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10 Jahre Berufsverbot für den marokkanischen Journalisten Ali Lmrabet

Als Ali Lmrabet Anfang Januar 2005 die Zulassung einer neuen satirischen Wochenzeitschrift beantragte, reagierten die Beamten in Rabat zwar unwillig, nahmen den Antrag aber immerhin entgegen. Doch auf die Empfangsbestätigung des Amtgerichtes, in Marokko ein wichtiges Dokument für Gründer von Zeitungen, wartete der Journalist zunächst vergeblich. Stattdessen fand Lmrabet kurz darauf eine Vorladung in seinem Briefkasten.

Von Martina Sabra | 02.01.2006
    Ein Mitarbeiter des Innenministeriums, hatte den Journalisten angezeigt: Lmrabet habe den nationalen Interessen Marokkos geschadet, indem er nach einem Besuch in Südalgerien die dort lebenden Lagerbewohner aus der Westsahara als "Flüchtlinge" bezeichnet habe, und nicht der seiner Meinung nach gültigen marokkanischen Sprachregelung entsprechend als "Eingesperrte". Für Ali Lmrabet ein absurder Vorwurf:

    " Marokko hat mehrere offizielle Dokumente der Vereinten Nationen unterzeichnet, in denen die Menschen, die in den Lagern in Südalgerien leben, als Flüchtlinge bezeichnet werden. Ich halte das für richtig, denn für mich sind die Sahraouis ein eigenes Volk, das nicht zu Marokko gehört. Man hat mir Verleumdung vorgeworfen. Aber kann man von Verleumdung sprechen, wenn die UNO die Sahraouis in Südalgerien Flüchtlinge nennt? Dann müsste man ja genau genommen auch die UNO anklagen, zu der Marokko ja selbst gehört. "
    Im April 2005 verurteilte das Gericht in Rabat Ali Lmrabet wegen der angeblichen Verleumdung zu zehn Jahren Berufsverbot plus umgerechnet 4500 Euro Geldbuße. Außerdem sollte der Journalist das Urteil auf eigene Kosten 21mal hintereinander in der größten arabischsprachigen Tageszeitung Marokkos abdrucken lassen – eine erniedrigende und zudem sehr kostspielige Idee, die an Europas mittelalterliche Pranger erinnert. Im Juni 2005 wurde das Berufsverbot auf Antrag des Staatsanwaltes in zweiter Instanz bestätigt. Die internationale Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen protestierte, Ali Lmrabet selbst hat Widerspruch eingelegt – doch er glaubt nicht an die Unabhängigkeit der marokkanischen Justiz.

    "Hier handelt es sich nicht um eine juristische, sondern um eine politische Entscheidung. Ich finde es absurd, dass man mich für eine Idee verurteilt. Ich habe doch nicht zur Revolte aufgerufen! Ich habe lediglich ein Recht in Anspruch genommen, das die marokkanische Verfassung theoretisch garantiert. Das Recht auf freie Meinungsäußerung. Wenn allen Ernstes behauptet wird, der König sei göttlich und unantastbar, dann muss ich das Recht haben, das öffentlich anzuzweifeln. Ich bin durch das Berufsverbot quasi ausgebürgert. Aber ich sehe nicht ein, warum ich mein Land verlassen soll. Wer ins Exil gehen sollte, sind die Diktatoren."
    Die Ironie der Geschichte: Während das Verfahren zum Berufsverbot bereits lief, erhielt Lmrabet die vorläufige Genehmigung für seine neue Wochenzeitschrift. Der Journalist sieht angesichts des Berufsverbots aber wenige Chancen, in absehbarer Zeit wieder in Marokko arbeiten zu können. Die gesamte unabhängige Presse in Marokko steht unter großem Druck. Abderrahim El Badraoui, ehemaliger Direktor der Wochenzeitschrift "Der politische Beobachter", sitzt seit 2002 in Haft, nachdem er Korruption in der Verwaltung aufgedeckt hatte. Seine Haftbedingungen wurden kürzlich verschärft, die Zeitung gibt es nicht mehr. Andere Zeitungen verlieren finanzstarke Werbekunden oder werden mit absurden Gerichtsprozessen und überzogenen Bußgeldern bedroht. Jüngstes Opfer ist das vor allem bei der jungen Elite beliebte frankophone Wochenmagazin Tel Quel. Dessen Chefredakteur Ahmed Benchemsi erzählt:

    "Wir hatten die Information über eine Parlamentsabgeordnete von einer Quelle bei der Polizei. Andere Zeitungen haben sie auch veröffentlicht. Die Information erwies sich als Ente. Insgesamt vier Blätter wurden verklagt, alle verloren die Prozesse, mit einem Unterschied: Die anderen drei erhielten umgerechnet 3000 bis 5000 Euro, während wir zu umgerechnet 2500 Euro Geldstrafe plus 90.000 Euro Entschädigungszahlung verurteilt wurden. Das ist Wahnsinn. Es scheint ziemlich klar, dass man uns kleinkriegen will. "
    Tel Quel muss zurzeit gleich zwei Prozesse verkraften: Wegen angeblicher Verleumdung einer ehemaligen Volkssängerin wurde das Blatt in einem weiteren Verfahren zu noch einmal 80.000 Euro Entschädigung verurteilt – wiederum zehn bis zwanzigmal soviel wie sonst in Marokko üblich. Wer hinter diesen repressiven Maßnahmen stecken könnte, darüber will Ahmed Benchemsi öffentlich nicht spekulieren. Die Macht sei in Marokko kein monolithischer Block. Fest steht: Die beiden Urteile haben in Marokko und international eine beispiellose Welle der Solidarität ausgelöst. 17.000 Unterschriften wurden bisher gesammelt, Marokkanische Berufsverbände und Parteien veranstalten Sit-ins. Ahmed Benchemsi hofft, dass der Respekt vor der Meinungsfreiheit sich durchsetzt.

    " Wir haben immerhin ein Dossier über die Finanzen des Königs gemacht, und über den gesamten Finanzhaushalt des Palastes. Das hatte vorher keine Zeitung gewagt. Tel Quel hat über den Umgang der Marokkaner mit Sex und Alkohol berichtet, und über Haschisch. Wir haben den Drogenhandel in Marokko dokumentiert und die Heuchelei der Bürokraten aufgedeckt. Die verantwortliche Journalistin wurde für diese Geschichte sogar mit dem wichtigsten marokkanischen Pressepreis ausgezeichnet. Das ist für mich der Widerspruch in diesem System. "
    Widersprüche im System – sie sind typisch für politische Übergangszeiten, aber auch ein Zeichen absoluter Herrschaft. Während der Diktatur Hassans des Zweiten hielten die marokkanischen Medien still, weil man nicht wusste, mit welchen Sanktionen man zu rechnen hatte und dem Herrscher im Prinzip alles zuzutrauen war. Hassans Sohn Mohammed der Sechste war 1999 angetreten, dieses Willkürsystem zu überwinden. Wie ernst es ihm damit ist, muss er in Bezug auf die Meinungsfreiheit noch beweisen.