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100. Geburtstag von Bernt Engelmann
Geschichte von unten schreiben

Mit investigativer Reportage-Literatur wie "Ihr da oben – wir da unten" und auch wüsten, dezidiert linken Polemiken wurde Bernt Engelmann zu einem der erfolgreichsten deutschen Sachbuchautoren der 1970er- und 80er-Jahre. Am 20. Januar 2021 wäre er 100 Jahre alt geworden.

Von Otto Langels | 20.01.2021
    Der Schriftsteller Bernt Engelmann mit einem Exemplar seines Tatsachenromans "Hotel Bilderberg", aufgenommen am 15. Oktober 1977 während der 29. Internationalen Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Bernt Engelmann 1977 (dpa)
    "Wir haben immer die Geschichte betrachtet aus dem Blickwinkel der Herrschenden. Und ich meine, wir sollten sie ein wenig mehr betrachten aus dem Blickwinkel der Beherrschten, der Untertanen."
    Geschichte von unten, aus der Perspektive der Benachteiligten und Unterdrückten, war das Leitmotiv des Schriftstellers Bernt Engelmann. Seine Bücher trugen Titel wie: "Trotz alledem", "Ihr da oben, wir da unten", "Eingang nur für Herrschaften".

    Überlebender zweier Konzentrationslager

    Bernt Engelmann, Urenkel des berühmten Verlegers Leopold Ullstein, wurde am 20. Januar 1921 als Sohn eines Verlagsdirektors in Berlin geboren. Er sympathisierte mit der Sozialistischen Arbeiterjugend und verhalf als Mitglied einer NS-Widerstandsgruppe Dutzenden Menschen zur Flucht, bis er 1944 verhaftet und in das Konzentrationslager Flossenbürg eingeliefert wurde.
    Dort erlebte er die Brutalität der Aufseher: "Wenn einem die Kräfte nachließen und er seufzte auf und hielt einen Augenblick inne, dann kriegte er schon eins über den Kopf und konnte tot sein. Mit einem Stock, der eigens dazu konstruiert war, Leute zu töten. Es war unglaublich, mit welcher stumpfen Rohheit das geschah."
    Von Flossenbürg wurde Engelmann in das Außenlager Hersbruck und das KZ Dachau verschleppt, wo ihn die US-Armee im April 1945 befreite. Nach dem Krieg begann er ein Journalistikstudium, arbeitete als Reporter für Gewerkschaftszeitungen, beim Nachrichtenmagazin Der Spiegel und für den NDR. Engelmann deckte Skandale auf, bekämpfte ehemalige Nazis und restaurative Tendenzen in der Bundesrepublik.
    Engelmann: "Es waren lauter Ks, die sich mir aufdrängten, wenn ich die Entwicklung sah: kapitalistisch, konservativ, konzernfreundlich, kalt-kriegerisch, kleinkariert."

    Ein keineswegs ausgewogener Autor

    Seit 1962 war Bernt Engelmann als freier, überaus erfolgreicher Sachbuchautor tätig. Er verstand sich als Aufklärer, ein überzeugter Sozialist, der kämpferisch, gesellschaftskritisch und keineswegs ausgewogen gegen Kapital und US-Imperialismus, Militarismus und Finanzimperien zu Felde zog. Die – mitunter ironischen – Titel seiner über 50 Bücher waren Programm: "Meine Freunde, die Millionäre", "Meine Freunde, die Waffenhändler", "Meine Freunde, die Manager", "Meine Freunde, die Geldgiganten".

    Sozialkritischer Bestseller mit Günter Wallraff

    Engelmann wurde allerdings angelastet, für seine Bücher Material des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit zu verwenden. 1973 erschien der gemeinsam mit Günter Wallraff verfasste Reportagen-Band "Ihr da oben – wir da unten", ein Bestseller. Bernt Engelmann widmete ein Kapitel Gabriele Henkel, Kunstmäzenin und Gattin des Chefs des Waschmittelkonzerns:
    "Deutschland hat, von den Thurn und Taxis und zwei Dutzend anderen einmal abgesehen, kaum noch Fürstenhöfe. Es gibt indessen einen nahezu vollwertigen Ersatz, nämlich den Hof der Persilfürsten aus dem Hause Henkel zu Düsseldorf-Holthausen. Ihr Salon ist theaterreif."

    Für Franz Josef Strauß einer der "Ratten und Schmeißfliegen"

    Mit seinen zum Teil polemischen Äußerungen zog sich der Schriftsteller den Zorn "der da oben" zu. Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß, ein Intimfeind Engelmanns, beschimpfte ihn und andere Intellektuelle bei einem Wahlkampfauftritt als "Ratten und Schmeißfliegen".
    Franz Josef Strauß auf dem Münchner Oktoberfest 1979
    Gefragt, ob er rechtliche Schritte gegen Bernt Engelmanns erwäge, antwortete der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, er führe „gegen Ratten und Schmeißfliegen“ keine Prozesse. (picture alliance / dpa / Foto: Istvan Bajzat )
    Neben seiner Tätigkeit als Autor war Bernt Engelmann als engagierter Gewerkschafter tätig. Er war jahrelang Vorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller und Präsidiumsmitglied des westdeutschen P.E.N.-Zentrums. Kollegen warfen ihm allerdings vor, dass er zwar die Mächtigen in der Bundesrepublik angreife, die Herrschenden in der DDR aber milde beurteile, ja geradezu hofiere, und sich nicht genügend für verfolgte Autoren im Ostblock einsetze.

    Zerwürfnis im P.E.N. und die Stasi-Akte Engelmann

    Auf dem Schriftstellerkongress 1983 in Mainz kritisierte ihn Jürgen Fuchs, der wegen "staatsfeindlicher Hetze" fünf Jahre zuvor in den Westen abgeschoben worden war.
    "Für uns junge DDR-Leute waren Anfang der 70er-Jahre die sozialen Reportagen von Günter Wallraff und Bernt Engelmann sehr wichtig. Als ich dann hier im Westen landete, war ich sehr erstaunt über die Zurückhaltung, ja Ängstlichkeit, mit der viele Intellektuelle das beurteilten, was sich realer Sozialismus nennt." Autoren wie Jürgen Fuchs, Reiner Kunze, Gerhardt Zwerenz oder Herbert Achternbusch verließen den Schriftstellerverband. Bernt Engelmann blieb nur der Rücktritt.
    Er starb 1994 im Alter von 73 Jahren in München. Jahre nach seinem Tod tauchte eine Stasi-Akte auf, in der er als Inoffizieller Mitarbeiter der DDR-Staatssicherheit geführt wurde, ob wissentlich oder hinter seinem Rücken, blieb ungeklärt.