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Prozess um rassistische Chats
"Ein Sieg für die Pressefreiheit"

Die Zeitung "Kontext" darf den Namen des Mitarbeiters zweier Landtagsabgeordneter der AfD Baden-Württemberg nennen. Der hatte dagegen geklagt, genau wie gegen die Veröffentlichung von Chatprotokollen, in denen er sich rechtsextrem geäußert hatte.

Von Anke Petermann | 13.02.2019
    In einem Sitzungssaal beim Oberlandesgericht Karlsruhe sitzt ein Richter mit Richterrobe.
    Am Oberlandesgericht Karlsruhe wurde über die Veröffentlichung rassistischer Chatprotokolle eines Mitarbeiters zweier AfD-Landtagsabgeordneter verhandelt (Uli Deck / dpa)
    Eine Klatsche für Marcel Grauf, den Mitarbeiter von Christina Baum und Heiner Merz, zwei AfD-Abgeordneten im Stuttgarter Landtag. Im Eilverfahren hat das Oberlandesgericht Karlsruhe entschieden, dass man ihn als ehemaliges NPD-Mitglied benennen darf. Ein Sieg für die Wochenzeitung "Kontext": Sie kann die beiden von Grauf angefochtenen Artikel über seine rassistischen, demokratiefeindlichen Äußerungen in geleakten Chatprotokollen ab sofort wieder online stellen und wird das nach Auskunft von Chefredakteurin Susanne Stiefel auch tun.
    Das Gericht hatte zu bewerten, wie wahrscheinlich es ist, dass ausgerechnet die umstrittenen rechtsextremen Äußerungen Grauf nicht zuzuordnen sein sollten, wie von diesem behauptet. Eine html-Datei zu fälschen, sei zwar möglich, bekräftigte der Richter, Andreas Voß, dennoch sei es "überwiegend wahrscheinlich", dass die Chat-Äußerungen von dem Mitarbeiter der beiden AfD-Abgeordneten Baum und Merz stammten.
    Eine entscheidende Frage konnte der Kläger nicht beantworten - nämlich, so "Kontext"-Anwalt Markus Köhler: "Warum er denn die Datei, um die es hier geht, selbst vernichtet habe. Sie sei doch ein Beweismittel."
    "Juristische Einschüchterungstaktik darf nicht aufgehen"
    Dass der OLG-Senat ein öffentliches Interesse an dem Fall klar bejahte, die von "Kontext" veröffentlichten Inhalte nicht der Intim- oder Privat-, sondern der Sozialsphäre des unterlegenen Klägers zuschrieb, verbucht die "Kontext"- Redaktion als Sieg für die Pressefreiheit. Ihrer Argumentation folgte der Richter auch in Sachen Namensnennung: Diese durfte sein, weil ohne die konkrete Nennung viele Mitarbeiter im Stuttgarter Landtag unter Verdacht geraten wären. Die Chatprotokolle nach sorgfältiger Prüfung, auch der anonymen Quelle, zu veröffentlichen, sei richtig gewesen, kommentierte "Kontext"-Chefredakteurin Susanne Stiefel, und auch in Berufung gegen das Verbot zu gehen:
    "Weil wir der Überzeugung sind, dass die juristische Einschüchterungs-Taktik nicht aufgehen darf, weil dann - und das haben wir auch nach dem ersten Prozess und dem Urteil mitgekriegt - die Schere im Kopf von vielen Kollegen und Kolleginnen anfängt zu klappern."
    Weil Autoren ihre Text über die AfD dann einer inneren, vorbeugende Zensur unterziehen, glaubt Stiefel.
    Autorin erleichtert über Urteil
    "Und ich denke, eine laut klappernde Schere ist nicht der richtige Sound für kritischen Journalismus."
    Anna Hunger, Autorin der Artikel über die Chatprotokolle, wischte sich nach der Entscheidung die Tränen der Erleichterung aus dem Gesicht. Sie sieht sich auf ganzer Linie bestätigt.
    "Innerhalb dieser Protokolle waren so viele rassistische, menschenverachtende, antisemitische und demokratieverachtende Äußerungen enthalten, das muss die Öffentlichkeit wissen. Wir sind der Meinung, das muss man veröffentlichen. Das ist unser Job als Presse, genauso solche Dinge an die Öffentlichkeit zu bringen, damit man da gesellschaftlich diskutieren kann."
    Welche Relevanz es hat, wenn ein wissenschaftlicher Mitarbeiter von zwei AfD-Landtagsabgeordneten solches Gedankengut mit AfD-Personal und NPD-Funktionären austauscht? Anders als von ihm selbst behauptet, sei Grauf kein kleines Licht, befand "Kontext"-Anwalt Köhler. Er arbeite im Parlament. Und die Öffentlichkeit habe ein Recht zu wissen, wie jemand denke, der für AfD-Parlamentarier im Herzen der Demokratie tätig sei.