Die Dramaturgie von Mozarts Singspiel leidet allerdings unter der spröden Adaption. Auch die angelegte Zwiesprache mit den Kindern will nicht so recht gelingen. Überhaupt ist es ja ein heikles Unterfangen, wenn Inszenierungen mit Kindern in einen Dialog treten möchten. Die Reaktionen der Kinder sind nur schwer zu kalkulieren. Mit ihrer Spontaneität auf der Bühne produktiv umzugehen, ist eine hohe Kunst, die nur wenige beherrschen. Die Staatsoper Unter den Linden in Berlin schafft es. Sie geht die Kommunikation subtil an, in dem sie die Kinder im "Gestiefelten Katers" an einigen Szeneelementen mitwirken lässt. Und sie verzichtet auf einen pädagogischen Cicerone, der das junge Publikum in und durch die Spielwelt begleitet, denn hier ist alles Spiel. Bühnenarbeiter oder Mitarbeiter an einem Filmset inszenieren wie zum Vergnügen in ihrer Pause das Märchen, swingen sich gewissermaßen ein in diese Oper und spielen und singen die Rollen selbst. Und doch entfaltet die Märchenoper des russischen Komponisten César Cui von 1918 ihren ganzen Zauber und ihre Ermutigung, seines Glückes eigener Schmied zu sein.

    Diese Produktion für die Probebühne des Schiller Theaters ist hinsichtlich Inszenierung, Dramaturgie, Personenführung und Integration der Kinder eine der gelungensten und anspruchsvollsten Arbeiten. Der künstlerische Theaterzugriff agiert ganz und gar frei von vermeintlichen Zwängen einer kindgerechten Ästhetik und agiert doch nicht am Publikum vorbei. So muss es sein.