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100 Jahre Forschungsgeschichte

Seit Jahrtausenden dient Babylon als Metapher für die dunklen Seiten der Zivilisation. Unfreiheit und Unterdrückung, Terror und Gewalt, Zügellosigkeit und Sprachverwirrung. Mit dem Mythos der ewigen Apokalypse räumt jetzt eine Ausstellung auf, die zunächst im Louvre und ab heute in Berlin gezeigt wird. Barbara Weber sprach mit den beteiligten Wissenschaftlern und schaute sich den Aufbau der Ausstellung an.

Von Barbara Weber | 26.06.2008
    Es hatte aber die ganze Erde die gleiche Sprache und die gleichen Worte. Als sie von Osten aufbrachen, fanden sie eine Ebene. Dann sagten sie: "Wohlan, lasst uns eine Stadt bauen und einen Turm, dessen Spitze bis in den Himmel reicht!" Da stieg Jahwe herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, den die Menschen gebaut hatten. Und Jahwe sprach: "Siehe, sie sind ein Volk und sprechen eine Sprache. Das ist erst der Anfang ihres Tuns. Wohlan, wir wollen hinabsteigen und dort ihre Sprache verwirren, so dass keiner mehr die Sprache des anderen versteht." Und sie mussten aufhören, die Stadt zu bauen. Darum nennt man sie Babel.

    "Das ist dann eine jüdisch-christliche Propaganda, das war die Metropole. Das ist natürlich relativ einseitig. Es macht ja die Idee einer Stadt, die so groß und so mächtig ist und über so gute Ingenieure verfügt, dass sie diese riesigen Bauten, also die Wolkenkratzer der Antike, herstellen konnte. Da muss man erst mal drauf kommen, wie man das so schlecht machen kann."

    Prof.Günther Schauerte, stellvertretender Generaldirektor der staatlichen Museen Berlin, und Archäologe.

    "Und dass die Tatsache, dass so viele vielsprachige Leute da sind, dass man sagt, die haben sich gar nicht mehr verstanden, das ist natürlich auch Propaganda, denn die lokale Sprache als Teil dieser semitischen Sprachen, aramäisch und so weiter, was da alles draus folgt, ist natürlich die Lingua franca gewesen, die haben sich darin unterhalten. Und es war eine Sprache der Diplomatie, die man dann auch in Archiven wie in Ägypten, in den dortigen Archiven, auch wieder findet."

    "Babylon hat sich sehr verändert. Das ist ja nicht nur Abbruch der Ausgrabung. Es ist ja da zu den Plünderungen gekommen. Das Regionalmuseum in Babylon ist geplündert worden. Durch die amerikanischen und polnischen Truppenanteile, die dort als Camp Alpha in Babylon längere Zeit hausten, hat es Veränderungen unguter Art gegeben,"

    so meint Dr.Ralf-Bernhard Wartke, stellvertretender Direktor des Vorderasiatischen Museums Berlin, mit Blick auf den jüngsten Irakkrieg.

    "Es hat Vandalismus gegeben, dass aus den Reliefziegelwänden des Istar-Tores der Baustufe I, Teile der Tiere herausgeklopft wurden. Raubgrabungen oder Beute- oder Souvenirjägerei, Veränderungen in der großen Struktur, der Präsidentenpalast von Saddam Hussein, der das Stadtbild natürlich schlimm verschandelt hat, ein großer künstlicher See ist entstanden, der eigentlich mitten in Babylon gar nicht hineingehört. Vieles kann man eigentlich aus den Satellitenbildern, die ja über Google Earth veröffentlicht sind, sich selber ansehen."
    Was ist Mythos? Was ist Wirklichkeit? Über 2500 Jahre existierte im heutigen Irak die Metropole Vorderasiens. Sie regte an zu Auseinandersetzungen; sie beflügelte die Fantasie; sie galt als eine der wichtigsten geistigen und wirtschaftlichen Stätten ihrer Zeit.

    Gleichzeitig wuchs ihr schlechter Ruf: Babylon war das Synonym für Sünde, Laster, Größenwahn.

    Doch die Realität dieser Stadt - so zeigt uns die Forschung - ist eine andere.
    Deshalb will die Ausstellung aufklären: Über 100 Jahre archäologische Arbeit aber auch über das, was sich Künstler und Geschichtenschreiber zu Babylon ausgedacht haben. Das ist in dem Umfang noch nie geschehen.
    Und es ist berechtigt, denn,

    "was die Stadt gebracht hat, das leben wir bis heute: Der Satz des Pythagoras ist in Babylon erfunden worden. Pythagoras hat das nur rezipiert. Unsere Rechtsauffassung, dass man kodifiziertes Recht hat, stammt natürlich von dort, dass wir die Schrift haben, stammt natürlich von dort. Die Erfindung des Rades, die Erfindung vieler Technologien, die Astronomie, damit auch die Mathematik, all solche Sachen stammen von dort, und da merkt man plötzlich, Mythos ist immer etwas, was so etwas Spukhaftes ist. Das ist immer nebulös und hat gleich schon einen negativen Touch, und wenn man sich das richtig anschaut, merkt man plötzlich, all das, was dort geschehen ist, hat Auswirkungen bis heute und dann plötzlich stellt man fest, indem man den Mythos erklärt, erklärt man auch Wahrheiten."

    Diese Wahrheiten sind eng mit einem Namen verknüpft: Robert Koldewey.

    "Robert Koldewey ist für uns ein großes Vorbild als der Ausgräber von Babylon,"

    meint Ralf-Bernhard Wartke.

    "Die babylonischen Funde sind ja weitgehend in Berlin versammelt, und wir verwaren, verwalten und interpretieren sie."

    Bis heute sind diese Fundstücke einmalig. Nicht nur das: Robert Koldewey entwickelte bei seinen Grabungen eine neue Methode:

    "Man muss Koldewey wirklich benennen als den Begründer der wissenschaftlichen Bauforschung. Er ist eben Architekt, und er hat als Architekt Methoden entwickelt, die architektonischen Funde in ihrer Gesamtheit, in der horizontalen und in der vertikalen Abhängigkeit, zu untersuchen und auch gleichzeitig zu interpretieren im historischen Kontext."

    Vorher war das anders, denn vorher war das Ziel zum Beispiel nicht,

    "der Gesamtzusammenhang einer Palastanlage und die Ausschmückung des Palastes, sondern man wollte möglichst diese Funde bergen, die hat man dann relativ schnell nach Europa, Paris und London geschafft, und da sieht man sie heute auch noch."

    Schatzsucher und Abenteurer - das war Koldewey nicht. Er wollte anderes. Er zeichnete Fundzusammenhänge, sortierte Lehmziegel und schuftete: von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, von Montag bis Sonntag, von Januar bis Dezember, 18 Jahre lang bis 1917. Dreimal nahm er zwischendurch Heimaturlaub.
    Das Ergebnis der Schufterei steht heute im Pergamonmuseum: Das monumentale Istar-Tor, Teile der Prozessionsstraße und die Außenwand des Thronsaals.
    Das bildet die imposante Kulisse für die Ausstellung:

    "Wir stehen in einer Kreuzung. Das ist der Punkt, wo man aus dem babylonischen Recht herauskommt und dann zur Arbeitswelt hinübergeht."

    Dr. Joachim Mahrzahn, Mitkurator der Ausstellung, muss von seinem Büro nur einige Schritte gehen, eine Tür öffnen, und schon ist er mittendrin in den Ausstellungsräumen. Die Aufbauarbeiten sind in vollem Gange. Holzkisten werden auf Rollwagen transportiert, Vitrinen bestückt.

    In manchen Räumen herrscht noch Stille, andere sind von ohrenbetäubendem Lärm erfüllt. Einer seiner Lieblingsräume beschäftigt sich mit Alltag und Arbeitswelt.

    "Gehen wir mal in die Ecke hierüber. Hier beginnt nämlich der Hauptteil, wo wir schon auf das wichtige zu sprechen kommen, nämlich auf die Landwirtschaft. Babylonien war ja ein Agrarland, das heißt also, ganz typisch, nicht nur fürs Altertum bis in die frühe Neuzeit, war ja die wirtschaftliche Grundlage die Landwirtschaft. Wir versuchen nun, mit Hilfe von verschiedenen Ausstellungsstücken die wieder lebendig werden zu lassen vor dem Auge des Betrachters. Wir können ja mal an eine dieser Vitrinen gehen."

    Der Kurator steuert eine Vitrine an.

    "Hier beispielsweise ist eine Auswahl von Arbeitsgeräten zu sehen. Nun, die sind eher typisch: Es sind Sicheln und Hacken, die man für die landwirtschaftliche Arbeit eben braucht. Auch ein eisernes Spatenblatt ist hier zu sehen. Dazu wäre ja zu sagen, dass die Materialien schon einmal nur über Import zu erhalten waren, insbesondere Eisen, was ja dann etwa ab 1000 vor Christus die Bronze als wichtigstes Material ablöst, ist heute selten zu finden, weil sich das eben durch Korrosion selber auflöst. Wir sind froh, dass wir ein solches Stück haben."
    Manchmal sind es auch für Laien unscheinbare Dinge, die für Archäologen von unschätzbarem Wert sind:

    "Und davor finden wir einige Scherben, die sehr unscheinbar aussehen, allerdings etwas sehr wichtiges verraten, die Malerei auf den Scherben verrät nämlich, dass man die landwirtschaftliche Nutzfläche sehr vielfältig nutzte unter anderem in den Dattelpalmanlagen wuchsen ja in mehrstöckigen Anlagen sehr verschiedene Pflanzen untereinander, und das ist auf einer kleinen Zeichnung einer solchen Scherbe auch zu sehen."

    Wie die zahlreichen Wirtschaftsdokumente auf Keilschrifttafeln zeigen, waren die Babylonier in Verwaltungsdingen Pedanten. Das gilt natürlich auch für die Landwirtschaft:

    "Und so finden wir immer wieder entsprechende Schriftdokumente, die belegen, dass die Verwaltung dieser Wirtschaft ein ganz wesentlicher gesellschaftlicher Zweig ist, der natürlich in der Hand des Staates lag, und die Zeugnisse davon sind hier ausgestellt. Das sind zwei, drei kleine Tontafeln, zwei sind insbesondere für Bierliebhaber interessant, nämlich hier sind Ausgaben über die notwendigen Verbrauchsgüter zur Herstellung von Bier."

    Bier wurde - wie auch heute - aus Gerste hergestellt, das wichtigste Getreide, das angebaut werden konnte, weil die Gerste relativ salzresistent ist und somit auf den salzhaltigen mesopotamischen Böden wächst.

    "Und wir sehen dort auch eine kleine Tafel liegen, die die Zeichnung eines Feldumrisses enthält, woraus man entnehmen kann, dass auch das Katasterwesen sehr weit entwickelt war."

    In einem Nebenraum stapeln sich Kisten mit Ausstellungsstücken. Eine starke Bauleuchte strahlt auf einen Holztisch. Frachtpapiere, die den Inhalt einer Kiste dokumentieren, werden von Restauratoren durchgesehen. Françoise Demange, Kuratorin des Louvre, und die Restauratorin Uta von Eickstätt beugen sich über ein kleines Objekt . Daneben liegt eine Photographie im Din-A-4-Format, eine vergrößerte Abbildung des Stückes.

    "Wir schauen uns die verschiedenen Objekte genau an, erklärt Françoise Demange, ob alles okay ist nach dem Transport und nichts passiert ist. Das ist ein Objekt vom Louvre."

    Es handelt sich um ein kleines Keilschrifttäfelchen, eine charakteristische Schrift aus Mesopotamien.

    "Von jedem Objekt, dass einem anderen Museum überlassen wird, werden Photos gemacht. So sind die Verleiher sicher, dass kleinere Probleme dokumentiert werden können, meint die Kuratorin."

    "Die Photos sind mitgebracht, "

    erklärt die deutsche Kollegin.

    "Wenn irgendwelche Auffälligkeiten sind, werden die in der Regel eingezeichnet, und wenn die Photos nicht ausreichend sind, wird meistens noch mal ein Detailphoto angefertigt. Die Zustandsbegutachtung wird am Anfang, zu Beginn der Leihnahme durchgeführt und dann zum Ende der Leihnahme, also wenn die Ausstellung wieder ausgeräumt wird, die Objekte dann verpackt werden für den Rücktransport, dann wird noch mal so eine Überprüfung des Zustands vorgenommen."

    Einige Vitrinen sind schon bestückt und demonstrieren das Vielvölkergemisch in Babylon. Von den kleinen ägyptischen Figurinen weiß man nicht genau, ob ägyptische Einwohner Babylons sie mitgebracht oder dort hergestellt haben.
    Eine Vitrine ist jüdischen Objekten gewidmet.

    In dieser Vitrine sehen wir einige Beispiele, die uns zeigen, dass die Juden tatsächlich in Babylon anwesend waren. Nun gut, daran wird auch niemand gezweifelt haben. Die biblischen Berichte sind ja relativ präzise, aber was wir hier zeigen können ist gewissermaßen die Gegensicht. Es sind Fundstücke aus Babylon, die Anwesenheit von Juden nachweisen. Unter anderem sieht man das daran, dass hier levantinische Fibeln ausgestellt sind, also Gewandnadeln, die ganz eindeutig nicht aus Mesopotamien stammen, sondern aus dem westlichen Kulturkreis des vorderen Orients und höchstwahrscheinlich von ihren Trägern mitgebracht worden sind. Ein ganz besonders interessantes Stück ist eine Keilschrifttafel. Es ist ebenfalls wieder eine Rationsliste, die vom Hof Nebukadnezars II. stammt...

    Also ungefähr aus dem 7.-6. Jahrhundert vor Christus.

    "Und hier drinnen sind sehr viele verschiedene Gruppen von Menschen verzeichnet, die Empfänger von Ölrationen waren, sich als Gäste des Hofes offensichtlich in Babylon aufgehalten haben, und namentlich erwähnt ist König Jojakin von Juda und seine Familie."

    Nebukadnezar hatte Jerusalem erobert und die Oberschicht und Teile der jüdischen Bevölkerung nach Babylon verschleppt. Allerdings gibt es keine Belege über Sklaverei der Juden. Vielmehr - so scheint es - konnten sie ihren Berufen nachgehen und ihren Glauben leben.

    "Die Stücke sind etwas älter. Wir wissen ja, dass die Juden nach Babylon transportiert worden sind, deportiert worden sind, dort angesiedelt wurden. Gleichfalls wissen wir, dass unter den persischen Königen die Juden nach Israel zurückkehren durften. Das haben ja nicht alle getan, wie wir wissen, sondern sehr viele dieser jüdischen Glaubensgenossen sind in Babylonien geblieben, haben weiter dort gesiedelt bis eigentlich in das letzte Jahrhundert hinein. Und was wir hier sehen sind sogenannte magische Schalen, die also in hebräischer Schrift, allerdings aramäischer Sprache, das war ja die damals verbreitete Sprache in Mesopotamien, Beschwörungstexte niedergeschrieben haben."

    Die Blütezeit Babylons endete schon eine Generation nach Nebukadnezar II.

    Günther Schauerte:

    "In dem Fall sind es die Perser mit Kyros II, der 539 glaube ich, die Stadt erobert und im Grunde etwas vollzieht, wo man sagt, das ist immer schon da gewesen. Es gibt eine andere Großmacht, die dort einsteigt, die im Grund genommen aber dann ja nicht Tabula rasa macht sondern diese Stadt in ihrer Bedeutung, im Umland ohnehin, lebt weiter und zählt auch bis ins Mittelalter zu solchen Orten, die immer besiedelt waren."

    Spätestens mit Robert Koldewey wurde die Verbindung zwischen Berlin und Babylon hergestellt. Unter dem Kanonendonner der Briten musste er 1917 den Grabungsort fluchtartig verlassen. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er mit der Aufarbeitung seiner Forschungsergebnisse.

    "Er hat den Orient geliebt. Also es war sicher eine Lebensliebe. Nachdem er Kontakt mit dem Orient hatte, dann war er eigentlich für den Orient geschaffen. Er lebte dort. Er sprach arabisch. Er liebte die einheimischen Menschen, die Beduinen, die Araber, und das war eigentlich seine Welt was zu Lasten aller anderen Lebensfacetten ging wie Familiensinn oder Haltung zu Frauen, das spielte keine Rolle mehr. Er war der fanatische Ausgräber und hat das fanatisch durchgezogen bis zur Selbstaufgabe eigentlich."

    Literatur:
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    Es gibt einige lesens- und betrachtenswerte Bücher zu dem Thema:

    Der Katalog:
    Babylon - Mythos und Wahrheit, 2.Bände, Hirmer Verlag, München, 2008

    Auf dem Weg nach Babylon, Robert Koldewey - ein Archäologenleben, Hrsg. Ralf-B.Wartke, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2008

    Irak in der Antike, Georges Roux, Johannes Renger, Verlag Philipp von Zabern, Mainz 2005

    Die Ausstellung kann noch bis zum 05.Okober im Pergamonmuseum Berlin besucht werden und geht anschließend nach London.