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100 Jahre Erster Weltkrieg
Im Schützengraben mit dem Perserteppich

Vor knapp 100 Jahren war die Kleinstadt Gorlice Schauplatz einer Schlacht, die nicht nur in polnischen Geschichtsbüchern erwähnt wird. Dort erinnert sich die alteingesessene Familie Tarczynska bis heute an eine Episode mit dem deutschen General August von Mackensen, der in der Familiengeschichte seine Spuren hinterlassen hat.

Von Robert Baag | 22.08.2014
    "Entschuldigen Sie, dass ich vorausgehe! - Geradeaus und dann rechts, dann die erste Tür links..."
    Joanna Probulska klopft an, drückt die Klinke der Eingangstür nach unten, die Tür öffnet sich.
    "Guten Tag."
    Die alte Dame im Lehnsessel, gleich neben einem raumhohen Kachelofen richtet sich lebhaft auf.
    "Kommen Sie doch rein."
    Felicja Tarczynska ist sichtlich erfreut über den Besuch, den ihre Tochter mitgebracht hat. Doch: Wieder einmal die Geschichte vom "Teppich des deutschen Generals von Mackensen" zum Besten zu geben, dazu hat die 85jährige erst einmal keine Lust.
    "Ach nein", winkt sie ab und lacht. Das habe sie doch schon so oft erzählt. Das soll jetzt mal Joanna übernehmen.
    "Der macht immer noch was her"
    Dabei ist diese Episode vom Mai 1915 stadtbekannt, eine Art Gorlicer Legende: Damals tobte rund um die Stadt eine gewaltige Schlacht, in der die verbündeten deutschen und österreich-ungarischen Armeen gegen die Truppen des russischen Zaren kämpften. Und dort die Russen am Ende vernichtend schlugen. Joanna Probulska öffnet die Flügeltür zum Nachbarzimmer. Bitte schön, hier unter dem Polstersessel, liege es, das gute Stück:
    "Ein Perserteppich! Und der macht immer noch was her. Mehr als 100 Jahre alt ist er nun schon. Der Aufenthalt in einem Schützengraben war seiner Gesundheit allerdings nicht besonders zuträglich. Da hat er sich dermaßen mit Schlamm vollgesogen. Wenn wir ihn ausklopfen, fliegt immer noch Dreck von damals aus ihm heraus."
    Während des Ersten Weltkriegs schaltet sich Felicja Tarczynska nun doch ein, sei Gorlice unfassbar zerstört worden. Alle Gebäude um ihr Haus herum seien dem Erdboden gleichgemacht worden. Das Städtchen: eine einzige große Ruine! Dieses Haus aber habe damals noch am Stadtrand gelegen, sei infolgedessen in gutem Zustand geblieben.
    Aber auch deshalb als komfortables Hauptquartier natürlich von Interesse für jegliches Stabspersonal: Zunächst für die russischen Armeeführer, dann aber auch für den kommandierenden Preußen-General August von Mackensen und dessen Leute, nachdem Gorlice im Mai 1915 von den deutschen Einheiten erobert worden war. - Genau hier, diese Räume, hätten die Offiziere belegt...
    Kalte Füße im Schützengraben
    Ein Draufgänger soll er gewesen sein, dieser von Mackensen. Aber wohl auch ein Ästhet, der anscheinend selbst noch im Schützengraben kalte Füße hasste, lachen die beiden Frauen. Denn nun, an dieser Stelle, komme die Perser-Brücke ins Spiel...
    "Ich vermute, dass alle unsere anderen Teppiche einfach zu groß waren. Die bedeckten ja den ganzen Fußboden dieses Salons hier. Den eher kleinen Läufer dagegen, den konnte man doch einfach zusammenrollen, unter die Achsel klemmen und mitnehmen. Und: Er war schmal genug, um in einen Schützengraben hinein zu passen, nicht wahr?"
    Ordnung muss sein
    Als die deutschen Einheiten weitergezogen sind, Richtung Przemysl und Lemberg, um die Russen endgültig aus dem polnischen Galizien zurückzudrängen, habe ein Soldat an die Tür geklopft und den kleinen Teppich wieder zurückgebracht. Stark verschmutzt zwar, aber immerhin.
    "Das waren offenbar trotzdem halbwegs ordentliche Zeiten", vermutet Joanna Probulska. Denn: Wenn etwas beschlagnahmt worden sei, habe es dafür in der Regel sogar eine Quittung gegeben - samt späterer Rückgabe. Eben: "Ordnung muss sein!"
    Felicja Tarczynska atmet tief durch. Als Zehnjährige habe sie den deutschen Überfall auf Polen 1939 miterlebt, dann die Besatzung in Gorlice bis Januar 1945. Und schließlich den Einmarsch der sowjetischen Roten Armee.
    "All diese Kriege, Morde."
    Wenn solche Filme im Fernsehen kämen, dann schalte sie sofort aus. Genug. Aus, Ende - Punkt. Ihr reicht es.