Dienstag, 23. April 2024

Archiv

100 Jahre Bauhaus
Ein Stil für die moderne Lebenswelt

Vor 100 Jahren wurde das Bauhaus gegründet: Wohnungsbau für alle auf der einen, Normierung und Uniformität auf der anderen Seite. Der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger sagte im Dlf, das Bauhaus war "vielleicht der bedeutendste deutsche Kulturexport in die Welt im 20. Jahrhundert".

Winfried Nerdinger im Gespräch mit Anja Reinhardt | 01.01.2019
    Der Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums in München, Winfried Nerdinger.
    Der Architekturhistoriker Winfried Nerdinger (Imago / H. R. Schulz)
    Anja Reinhardt: Dass das Bauhaus für das 20. Jahrhundert und darüber hinaus als Ideenschule weltweiten Einfluss hatte, das kann man wohl kaum bezweifeln. Dass der 100. Geburtstag aber mit sehr viel Aufwand, mit zahlreichen, auch internationalen Ausstellungen, Symposien, Büchern und Feiern zelebriert wird - und das auch schon im letzten Jahr - das verwundert vielleicht dann doch. Einen ähnlich medialen und kulturellen Kraftakt hat es so zuletzt im Lutherjahr 2017 gegeben. Luther immerhin hat die Welt entscheidend verändert. Ich habe den Architekturhistoriker Winfried Nerdinger gefragt, ob sich daran vielleicht auch so was wie eine Analogie in der Wirkungskraft der Ideen ablesen lässt?
    Winfried Nerdinger: Also das Bauhaus mit der Wirkung von Martin Luther zu vergleichen, geht natürlich schon sehr weit. Aber man kann natürlich sagen, dass das Bauhaus vielleicht der bedeutendste deutsche Kulturexport in die Welt im 20. Jahrhundert war.
    Bauhaus als Erkennungszeichen
    Reinhardt: Ich finde den Vergleich, vielleicht hinkt er für den einen oder anderen, aber deswegen gar nicht so schlecht, weil, wenn wir über eine Glaubensrichtung oder auch Ideologie sprechen, dann kann man das Bauhaus ja durchaus mit bezeichnen, mit diesem Wort Ideologie.
    Nerdinger: Das Bauhaus hat eine Ideologie vertreten, wobei man vielleicht differenzieren müsste: Was ist das Bauhaus? Im Lauf der ja nur 14-jährigen Geschichte gibt eigentlich vier verschiedene Richtungen, aber am wirksamsten ist ganz sicher das, was der Gründer auch, Walter Gropius, dann in der Zeit etwa zwischen 1923 und bis zu seinem Abgang 1928 betrieben hat, nämlich eine Produktgestaltung für die moderne Lebenswelt. Und schon damals sprach man dann von einem Bauhausstil, also ein Erkennungszeichen, und dieses Erkennungszeichen ging dann auch um die Welt und führt dazu, dass man heute also auch in Japan, den USA, und beispielsweise auch in Israel einfach vom Bauhaus spricht, wenn man die Moderne meint.
    Reinhardt: Weil Sie eben von moderner Lebenswelt gesprochen haben: Wenn wir uns jetzt nochmal vergegenwärtigen, dass die Welt damals ähnlich wie heute geprägt war von Fragmentierungen, von Beschleunigung, der Erfahrung des Ersten Weltkriegs: Wie wichtig ist diese Lebenswirklichkeit für die Idee des Bauhauses?
    Nerdinger: Gropius hat eigentlich sein ganzes Leben lang eine zentrale Idee vertreten, nämlich die Einheit. Er kommt aus der Diskussion des deutschen Werkbundes, die auch diese Einheit in der Kultur wieder gesucht haben, eine einheitliche Gestaltung als Ausdruck eines Stils. Ganz bewusst, es ging um einen neuen deutschen Stil. Von dieser Idee ist Gropius entscheidend geprägt worden, also die Vorstellung, die Menschen auf der ganzen Welt haben dieselben ähnlichen Bedürfnisse, wenn die befriedigt werden, können mehr oder weniger so etwas wie eine internationale Weltgemeinschaft, internationale Architektur und ein gleiches Produktdesign entstehen. Und das hatte eine gewisse Faszination, und das war ganz bewusst gegen Fragmentierungen und die verschiedensten anderen Vorstellungen.
    Einheit von Kunst und Handwerk
    Reinhardt: Also das ist der berühmte Satz "Kunst und Volk müssen eine Einheit bilden", nicht wahr?
    Nerdinger: Ja, das ist speziell dann auch von Paul Klee, einem der Lehrer am Bauhaus, vertreten worden, der das bedauerte und sagte: "Uns trägt kein Volk." Gropius hat das zu seiner Lebensmaxime gemacht. Er ist schon sehr früh angegriffen worden, dass er mit diesem Credo der Einheitlichkeit natürlich auch zu einer Verödung führt, und deswegen hat er das in einer Formel gefasst: "Unity in diversity" sagte er in England immer, also die Einheit in Vielfalt. Also man könne ruhig ruhige persönliche Individualitäten haben, aber im Großen und Ganzen sollte es einheitlich sein.
    Reinhardt: Aber das Bauhaus war am Anfang so einheitlich gar nicht, das war doch sehr heterogen, auch mit den verschiedenen Leuten, die da zusammen trafen.
    Nerdinger: Bei der Gründung 1919, am 1. April, war das Bauhaus natürlich noch ganz geprägt vom dem zuende gegangenen Krieg, der Revolution, beginnende Inflation, alles ging wild durcheinander. Da hat Gropius ein Signal gesetzt mit seinem Manifest: Handwerker, Künstler, kommt zusammen, wir bauen gemeinsam die Kathedrale der Zukunft. Also so eine Vision, wir müssen alle wieder zurück zum Handwerk, man wollte sich von der Technik abwenden und jetzt gemeinsam eine neue Welt aufbauen. Das war die ursprüngliche Vorstellung, das hat insbesondere dann der wichtigste Lehrer am Bauhaus, der Schweizer Johannes Itten, in künstlerische Gestaltung, in individuelle Erfahrung auch umgesetzt, aber dann so ab 1922 kehrt Gropius doch wieder zurück zum Alltag, er sagt, entscheidend ist, dass das Bauhaus hier nun Produkte für die moderne technische Welt entwickelt. Und das ist dann die neue Devise. Kunst und Technik eine neue Einheit.
    Eine Kathedrale bauen?
    Reinhardt: Aber ist das nicht eigentlich auch ein Paradox von Anfang an, also dass es zum einen diese Vision gibt, in die Zukunft zu schauen, und auf der anderen Seite hat man schon im Namen den Bezug auf die Vergangenheit, auf die mittelalterliche Bauhütten und eben auch die mittelalterliche Handwerkskunst als Tradition?
    Nerdinger: Ja, das ist eben nur erklärlich aus dieser ganz spezifischen Situation 1919, das Land ist zusammengebrochen, und jetzt kommt diese Vision, wir müssen alle zurück zum Handwerk, und die Künstler müssen sich wieder mit Handwerkern und mit dem Volk verbinden, und wie in der mittelalterlichen Zeit haben die alle ein gemeinsames Ziel gehabt, den Bau einer Kathedrale. Und so müssen wir ganz von vorn anfangen. Das war eine ungemein zündende Idee , die aber nicht lange getragen hat. Denn dann kam der Alltag nach zwei, drei Jahren wieder, und dann kam die Veränderung, dass man eben nun mit der Technik, mit der Industrie eine neue Welt gemeinsam aufbauen will, eine Einheit daraus schaffen.
    Reinhardt: Aber so neu waren diese Ideen ja letztlich dann nicht. Also man hat sich ja aus sehr vielen Bewegungen ein bisschen bedient, oder zum Beispiel bei der Arts-and-Crafts-Bewegung in England, in Deutschland gab es den Werkbund, den Künstlerbund. Wie sind diese Ideen gebündelt worden im Bauhaus?
    Nerdinger: Es gibt natürlich eine ganze Reihe von Vorläufern, aber die ganz entscheidende Idee von Walter Gropius war, dass er eine Akademie und eine Kunstgewerbeschule zu einer Einheit verbunden hat. Das sollte zusammengeführt werden, künstlerische Gestaltung auf handwerklicher Grundlage. Und das war dann eben auch die Basis für die Entstehung von einem neuen Gestaltertypus, das, was wir heute als Produktdesigner bezeichen oder Textildesigner, Kommunikationsdesigner, das ist überhaupt erst am Bauhaus entstanden, das war das Neue.
    Die Corporate Identity lebt
    Reinhardt: Wenn wir jetzt diesen Gedanken des Einheitlichen noch einmal aufgreifen, die Suche nach dem, ja vielleicht auch dem Ganzen, das war ja eine Suche, die sich durch die Ideengeschichte der Neuzeit gezogen hat, also Hegel, Marx, die aber eben auch zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts führte, und auch wenn letztendlich die Nationalsozialistens für das Ende des Bauhauses verantwortlich waren: War man so weit voneinander entfernt?
    Nerdinger: Ja, muss man ganz sicher differenzieren. Also die Idee der Einheit, wie es Gropius vertreten hat, basiert erst einmal auf kulturellen Vorstellungen. Er ist hier ganz stark geprägt von Nietzsche, der den Stil als Einheit aller Lebensformen bezeichnet. Und im 19. Jahrhundert hat man ja immer diesen Stil der Zeit gesucht. Das war der Lebenswunsch von Gropius, den Stil für die Zeit zu finden, als einheitlichen Ausdruck. Er hat das auf sehr formalem Weg gemacht, indem er sagte, es müssen einige Funktionen erfüllt sein, dann ist das für alle Menschen gleich gültig auf der Welt, wenn ich ein Produkt oder ein Haus, eine Architektur gestalte. Das führte natürlich dann dazu, dass diese Form der Gestaltung für - ja, mehr oder weniger nach Belieben auch politisch dienstbar gemacht werden konnte. Die Nationalsozialisten haben ganz wie die Kommunisten den Menschen als eine Form innerhalb der Masse gesehen, und da passte dann natürlich eine solche Ideologie, die alles vereinheitlicht. Das heißt also, sie haben sich durchaus auch der Bauhaus-Ideologie dann bedient.
    Reinhardt: Jetzt haben wir am Anfang darüber gesprochen, was das Bauhaus heute noch bedeutet oder wofür der Begriff Bauhaus heute noch steht. Gibt es denn heute eigentlich noch so eine einheitliche Idee dessen, was das Bauhaus heute noch ist, oder ist das ein mittlerweile doch auch ein Begriff, der doch recht schwammig ist?
    Nerdinger: Nun ja, die Corporate Identity des Bauhaus, also der Bauhaussstil, wie er Ende der 20er-Jahre bereits verstanden wurde, der lebt weiter, deshalb ist der Begriff heute noch lebendig. Wenn man etwas sieht, was ganz streng auf reduzierten kubischen Formen basiert und mit den Grundfarben nur versehen ist, dann assoziert man eben sehr schnell "Bauhaus". Und diese praktisch rein formalistische Gestaltung, die hat überlebt als eine Art Etikett. Und die anderen Ideen, die durchaus ja auch mit dem Bauhaus verknüpft waren, auch soziale Vorstellungen, die sind eben längst verschwunden.