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100. Geburtstag des Schriftstellers
Stanislaw Lem - Science-Fiction-Visionär und philosophischer Pessimist

Er schrieb ebenso ernsthafte Science-Fiction-Romane und technologisch-philosophische Essays wie satirische Roboter-Märchen. Dabei stand für Stanislaw Lem stets die Beschränktheit der Menschen im Mittelpunkt. Am 12. September 1921 wurde er im damals polnischen Lemberg geboren.

Von Christian Blees | 12.09.2021
    Der polnische Schriftsteller, Essayist und Philosoph Stanislaw Lem, aufgenommen in seiner Bibliothek in Krakau am 16.2.1975.
    Stanislaw Lem 1975 in seiner Bibliothek in Krakau (picture-alliance / dpa / Forum Jalosinski)
    Roboter: "Guten Abend. Ich freue mich sehr. Ich werde mich bemühen, Sie nach besten Kräften zufriedenzustellen. Meine Fähigkeiten sind nicht gering. Ich bin das neueste Ultra-Deluxe-Modell."
    "Mann: "Donnerwetter! Leider kann ich Dich nicht behalten."
    Roboter: "Sie werden sich schnell an mich gewöhnen. Von nun an werde ich alles für Sie erledigen.'"
    Der polnische Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem galt Zeit seines Lebens als Vorreiter darin, die Folgen technischer Entwicklungen für die Menschheit gleichermaßen wissenschaftlich fundiert wie sprachlich unterhaltsam zu beschreiben — so, wie in dem Hörspiel "Der getreue Roboter" von 1980. Gewürzt war das Ganze oft mit einer kräftigen Prise Humor. Für Matthias Schwartz, Experte für osteuropäische Literatur am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin, ist es faszinierend, welch unterschiedliche Erzählformen Lem dabei ausprobierte:
    "Er hat Roboter-Märchen im Weltraum geschrieben, er hat Münchhausen-Geschichten geschrieben über Weltraumfahrer. Und selbst wenn er realistische Romane oder typische Science-Fiction-Romane geschrieben hat, die im Weltraum, in der fernen Zukunft oder auf anderen Planeten spielten, ging es ihm vor allen Dingen immer um die Begrenztheit der Menschen und ihrer ganzen Beschränktheit. Und daraus entsteht meist die Komik und der Witz seiner Romane."

    Großteil seiner Familie wurde im Holocaust ermordet

    Geboren wurde Stanislaw Lem am 12. September 1921 im damals polnischen Lemberg als Sohn einer jüdischen Arztfamilie. Das Medizinstudium musste Lem wegen der Besetzung seiner Geburtsstadt durch deutsche Truppen 1941 unterbrechen. Ein Großteil der Familie fiel später dem Holocaust zum Opfer. Dazu Matthias Schwartz:
    "Er hat einmal in einem Interview gesagt: ‚Für mich ist wahrscheinlich die ganze Science-Fiction der Nachkriegszeit eine Post-Holocaust-Science-Fiction. Und ohne den Holocaust wäre die Science-Fiction, so, wie sie entstanden ist, kaum möglich.‘ Und das gilt sicherlich auch für sein Werk."

    Raumfahrt als Erlösungshoffnung

    Nach Ende des Krieges konnte Stanislaw Lem sein Studium erfolgreich abschließen. Doch konzentrierte er sich nach und nach immer mehr auf das Schreiben. Den literarischen Durchbruch schaffte Lem schließlich 1955 mit dem Roman "Gast im Weltraum". Anschließend folgten im Zwei-Jahre-Rhythmus drei seiner bis heute bekanntesten Werke überhaupt: "Die Sterntagebücher", "Eden" und "Solaris", so Matthias Schwartz:
    "Für ihn waren die 1950er-, 60er-Jahre - das war damals die Raumfahrt, das war die Kybernetik - die große Hoffnung nach der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs, dass vielleicht, mithilfe technisch-wissenschaftlicher Entwicklungen, doch noch so etwas wie eine friedliche, zivilisiertere Menschheit auf Erden geschaffen werden konnte."
    Ein Mann steht im futuristisch anmutenden Gang eines Raumschiffs.
    Eine lange Nacht über Stanisław Lem - Das Geheimnis der Sterntagebücher
    Stanisław Lem gilt als Klassiker der Science-Fiction: virtuelle Realität, neuronale Netze und Nanotechnologie beschrieb er schon vor Jahrzehnten. Der Held seiner "Sterntagebücher" ist das Alter Ego Lems
    Seine Hoffnung brachte Lem nicht nur in rund zwei Dutzend Science-Fiction-Romanen sowie ebenso vielen Kurzgeschichten zum Ausdruck, sondern auch in diversen philosophischen Essays,- und seiner "Summa technologiae". Für Matthias Schwartz, Lems philosophisch-theoretisches Hauptwerk: "Das sagt der Titel schon, wo er sich mit dem Stand der Naturwissenschaften in seiner Zeit und der Wissenschaften allgemein auseinandersetzt und darüber reflektiert, wie sich die technisch-wissenschaftliche Entwicklung in naher und ferner Zukunft entwickeln könnte."

    "Die digitale Revolution war die letzte große Enttäuschung seines Lebens"

    Lem beeindruckte seine Leser unter anderem dadurch, dass er die von ihm beschriebenen, später nicht selten Realität werdenden Technikentwicklungen keineswegs uneingeschränkt befürwortete. Im Gegenteil: Er wies immer wieder auch auf die Gefahren und Herausforderungen hin, die für die Menschen damit verbunden waren. Und, sagt Matthias Schwartz, "als dann das Internet eingeführt wurde und man gesehen hat, was daraus geworden ist, hat er diese letzten Illusionen dann auch verloren. Und die digitale Revolution war so die letzte große Enttäuschung seines Lebens, weswegen er dann oft auch als Pessimist, als philosophischer Pessimist, angesehen wurde.

    45 Millionen Auflage

    Bis heute gilt Stanislaw Lem als der meistübersetzte Autor der polnischen Gegenwartsliteratur. Die Gesamtauflage seiner rund zwei Dutzend Romane, ebenso vielen Kurzgeschichtensammlungen sowie zahlreichen Sachbücher beträgt weltweit mehr als 45 Millionen Exemplare. Lem starb am 27. März 2006, im Alter von 84 Jahren, an Herzversagen. Auf seinem Grabstein in Krakau steht geschrieben:
    "Feci, quod potui, faciant meliora potentes - Ich habe gemacht, was ich konnte. Mögen die es besser machen, die dazu imstande sind."