Freitag, 29. März 2024

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100. Geburtstag von Charles Bukowski
"Ich schreibe, geh zu Pferderennen, und ich trinke"

Schriftsteller und Trinker Charles Bukowski war schon zu Lebzeiten eine Legende. Er schockierte und rechnete in Hunderten von Gedichten und Kurzgeschichten unversöhnlich ab mit dem verlogenen "American Dream". Geboren wurde Karl Heinrich Bukowski am 16. August 1920 in Deutschland.

Von Almut Finck | 16.08.2020
    Der US-amerikanische Schriftsteller Charles Bukowski, aufgenommen am 19. Mai 1978 während einer Lesung in Hamburg
    Der amerikanische Schriftsteller Charles Bukowski: "Ich bin kein lyrischer Entertainer" (picture alliance/ dpa/ Cornelia Gus)
    Das Manuskript ist schludrig getippt, kein Begleitschreiben, kein Rückumschlag. Aus irgendeinem Grund wirft Caresse Crosby, Herausgeberin der Literaturzeitschrift "Portfolio", die Seiten trotzdem nicht weg. Sie gibt sie ihrem Lektor, das ist damals, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, Henry Miller. Der findet die Story zweier GIs, die bei der Befreiung einer französischen Kleinstadt ein Mädchen in ihren Sherman Panzer zerren und vergewaltigen, außergewöhnlich und eindrucksvoll.
    "Wer sind Sie?", fragt also Crosby den Autor. Der 26-Jährige schreibt zurück: "Liebe Caresse Crosby, ich habe keine Ahnung, wer ich bin. Ihr sehr ergebener Charles Bukowski." Henri Charles – eigentlich Karl Heinrich – Bukowski, ist nicht nur sich selbst, sondern auch der literarischen Welt gänzlich unbekannt, als 1946 in "Portfolio" Nummer 3 seine eigenwillige Short Story erscheint, zusammen mit Texten von Jean-Paul Sartre, Federico García Lorca und John Dos Passos.
    Charles Bukowski 1978 in der französischen TV show "Apostrophes".
    Eine Lange Nacht über Charles Bukowski
    Charles Bukowski gilt als ein ungehemmter Schriftsteller: schlampig, unsozial und frei. Mehr als 40 Bücher hat der Außenseiter geschrieben, er wurde verachtet, aber auch verehrt – vor allem in Deutschland.
    Als Nachfolger Hemingways gefeiert
    Gut 20 Jahre später feiert ihn die "Los Angeles Times" als den bedeutendsten amerikanischen Autor seit Hemingway. Berühmt gemacht haben Bukowski nicht nur Hunderte von Gedichten und Kurzgeschichten, sondern auch seine Auftritte vor Publikum, bei denen der leidenschaftliche Dichter und ebenso leidenschaftliche Trinker Dosenbier in sich hineinschüttet, kotzt, pöbelt und aus seinen Büchern liest – im Wechsel.
    "Ladies and Gentlemen – Charles Bukowski!!!": 1978 – eine Lesung in Hamburg. Charles Bukowski sagt: "You Germans are too tough for me, I’m gonna … okay, be nice, treat me nice, … you know …"
    Charles Bukowski wird am 16. August 1920 in Andernach am Rhein geboren, die Mutter ist Deutsche, der Vater ein deutsch-amerikanischer Soldat, der das Kind regelmäßig mit einem Lederriemen verprügelt. 1922 zieht die Familie in die USA, erst an die Ostküste, dann nach L.A.
    "Mit 17 fing ich zu saufen an. Ich trieb mich mit einer Bande älterer Jungs herum, und wir raubten Tankstellen und Schnapsläden aus. Ich war beliebt bei ihnen, aber es berührte mich nicht. Ich war gefroren."
    Tankwart, Zuhälter, Werbetexter
    Charles fliegt vom College, trampt durch die Staaten und landet schließlich als Tankwart bei einem Mafioso in New Orleans. Er verwettet sein Geld bei Pferderennen, wird Zuhälter, verfasst Werbetexte für ein Luxusbordell – und jene Geschichte, die er an Caresse Crosby schickt. Nach zehn Jahren on the road geht er 1956 zurück nach Los Angeles, wo er bei der Post Briefe sortiert – und außerdem schreibt. Auch Gedichte. Poetisch ist daran nichts. "Bukowski nagelt das gesprochene Wort aufs Papier," wie ein Kritiker formuliert.
    "Ich bin kein lyrischer Entertainer!", so Bukowski. "Und ich hab' nicht vor, mich auf die goldenen Scheißhäuser der Kultur zu abonnieren. Wenn du einen ganzen Monatslohn auf dem Rennplatz verloren hast, und abends um zehn wieder in deine Bude kommst und dich an die Schreibmaschine setzt, dürfte es dir verdammt schwerfallen, irgendwelchen schön-geistigen, rosaroten Bullshit hinzuschreiben."
    Die Verlierer des American Dream
    Bukowskis Ton ist unversöhnlich, knallhart. Seine Figuren sind die Verlierer des "American Dream": versoffene Nutten, kleine Kriminelle, unbehauste Männer mit Gelegenheitsjobs auf Schlachthöfen, am Fließband, als Leichenwäscher. Bukowskis Ruhm kommt 1967 mit den "Notes of a dirty old man", wöchentlichen Kolumnen für die Underground Zeitschrift "Open Source".
    Sie handeln von magenkranken Fürsorgeempfängern, die bei einem Einbruch aus Nervosität zwei Leute umbringen und dann die Beute vergessen. Oder von einem Callgirl, das in einer Bar mit dem Autor über Existenzielles diskutiert und einen Vogelkäfig dabeihat, in dem zwei fünf Zentimeter große, miteinander im Streit liegende Ehepaare eingesperrt sind.
    1970 kündigt Bukowski bei der Post und lebt nun ganz vom Schreiben: "Ich schreibe, geh zu Pferderennen, und ich trinke. Immer noch dieselben Gewohnheiten." Im Alter heiratet er ein zweites Mal, kauft ein großes Haus, sein Leben wird beschaulich. Auch ein Bukowski ist nicht frei von Widersprüchen. 1994 stirbt der Dirty Old Man an Leukämie.