Donnerstag, 25. April 2024

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100. Geburtstag der britischen Agentin
Violette Szabo, Partisanin Seiner Majestät

Der britische Geheimdienst SOE existierte nur während des Zweiten Weltkriegs. Er rekrutierte Frauen, die für den D-Day hinter der französischen Front eine Partisanen-Armee aufstellen sollten. Eine dieser Agentinnen war Violette Szabo. Nun wäre sie hundert Jahre alt geworden.

Von Ulrike Rückert | 26.06.2021
    Ein historisches Schwarzweiß-Foto zeigt eine Frau mittleren Alters mit längeren Haaren, in einem Kleid mit floralem Muster, lächelnd in die Kamera blickend
    Violette Szabo - die Französin war im Zweiten Weltkrieg Agentin der britischen, nachrichtendienstlichen Spezialeinheit SOE (picture-alliance / United Archives /TopFoto)
    "Ich begegnete Violette zum ersten Mal im Frühherbst 1943, als sie sich zur Arbeit mit der französischen Résistance im besetzten Frankreich bereit erklärte. Sie war zweiundzwanzig, kürzlich verwitwet, ihre Tochter kaum älter als ein Jahr. Sie hatte viel natürliche Fröhlichkeit und Lebensfreude, aber sie war tief verletzt worden. Sie suchte ein Ventil in Aktivität, möglichst aufregend und fordernd."

    Der Auftrag: "Nun setzt Europa in Brand!"

    So schilderte Vera Atkins den Beginn von Violette Szabos kurzer Karriere als Agentin. Atkins arbeitete in der Londoner Zentrale der Special Operations Executive, SOE. Dieser britische Geheimdienst lieferte Waffen an Partisanen und verübte Sabotage-Anschläge in von den Achsenmächten besetzten Ländern. Winston Churchill hatte ihn 1940 geschaffen, als Hitler unbesiegbar schien, mit dem Auftrag:"Und nun setzt Europa in Brand!"

    Vor dem D-Day den Deutschen in den Rücken fallen

    Etwa 60 Frauen wurden rekrutiert, 39 davon für Frankreich, wo ab 1943 nur noch eines zählte: den Erfolg der geplanten Invasion zu sichern. Das Ziel war, eine geheime Armee zu formen, die sich am D-Day erheben und den Marsch der im Land verteilten deutschen Truppen in die Normandie aufhalten sollte.
    Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944
    Eine Lange Nacht zum D-Day 1944 - Das große Sterben für die Freiheit
    Mit der Operation Overlord in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni 1944 begann die Landung in der Normandie: Ziel war die Erstürmung des sogenannten Atlantikwall des Deutschen Reiches, bestehend aus 8.119 Bunkern. Keine 24 Stunden hielt das Bollwerk den Alliierten stand. Dafür wurde ein blutiger Preis gezahlt.
    "Ich meine deshalb, die SOE sollte diesen Kriegsschauplatz so betrachten, dass hohe Verluste hier unvermeidlich sind, aber den größtmöglichen Gewinn erbringen werden."

    Szabo sagte sofort ja

    Sagte SOE-Chef Colin Gubbins. Der Rekrutierungsoffizier suchte händeringend Kandidaten, die sich unauffällig in der Öffentlichkeit bewegen konnten. Violette Szabo war am 26. Juni 1921 in Frankreich geboren worden und hatte ihre halbe Kindheit dort verbracht, ihre Mutter war Französin. Wer die SOE auf sie aufmerksam machte, ist unklar, aber im Sommer 1943 wurde Szabo zu einem Gespräch geladen, anscheinend wegen ihrer Kriegswitwenpension. Stattdessen hörte sie, sie sei vielleicht für einen gefährlichen Sondereinsatz geeignet. Szabo hatte bereits Dienst in einer Flugabwehrbatterie geleistet. Ohne Genaueres zu wissen, sagte sie sofort ja.
    "Auf Abenteuer und Aufregung aus. Hat reichlich Selbstvertrauen. Nicht leicht aus der Fassung zu bringen.", notierte einer ihrer Ausbilder. Ihr erster Auftrag kam im April 1944: Der Sicherheitsdienst der SS hatte ein SOE-Netzwerk in der Normandie gesprengt, Funkkontakt war nicht mehr möglich. Ein Flieger der britischen Luftwaffe setzte Violette Szabo mit dem Fallschirm ab.
    Historiker über D-Day: „Es war ein gewissenhaft vorbereitetes Unternehmen“
    Der Historiker Peter Lieb schreibt der Landung der Alliierten in der Normandie 1944 weniger eine militärische Bedeutung zu, dafür aber eine politische. Durch diese militärische Operation sei verhindert worden, dass West- und Mitteleuropa in die Hände Stalins gefallen wären.

    Die berüchtigte SS-Division "Das Reich" im Visier

    Drei Wochen lang war sie unterwegs, unerfahren und auf sich gestellt - aber sie fand heraus, was geschehen und wie viele Mitglieder der Résistance-Gruppen verhaftet worden waren. Für ihren nächsten Einsatz sprang sie zwei Tage nach dem D-Day mit drei anderen Agenten bei Limoges ab. In Südwestfrankreich lagen mehrere deutsche Divisionen, auch die gefürchtete "2. SS-Panzer-Division Das Reich". Violette Szabos Team sollte eine Lücke in den SOE-Netzwerken schließen und sich dabei mit anderen Zellen in der Umgebung abstimmen.
    "Am Morgen des 10. Juni schickte ich Szabo, um Kontakt mit Nestor aufzunehmen. Ich gab Szabo eine Maschinenpistole mit.", … heißt es im Bericht des Teamchefs. Er wusste nicht, dass Einheiten von "Das Reich" schon auf den Landstraßen rundum unterwegs waren und seit dem Vorabend überall nach einem entführten Offizier gesucht wurde. Für die Suche nach dem Agenten "Nestor" nahm ein Mann von der Résistance Violette Szabo im Auto mit. Nach dreißig Kilometern stießen sie auf eine Straßensperre. Schießend flüchteten sie durch ein Weizenfeld. Ihr Begleiter entkam, Violette Szabo wurde gefangen.

    Einem deutschen Offizier ins Gesicht gespuckt

    "Ein deutscher Offizier bot ihr eine Zigarette an. Sie spuckte ihm ins Gesicht und nahm sie nicht", berichtete eine Bäuerin, deren Hof neben dem Feld lag. Violette Szabo wurde nach Paris gebracht und dort vom Sicherheitsdienst verhört; unklar ist, ob sie gefoltert wurde

    Interniert und erschossen im KZ Ravensbrück

    Im August 1944 wurde sie mit anderen alliierten Agenten und Résistance-Kämpfern nach Deutschland deportiert. Mit zwei anderen Frauen der SOE kam sie ins Konzentrationslager Ravensbrück. Dort und in zwei Außenlagern blieben die drei zusammen, bis sie im Januar oder Februar 1945 gemeinsam auf einen Hof geführt wurden. Der Lagerkommandant verlas einen Exekutionsbefehl, dann wurden sie nacheinander erschossen.