Donnerstag, 18. April 2024

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100 Jahre ISTAF
"Es sind nicht die Weltrekorde, die zählen, sondern der Wettkampf"

Das ISTAF in Berlin feiert seinen 100. Geburtstag. Damit ist es das älteste Leichtathletik-Meeting der Welt und hat sich von einem lokalen Sportfest zu einem Event mit Topathleten aus aller Welt entwickelt. Daran beteiligt war Gerhard Janetzky, ehemaliger Chef des Meetings.

Gerhard Janetzky im Gespräch mit Thomas Wheeler | 05.09.2021
Meeting Direktor Gerhard Janetzky beim 72. ISTAF
Gerhard Janetzky war langjähriger ISTAF-Chef und rettete die Leichtathletikveranstaltung vor der Insolvenz (hier beim 72. ISTAF 2013) (imago sportfotodienst)
Am 3. Juli 1921 fiel der erste Startschuss für das ISTAF - damals noch im Deutschen Stadion in Berlin. Erst seit 1937 hat es seinen festen Platz im Berliner Olympiastadion und auch dort musste für manche Athleten schon mal nachgebessert werden, erinnert sich Gerhard Janetzky, ehemaliger Chef des Meetings, im Dlf:
"In einer Nacht- und Nebelaktion haben wir mit der Harke die Weitsprunggrube um einen Meter verlängert." Denn damals hatte sich ein sehr guter Weitspringer angekündigt, dem die Grube für seine Sprünge zu kurz gewesen ist.
Dass so gute Athleten und Athletinnen am ISTAF teilnehmen, daran war 2002 nicht zu denken. Das ISTAF war insolvent und stand vor dem Aus. Janetzky kaufte es daraufhin mit mehreren Partnern und baute es neu auf.

Duelle führten zum Erfolg

2003 übernahm er den Posten des Meetingdirektors und setzte vor allem auf Spannung: "Wir haben immer versucht, alle Wettbewerbe auf Duelle zu bauen." Es waren zunächst zwar nie die ganz großen Namen, aber immer Athleten und Athletinnen, die in spannenden Duellen gegeneinander antreten konnten.
Das sei gut gelungen. Mit bekannten deutschen Sportlern wie Robert Harting wurde das ISTAF noch populärer und feierte 2007 seinen Höhepunkt: als größtes Leichtathletik-Meeting der Welt vor 70.000 Zuschauern und Zuschauerinnen.

15 Weltrekorde in 100 Jahren

Das ISTAF war in all den Jahren keine Weltrekordveranstaltung. Der Meeting-Termin im September liegt immer am Ende der Saison, der Leistungshöhepunkt ist also schon vorbei. Dennoch verzeichnet das ISTAF 15 Weltrekorde in den 100 Jahren. Einen davon hat auch Janetzky miterlebt: Den 800-Meter-Lauf des Kenianers David Rudisha im Jahr 2010. Für Janetzky waren jedoch nie die Weltrekorde das Wichtigste:
"Es sind nicht die Weltrekorde, die zählen, sondern es ist der Wettkampf. Und es gibt nichts Schöneres, als wenn bei einem Lauf noch mal drei auf die letzten 100 Meter einbiegen und sich dann wirklich auf der Zielgerade ein Duell liefern. Das ist für mich eigentlich viel besser, als wenn jemand mit Weltrekord eine halbe Bahn voraus ist."

Neue Wettkampfformen für mehr Inklusion

Aber nicht nur Duelle hat Janetzky eingeführt: "Wir haben damals versucht, eine ganze Menge für das Thema Inklusion zu tun."
Janetzky hat versucht Wettkampfformen zu finden, in denen Sportler mit und ohne Behinderungen auf Augenhöhe gegeneinander antreten. Eine seiner Ideen: eine 4x100-Meter-Staffel, in der sehbehinderte Männer gegen die aktuelle Frauenstaffel angetreten sind. Das habe gut zusammengepasst, denn die Männer seien zwar schneller gewesen, dafür hätten die Frauen besser wechseln können, so Janetzky. Im Rückblick sei dieser Wettkampf einer seiner persönlichen Höhepunkte in seiner Zeit als ISTAF-Chef.

Bluttest vor Urintest

Dem Thema Doping kann auch das ISTAF nicht ausweichen. In den zehn Jahren als Meeting-Direktor erlebte Janetzky aber keinen positiven Dopingfall während des Wettkampfs. Er hatte sich immer für den teuren Bluttest entschieden und nicht für Urinproben, um bei bestimmten Mitteln auf der sicheren Seite zu sein, "aber ich will nicht ausschließen, dass der ein oder andere nicht ganz so sauber war, wie er sich dargestellt hat."
Auch das Techno-Doping spielte eine immer größere Rolle in der Leichtathletik, sagte Jenetzky: ganz aktuell zum Beispiel bessere Schuhe und schnellere Bahnbeläge. Aber auch schon in der Vergangenheit habe es im Stabhochsprung Betrugsversuche mit unterschiedlich harten Stäben gegeben.
Doping-Kontrolle des Schwedischen Fußball-Verbandes
Doping - "Das Anti-Doping-System muss sich weiter entwickeln"
Die neuen Erkenntnisse der ARD-Doping-Dokumentation seien nicht das Ende des Anti-Doping-Kampfes, wie man ihn bisher gekannt habe, sagte Jorge Leyva, der Direktor der iNADO im Dlf. Man müsse sich jeden Einzelfall genau anschauen und alle Informationen dazu zusammentragen.

"Was soll ein Sportler heute erreichen?"

Nicht nur im Doping entwickelt sich der Sport, auch die Vielfalt der Sportarten steigt. Das habe auch Einfluss auf die Leichtathletik: "Es gibt viele andere Sportarten, viel mehr Auswahlmöglichkeiten für Jugendliche."
Die Leichtathletik habe ein ambivalentes Erscheinungsbild: Auf der einen Seite sei sie sehr vielfältig, auf der anderen aber auch mit sehr viel Aufwand verbunden. Für Janetzky gibt es in Deutschland sehr viele sehr ehrgeizige Athleten und Athletinnen, die manchmal vielleicht sogar zu viel wollen.
Man müsse sich aber nach dem Sinn dieser harten Trainingsarbeit fragen: "Was ist denn der Sinn von so einer Leistungssteigerung? Was soll ein Sportler heute erreichen?" Wenn man einen Blick in die Medien und das Sportsystem werfe, dann sei zum jetzigen Zeitpunkt alles auf Medaillen ausgerichtet. Doch Janetzky fragt sich schon, ob Medaillen wirklich das Ziel sein sollten.