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Zyprer könnten Staatsbankrott bevorzugen

Bei der Zypernrettung sollen erstmals die Ersparnisse der Bankkunden angetastet werden. Aus Sicht von Hubert Faustmann, Politikwissenschaftler und Dozent an der Universität Nikosia, eine gefährliche Entscheidung. Sollten Großinvestoren und Sparer ihre Konten räumen, "dann gehen hier auf Zypern brutalst die Lichter aus."

Hubert Faustmann im Gespräch mit Sandra Schulz | 19.03.2013
    Sandra Schulz: Es ist ja ein Novum: Zum ersten Mal sollen auch Sparer zur Kasse gebeten werden. Es geht um die Rettung des finanziell angeschlagenen Eurolandes Zypern. Jetzt haben die Euro-Finanzminister verabredet, dass Nikosia einen doch größeren Spielraum bekommen soll, um Kleinsparer zu schonen. Vermögen bis 20.000 Euro sollen wohl unangetastet bleiben. Trotzdem geht die Hängepartie weiter, denn ob das Rettungspaket eine Mehrheit bekommt im zyprischen Parlament, das ist weiterhin ungewiss. Für den Abend ist die Abstimmung angesetzt.
    In Nikosia haben wir Hubert Faustmann erreicht, Politikwissenschaftler und Dozent an der Universität Nikosia. Guten Tag!

    Hubert Faustmann: Ja schönen guten Tag.

    Schulz: Das klingt ja etwas rätselhaft. Was für einen Plan B könnte Anastasiades meinen?

    Faustmann: Das ist eine sehr gute Frage. Ich weiß, dass Anastasiades in Gesprächen mit Angela Merkel, aber auch mit Putin in Russland stand, und für mich war diese Information jetzt auch neu. Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, dass dann Russland in der letzten Minute Gelder zuschießt, die diesen Kredit überflüssig oder zumindest teilweise überflüssig machen. Aber das ist reine Spekulation. Bis jetzt geht man davon aus, dass die Ablehnung dieses Gesetzes Zypern direkt in den Staatsbankrott führt, wenn die Europäische Union nicht dann plötzlich auf einmal noch mal neu verhandelt.

    Schulz: Gelder zuschießt, sagen Sie. Könnte es da auch um eine zyprische Gegenleistung gehen? Es ging ja wohl auch um Rechte für Gasbohrungen?

    Faustmann: Kurzfristig keinesfalls, weil da laufen Lizenzierungsverfahren und bis jetzt haben die russischen Firmen keine einzige Lizenz bekommen. Das ist jetzt reine Spekulation, was da als Gegenleistung laufen wird. Natürlich hat Russland auch ein Eigeninteresse, Zypern als Finanzstandort sich zu erhalten – nicht unbedingt Putin, der das ganze sehr kritisch sieht, weil es ja auch aus russischer Sicht Leute sind, die in Russland nicht ihre Steuern zahlen, aber ich glaube, er hat auch nicht mit der Entscheidung der EU in dieser Form gerechnet, und jetzt scheint hier einiges an last minute chaospolitischen Aktionen zu laufen, die unheimlich schwierig vorherzusagen sind. Was da an Gegenleistungen eingefordert werden könnte, ist spekulativ. Wenn, geht das sicher in den Gasbereich, aber das muss man abwarten. Das ist reine Spekulation in diesem Moment.

    Schulz: Wenn wir jetzt auf die Verabredungen aus den letzten Tagen schauen, dann sind ja jetzt doch offenbar Privilegierungen für Klein- oder Kleinstsparer in Planung. Warum ist der Widerstand trotzdem so groß?

    Faustmann: Ich denke, dass die Wahrnehmung die falsche ist. Es geht darum, dass diese Bestimmungen Zypern als Finanzstandort zerstören, weil sie das Vertrauen der Großanleger, die jetzt geschröpft werden – aus Gründen, die man sehr gut verteidigen kann -, einfach erledigen. Und wenn diese Investoren ihr Geld aus Zypern abziehen, dann ist Zypern wirtschaftlich erledigt. Das heißt, der Schaden ist ohnehin schon getan. Die Wirtschaftsgrundlage Zyperns ist potenziell zerstört durch diesen Beschluss, und deswegen hat man die Leute in eine Ecke getrieben, in der es sogar denkbar ist, dass sie eben den Staatsbankrott oder irgendeine Überraschungslösung diesem Halb-Harakiri, das man ihnen da zumutet, vorziehen.

    Schulz: Also das Problem sind gar nicht die Kleinanleger, sondern die Großanleger?

    Faustmann: Das Problem sind die Großinvestoren, weil Zypern einfach über diese Großinvestoren ein Gutteil seiner Einnahmen generiert und seines Lebensstandards generiert. Die Kleinsparer, das ist Symbolpolitik. Das tut den kleinen Leuten weh, aber bringt sie nicht um. Aber wenn der Wirtschaftsstandort Zypern, die Haupteinnahmequelle – über 50 Prozent des Bruttosozialprodukts werden hier direkt und indirekt über die Finanzdienstleistungen erwirtschaftet -, wenn das zusammenbrechen sollte, dann bricht die Wirtschaft der Insel zusammen, und das ist für den einzelnen Zyprioten noch viel schlimmer als die Abgabe jetzt auf seine Sparkonten.

    Schulz: Heißt das aber nicht auch, dass die Abgeordneten, die das Rettungspaket jetzt so ablehnen, dass das im Grunde Lobbyisten der russischen oder auch britischen Großanleger sind?

    Faustmann: Das wäre zu einfach. Ich denke, sie sind vielleicht mal Lobbyisten der zypriotischen Interessen. Die decken sich jetzt natürlich mit den Interessen der Großanleger. Das ist ja das Zynische an der ganzen Geschichte, dass in dem Moment, in dem man die beteiligt, was man aus Gerechtigkeitsgründen sicher sollte, man eben kaputt macht, was man retten will. Das ist das Dilemma bei der ganzen finanzpolitischen Geschichte, dass die Investoren – das gilt ja nicht nur für Zypern – ungeschoren davon kommen und der Steuerzahler den Kopf hinhalten muss, weil die Investoren über ihre Geldmittel, die sie bewegen, einfach so viel politische Macht und wirtschaftliche Macht haben, weil an ihnen der Wohlstand hängt und nicht am Kleinsparer.

    Schulz: Aber das Bankensystem, das ist ja nun offensichtlich gerade marode und soll ja auch durch diese erheblichen Milliarden gestützt werden. Also man kann ja auch nicht davon sprechen, dass das bisher funktioniert hätte, oder?

    Faustmann: Ja, es hat die ganze Zeit funktioniert, bis es in eine Schieflage geriet, die auch damit zu tun hat, dass die zypriotischen Banken halt an dem griechischen Schuldenschnitt sehr stark verloren haben, etwa 4,5 Milliarden. Aus griechisch-zypriotischer Sicht, was allerdings vereinfacht ist, ist es die solidarische Aktion, mit der man Griechenland gerettet hat, die die zypriotischen Banken in die Schieflage gebracht hat. Das ist ein bisschen zu einfach. Aber natürlich ist so ein Riesenwirtschaftszweig, wenn er funktioniert, ein Segen, und wenn er schief läuft, wie im Moment, ein absoluter Fluch, weil so ein Land das dann überhaupt nicht mehr auffangen kann. Das ging Irland dann ähnlich.

    Schulz: Aus Brüssel kommt jetzt die Kritik, die Regierung in Nikosia werbe nicht genug für das Rettungspaket. Sie habe in Brüssel zwar einerseits zugestimmt, im Land selbst sei jetzt aber von Erpressung die Rede. Welchen Reim machen Sie sich auf diese Strategie?

    Faustmann: Zum einen ist das natürlich nicht ganz falsch, weil man die Zyprioten vor ein Fair Complete gestellt hat, also die Frage, ob die privaten Anleger betroffen werden sollen oder nicht, war wohl schon entschieden, bevor die Zyprioten reinkamen, und es wurde ihnen klar gemacht, dass ihnen die Mittel für die Banken abgestellt werden und damit die Banken sofort Pleite gegangen wären, wenn sie diesen Bestimmungen nicht zustimmen. Das wurde dann allerdings neu verhandelt, weil wohl gerade aus deutscher Sicht eben nur die Großanleger betroffen sein sollten und die Zyprioten eben aus Furcht um den Abfluss der Großanleger aus Zypern dann mit der Idee kamen, man sollte alle beteiligen. Da rudert man jetzt gerade wieder zurück. Aber natürlich hat man dieser Lösung zugestimmt, aber man hat sie auch sehr stark aufoktroyiert bekommen. Also so ganz falsch ist die zypriotische Wahrnehmung hier nicht, aber das ist bei Verhandlungen nicht gerade unüblich, dass man hier auch in eine Lösung reinerpresst wurde.

    Schulz: Aber Brüssel betont ja auch immer wieder, dieser verabredete Betrag, die 5,8 Milliarden, die müssen von Zypern gestemmt werden. Glauben Sie oder glaubt Zypern denn, dass es da noch Nachverhandlungspotenzial gibt?

    Faustmann: Das wird wohl derzeit versucht, weil wenn es von Zypern gestemmt werden soll, dann kann es ja zumindest in dem derzeitigen Modell eben nur über diese Anleger gestemmt werden. Die Zyprioten hätten halt vorgezogen, wenn man die reichhaltigen Gas- und Ölvorkommen, die es vor Zypern gibt oder wohl gibt, in irgendeiner Form in den Deal einbezieht und den Wirtschaftsstandort Zypern nicht gefährdet. Das hätten sie sicher vorgezogen. Den Lösungsweg hat man nicht beschritten und es ist sicher fraglich, warum man den nicht beschritten hat, auch wenn einsichtig ist, dass aus Gerechtigkeitsgründen, aber auch aus Gründen der deutschen Innenpolitik, weil die Debatte eben verkürzt worden ist, wir retten hier die russischen Oligarchen, was ja auch nicht ganz falsch ist, es in Deutschland innenpolitisch auch nicht möglich war, so einem Deal zuzustimmen.

    Schulz: Sie müssen es uns aber trotzdem noch ein bisschen auseinandersortieren, jetzt aus zyprischer Sicht. Da gibt es ja die Alternative: entweder haften die Anleger, unter anderem eben auch die britischen und die russischen Anleger, Großanleger, oder es haften, so ähnlich wie dann auch in Griechenland, die Steuerzahler mit Kürzungen im Sozialsystem. Warum sind die Zyprer da so entschieden für offensichtlich diesen Plan B?

    Faustmann: Ganz einfach deswegen, weil über den Plan A das Geld generiert wird. Wenn die Anleger hier weggehen, dann brechen die Einnahmen zusammen. Es wäre den Zyprioten deutlich lieber, über Steuern das zu finanzieren, als darüber, sich ihre Geschäftsgrundlage kaputtzumachen.

    Schulz: Und was passiert dann heute Abend, wenn das Parlament das Rettungspaket ablehnt?

    Faustmann: Dann muss man gucken, wie sehr die Europäische Union Angst vor den vielleicht unkontrollierbaren Auswirkungen bekommt, die das wohl nach sich ziehen könnte, weil das sind Szenarien, die sich keiner bis jetzt, denke ich, vorstellen konnte, was das bedeutet auch für den Euroraum. Entweder wird dann noch mal nachverhandelt, oder die Europäische Union ist konsequent und entlässt Zypern in die unkontrollierte Staatspleite, und dann müssen wir sehen, was aus diesen Andeutungen von Anastasiades zu halten ist, was denn dann wirklich kommt, oder ob diese Staatspleite aus irgendwelchen Wundergründen, sprich russisches oder chinesisches Darlehen oder woher auch immer auf einmal dann diese Riesenbeträge herkommen sollen, kurzfristig, ob da was abgewendet werden kann. Da darf man sehr skeptisch sein.

    Schulz: Sie haben ja gerade das Szenario, auch dass das Rettungspaket kommt, als ziemliches Horrorszenario geschildert. Welcher der beiden Fälle wäre aus Ihrer Sicht schlimmer?

    Faustmann: Auf jeden Fall ist der Staatsbankrott deutlich schlimmer. Im ersteren Fall bleibt abzuwarten, wie viel Geld aus Zypern dann in den nächsten Tagen abfließt. Was jetzt halt passiert ist – und deswegen ist der Schaden auch schon angerichtet -, ist, dass die ausländischen Investoren ihr Vertrauen in Zypern zumindest kurzfristig verloren haben als Anlegeort, und die privaten Sparer jetzt Zypern nicht über den Weg trauen, dass nicht doch irgendwann ihr Erspartes angetastet wird, zumal ja auch viele Beträge über 20.000 angespart haben. Das heißt, es wird, wenn die Banken wie erwartet am Donnerstag wieder aufmachen, einen Run auf die Banken geben und den Versuch, diese Gelder aus Zypern rauszutransferieren. Und entscheidend ist, um einzuschätzen, wie groß der Schaden ist, hängt dann davon ab, wie in den nächsten Monaten sich die Großanleger verhalten. Nehmen sie den Verlust hin und bleiben Zypern treu, dann hat das ganze ein Happy End und ist viel weniger dramatisch, als wir das befürchten. Kommt es zum Run auf die Banken und zu einem Massenabzug der ausländischen Investitionen, dann gehen hier auf Zypern brutalst die Lichter aus und die Insel ist auf Jahre hinaus ökonomisch erledigt.

    Schulz: Der Politikwissenschaftler Hubert Faustmann live aus Nikosia heute in den "Informationen am Mittag". Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen.

    Faustmann: Ich bedanke mich auch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.